Junge Lehrkräfte am Limit: Warum der Vorbereitungsdienst so viele überfordert – und wie einer trotzdem durchhielt

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FRANKURT/MAIN. Körperlich erschöpft, emotional ausgebrannt, chronisch überlastet: Eine Umfrage der hessischen GEW zeichnet ein bedrückendes Bild vom Vorbereitungsdienst. Viele angehende Lehrkräfte arbeiten deutlich mehr als vorgesehen, fühlen sich von Unterrichtsbesuchen unter Druck gesetzt und zweifeln an ihrer Berufswahl. Mitten in dieser Anspannung kämpft sich Jan Steckelbroeck durch drei Halbjahre Dauerstress, Schlafmangel und Prüfungsdruck – und schafft es am Ende doch, weiterzumachen. Seine Geschichte zeigt, wie hart der Weg ins Lehrerzimmer geworden ist.

Unterrichtsvorbereitung. Illustration: Shutterstock

Jan Steckelbroeck hat sich durchgebissen. Er hat das zweite Staatsexamen hinter sich und bewirbt sich gerade in Frankfurt um eine feste Stelle als Lehrer. Andere schaffen das nicht: Sie geben auf, brechen das Lehramtsstudium oder den Vorbereitungsdienst ab und suchen sich einen anderen Job. Was hielt den Ethik- und Informatik-Lehrer bei der Stange?

Nach Angaben des Hessischen Kultusministeriums gibt es aktuell im Bundesland rund 5.000 Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst – früher hieß diese Zeit Referendariat. Eine große Umfrage des Landesverbands der GEW zeigt, wie belastend diese Phase erlebt wird.

Neun von zehn angehenden Lehrkräften gaben an, körperlich und emotional erschöpft zu sein. Die Befragten, offiziell Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst (LiVs), arbeiten im Schnitt deutlich mehr, als vorgesehen ist. Viele berichten, dass die intensive Vorbereitung auf Unterrichtsbesuche, der hohe Dokumentationsaufwand und zusätzliche Verpflichtungen dafür sorgen, dass sie wöchentlich auf Arbeitszeiten kommen, die in anderen Ausbildungsberufen untypisch wären. Fast alle fühlen sich durch die häufigen Unterrichtsbesuche stark beansprucht, und ein großer Teil hat aufgrund der Dauerbelastung seine sozialen Kontakte reduziert.

Steckelbroeck kann das gut nachvollziehen. «Man startet in den Vorbereitungsdienst mit dem Narrativ: Das wird die schlimmste Zeit Deines Lebens», erzählt der 30-Jährige. Diese Auffassung sei an der Uni, im Studienseminar und unter jungen Kollegen Konsens.

Drei Halbjahre Dauerstress

Der Vorbereitungsdienst dauert in Hessen – noch – 21 Monate. Die Neulinge laufen erst drei Monate mit, dann unterrichten sie drei Halbjahre lang an drei Tagen insgesamt zehn bis zwölf Stunden in verschiedenen Klassen. An den beiden anderen Tagen drücken sie im Studienseminar selbst die Schulbank.

In dieser Zeit werden sie 16 Mal im Unterricht besucht und 14 Mal bewertet. Steckelbroeck beschreibt, dass hinter jeder Stunde Unterricht in dieser Phase enorme Vorbereitung stecke. Manche kämen mit weniger Zeit aus, andere bräuchten mehr, doch die intensive Planung sei für alle Teil des Alltags. Die GEW-Erhebung bestätigt, dass gerade die Unterrichtsbesuche für viele LiVs zu den Hauptbelastungsfaktoren gehören und erheblich zum Gefühl der Überforderung beitragen. Viele angehende Lehrerinnen und Lehrer berichten, dass ihnen kaum Zeit zur Erholung bleibt und dass die Ausbildung ihre mentale Gesundheit spürbar beeinträchtigt.

«Das war unglaublich hart», sagt Steckelbroeck heute. «Man ist immer unter Druck.» Als zentrales Problem sieht er die widersprüchlichen Erwartungen: «Man will den Schülern etwas beibringen. Man will selbst etwas lernen. Und dabei muss man ständig performen.» Die Gleichzeitigkeit dieser Anforderungen sei kaum zu bewältigen.

50-Stunden-Wochen

In seiner Seminargruppe hätten etwa zehn Prozent den Vorbereitungsdienst abgebrochen, sagt Steckelbroeck. Offizielle Zahlen dazu nennt das Kultusministerium nicht. Doch die Umfrage zeigt, dass Überforderung weit verbreitet ist. Viele der Befragten berichten von Arbeitswochen, die deutlich über der regulären Ausbildungszeit liegen. Ein erheblicher Teil fühlt sich durch den Vorbereitungsdienst überfordert, und viele erleben negative Auswirkungen auf ihre mentale Gesundheit.

Auch Steckelbroeck stand kurz vor einem Abbruch – kurz vor Weihnachten 2024. Vor den Ferien mussten noch Klassenarbeiten geschrieben und korrigiert werden, gleichzeitig bereitete er sich parallel auf zwei anstehende Unterrichtsbesuche vor. Vier Nächte in Folge schlief er kaum. Für einen Moment schien ein Job in der IT-Branche eine realistische Alternative.

Dass er dennoch blieb, führt er auf sein Umfeld zurück. Seine Freundin, Kollegen und Kommilitonen hätten ihn unterstützt, ebenso seine Mentorin an der Schule und seine Ausbildungsleiterin am Studienseminar. Die GEW-Befragten berichten in großer Mehrheit ebenfalls von guter Unterstützung durch Mentorinnen und Mentoren sowie durch ihre Ausbilderinnen und Ausbilder. Die Belastung entsteht nach Einschätzung der Gewerkschaft also weniger durch unzureichende Betreuung, sondern durch strukturelle Bedingungen wie Unterrichtsbesuche, Vorbereitungsaufwand und zusätzliche Verpflichtungen.

Steckelbroeck hebt hervor, dass er im Unterschied zu vielen seiner Kolleginnen und Kollegen nicht für Vertretungsstunden eingesetzt wurde. Das habe ihn entlastet. Der wichtigste Grund aber, nicht aufzugeben, seien für ihn die Schülerinnen und Schüler gewesen. «Der Job macht einfach so Spaß!», sagt er mit Nachdruck.

Die Hälfte zweifelt am Berufswunsch

Nicht bei allen halten solche Motive. Ein Fünftel der Befragten denkt darüber nach, die Ausbildung abzubrechen. Jede oder jeder Zweite zweifelt zumindest zeitweise daran, ob die Entscheidung für den Lehrerberuf die richtige war. Auch das Studium selbst bereite zu wenig auf den Schulalltag vor, findet Steckelbroeck. Der Realitätsschock komme meist im ersten Praxissemester. «Da realisiert man, dass die Theorie sehr weit weg ist von der Praxis.» Fachwissen nehme im Studium zu viel, Didaktik zu wenig Raum ein. GEW-Landesvorsitzender Thilo Hartmann verweist darauf, dass ohnehin nur etwa die Hälfte derjenigen, die ein Lehramtsstudium beginnen, auch wirklich bis zum Ende der Ausbildung durchhalten.

GEW warnt vor zusätzlicher Verschärfung

Die Gewerkschaft äußert sich angesichts der Belastung besorgt über Pläne der Landesregierung, den Vorbereitungsdienst von 21 auf 18 Monate zu verkürzen, ohne den Ausbildungsumfang zu reduzieren. Hartmann warnt, dies werde die Ausbildung weiter verdichten und die Arbeitsbelastung der LiVs und ihrer Ausbilderinnen und Ausbilder erhöhen. Auch Mentorin und Hauptpersonalratsmitglied Susanne Nissen kritisiert die Pläne deutlich und betont, eine fundierte Ausbildung brauche Zeit und verlässliche Rahmenbedingungen. Bereits die letzte Novellierung des Lehrkräftebildungsgesetzes habe zu starker Verdichtung geführt.

Die Gewerkschaft weist darauf hin, dass sich viele angehende Lehrkräfte im Laufe ihrer Ausbildung gegen den Beruf entscheiden. Wenn das Land den Lehrkräftemangel bekämpfen wolle, müsse es die Qualität der Ausbildung stärken und nicht weiter schwächen. Dazu gehörten aus Sicht der GEW bessere Rahmenbedingungen in den Seminaren, eine sinnvolle Reduktion der Unterrichtsverpflichtungen im Vorbereitungsdienst und ein Ausbau psychologischer Unterstützungsangebote.

«Der Spaß am Unterricht hat mich getragen»

Für Jan Steckelbroeck überwiegt trotz allem der Wunsch, im Beruf zu bleiben. Entscheidend seien für ihn die Unterstützung in seinem Umfeld und vor allem die Freude an der Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern gewesen. «Der Spaß am Unterricht hat mich getragen», sagt er. Und er hofft, dass die Bedingungen für künftige Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst so gestaltet werden, dass auch andere diesen Weg gehen können, ohne an ihre Grenzen zu geraten. News4teachers / Auf der Grundlage eines Features von Sandra Trauner, dpa

Vorbereitungsdienst: So überlastet, dass sie ihre sozialen Kontakte einschränken

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8 Kommentare
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Realistin
3 Stunden zuvor

Ob das Durchhalten dann so gut ist?
Die junge Generation fordert immer mehr Veränderung im Schulleben ein.
Viele hier stecken in ihrer Blase seit 1990, sehen die Veränderungen höchstens mal bei den Nachbarn, wenn diese morgens komischerweise nicht das Auto kratzen müssen oder die Brötchen an die Tür gehängt werden. Man glaubt gar nicht, was es bedeutet, eine 35-Stunden Woche zu haben. Das müsst ihr euch mal in Lebenszeit umrechnen!
Die Ersparnis des Homeoffice ganz zu Schweigen.
Deshalb:
4-Tage Woche
30 % Homeschooling / online-Unterricht
Gehalt um 17 % rauf, statt der geforderten 7 (am Ende dann 2% Realist?)
DB & GK online!

Die Balkon
3 Stunden zuvor
Antwortet  Realistin

Ob das Durchhalten gut ist? Fragt die richtige. Ich kann Ihnen sagen, wie Sie 5 h jede Woche einsparen können.

Petra OWL
3 Stunden zuvor
Antwortet  Realistin

Das stimmt, tatsächlich!!!
Hasi bleibt auch daheim und ich darf schön aus der Einfahrt schaukeln.
Im Grunde müssen die Deputate gesenkt werden, damit wir von den 41 h runterkommen.
4 Tage Woche ist ja machbar, definitiv. In der Kita, Pflege und Krankenhaus geht es ja auch!!!
Mein Mann verdient sogar doppelt und wir kriegen diese kläglichen 1-2 % ab.
Irgendwie sind auch die Technikgewerkschaften besser dran!
Wir brauchen etwas Homeoffice!!!

dickebank
2 Stunden zuvor
Antwortet  Petra OWL

Nominell 41 Stundenwoche.

Mannkannesnichtfassen
2 Stunden zuvor
Antwortet  Petra OWL

Mal abgesehen davon, was Hasi schaukelt, stimme ich prinzipiell zu, aber Homeoffice, wie Sie es verstehen (statt Unterricht in Präsenz) ist unsinnig. Homeoffice machen wir eh alle (Korrekturen, Vorbereitung usw.). Mir wäre eine Erfassung und Anerkennung dieser Tätigkeiten als Arbeitszeit wichtig.

Michi
1 Stunde zuvor

Das ist völliger Blödsinn, weil Homeoffice im eigentlichen Sinn zuhause bleiben und arbeiten heißt. Wenn ihr nach der Schule am Abend noch 3 Stunden korrigiert, ist das sicher Arbeitszeit, aber kein Homeoffice in Reinform.
Es geht doch um die Jobs in den Betrieben, wo es 2,3, 4 volle Tage im Homeoffice zuhause gibt ohne Nachteile wie Fahren, Zeit, Geld & Co.
Besonders für Mütter ist Homeoffice aktuell attraktiver als 5 Tage in Schulpräsenz zu stecken.
Die 4 Tage Woche wäre da nur ein Ausgleich, oder.

Rainer Zufall
2 Stunden zuvor

Aber da werden die Ewiggestrigen doch betonen, dass es Ihnen auch nicht geschadet habe, sie sich keinen bessern Vorbereitungsdienst für sich hätten vorstellen können usw. Aber wehe, die Schülerschaft entspricht nicht mehr dem eigenen Bild von vor 30 Jahren ….

“Man startet in den Vorbereitungsdienst mit dem Narrativ: Das wird die schlimmste Zeit Deines Lebens”
DEM würde ich widersprechen, es ist dem Narrativ von “Löcher” deutlich näher 😉

Marianchen
1 Stunde zuvor

Naja wir sehen eben den Lehrermangel und hören dann von den jungen Leuten, der Beruf sei zu schlecht bezahlt und zu stressig.
Was soll man da noch sagen?
Für viele ist es ja auch schwierig und bei uns jammern die jungen Mütter und wollen auch lieber, wie der Ehemann, ins Homeoffice.
Es hat sich viel getan und online Unterricht geht manchmal, aber Homeoffice?
Vielleicht sollten wir wirklich die 4 Tage Woche einführen! 🙂 🙂