BERLIN. „Bildung braucht Vertrauen – und den Mut zur Eigenverantwortung“, schreibt die Friedrich-Naumann-Stiftung. Adressat des Appells sind offensichtlich die Kultusminister in Deutschland. Denn: Eine von der Stiftung in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage macht deutlich, dass sich eine Mehrheit der Bürger für mehr Entscheidungsspielräume an Schulen ausspricht. Das ist nicht die einzige klare Botschaft, die sich aus den Ergebnissen herleiten lässt.
Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey zeigt, dass eine deutliche Mehrheit der Menschen in Deutschland Schulen größere finanzielle Entscheidungsspielräume zutraut. 65 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, dass Schulen eigenständig entscheiden sollen, wie sie ihre finanziellen Mittel einsetzen – etwa für Personal, Ausstattung oder zusätzliche Angebote.
Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung, Auftraggeberin der Umfrage, zieht aus diesem Ergebnis weitreichende Schlüsse. In ihrer Einordnung heißt es: „Menschen vor Ort wissen meist besser, was funktioniert, als zentral-organisierte Behörden.“ Bildungspolitik solle deshalb denjenigen mehr Verantwortung übertragen, die täglich mit den konkreten Herausforderungen konfrontiert seien. Wörtlich heißt es weiter: „Bildungspolitik sollte den Lehrkräften, Schulleitungen und Sozialarbeitenden das Vertrauen schenken, Verantwortung zu übernehmen – flankiert durch klare Qualitätsstandards.“
Die Umfrage selbst erhebt keine Aussagen zu konkreten Modellen von Schulsteuerung, macht aber deutlich, dass eine Mehrheit der Befragten bereit ist, Schulen mehr Gestaltungsspielraum einzuräumen. Die Stiftung wertet dies als Auftrag, die Debatte über Schulautonomie intensiver zu führen, insbesondere vor dem Hintergrund neuer Förderprogramme. „Gerade vor dem Hintergrund des Startchancen-Programms wird es interessant zu sehen sein, wie die Schulen mit ihren Budgets Verbesserungen vor Ort herbeiführen können“, heißt es.
Hintergrund: Das Startchancen-Programm war von der damaligen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) auf die Schiene gesetzt worden. Ob damit allerdings tatsächlich mehr Gestaltungsspielräume für die Kollegien vor Ort verbunden sind, wird aktuell bezweifelt – betroffene Grundschulleitungen aus Niedersachsen beklagen: „Aus dem bundesweit als Bottom-Up-Reform angelegten Programm ist ein stark reguliertes Top-Down-System geworden.“ (New4teachers berichtete.)
„Unter (Schul-)Bildung wird mehr als nur reine Wissensvermittlung verstanden – sie ist ein Raum für Demokratieerfahrung, soziale Interaktion, für Pluralität und für Gemeinschaft“
Zurück zur Umfrage: Noch klarer fällt die Vertrauensbekundung gegenüber den Schulen vor Ort bei der Frage nach alternativen Bildungsformen aus. 74 Prozent der Befragten lehnen häuslichen Unterricht, also Homeschooling, ab – selbst dann, wenn verpflichtende Lerninhalte und Abschlussprüfungen formal gleichblieben. Nur 19,6 Prozent befürworten ihn. Die Umfrage zeigt damit eine deutliche Ablehnung privater Bildungsarrangements.
Die Friedrich-Naumann-Stiftung sieht darin ein starkes Signal zugunsten der Schule als gemeinschaftlichem Lernort. In ihrer Stellungnahme heißt es: „Unter (Schul-)Bildung wird mehr als nur reine Wissensvermittlung verstanden – sie ist ein Raum für Demokratieerfahrung, soziale Interaktion, für Pluralität und für Gemeinschaft.“ Zugleich verweist die Stiftung auf Erfahrungen aus der Corona-Zeit: „Womöglich spielen auch die (Überforderungs-)Erfahrungen der Corona-Zeit eine Rolle, als klar wurde, dass der Heim-Unterricht leichter gesagt als getan ist und es für gute Bildung auch ausgebildete Pädagogen braucht.“
Darüber hinaus ordnet die Stiftung das Ergebnis gesellschaftspolitisch ein. Wörtlich heißt es: „Ein Rückzug aus Gesellschaft kann heute sehr schnell in Radikalität umschlagen.“ Schule und gemeinsame Sozialisation seien deshalb „eine wichtige Keimzelle der Freiheit, Bildung und gesellschaftlicher Verantwortung“.
Auch bei der Frage nach Chancengerechtigkeit zeigt die Umfrage eine klare Präferenz. Die Mehrheit der Befragten (53,9 Prozent) spricht sich dafür aus, eher in Bildungsangebote wie Kitas, Nachhilfe oder Ganztagsförderung zu investieren als höhere direkte Geldleistungen an Familien zu zahlen – die werden von 16 Prozent favorisiert. 22,1 Prozent wollen beides. Damit wird ein Schwerpunkt auf strukturelle Förderung gelegt.
Die Friedrich-Naumann-Stiftung deutet dieses Ergebnis als bewusste Prioritätensetzung. In ihrer Einordnung heißt es: Bildung solle nach Ansicht der Bürgerinnen und Bürger „in erster Linie nicht kompensieren, sondern ermöglichen“. Ziel sei es, Kinder unabhängig vom Elternhaus zu fördern und zu fordern.
Auch der Ganztag in der Grundschule stößt in der Umfrage auf mehrheitliche Zustimmung. 57 Prozent der Befragten sprechen sich für einen verpflichtenden, gebundenen Ganztag an mehreren Tagen pro Woche aus. Das Ergebnis verweist auf den Wunsch nach verlässlichen Strukturen im Schulalltag.
„Ganztag darf nicht nur Betreuung im Sinne einer einfachen Beaufsichtigung sein. Vielmehr muss er Bildungsanreize setzen“
Die Friedrich-Naumann-Stiftung sieht darin vor allem ein Bedürfnis nach Qualität und Verlässlichkeit. In ihrer Einordnung heißt es: „Ganztag darf nicht nur Betreuung im Sinne einer einfachen Beaufsichtigung sein. Vielmehr muss er Bildungsanreize setzen.“ Diese Anreize sollten vielfältig sein – „ob im musischen, sportlichen, handwerklichen oder sozialen Bereich“. Ziel sei es, unterschiedliche Talente der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Dafür brauche es „ein möglichst breites und verlässliches Kooperationsnetzwerk für die Schulen“.
Zugleich verbindet die Stiftung das Umfrageergebnis mit einer klaren Erwartung an die Politik. Wörtlich heißt es: „Für die Politik insgesamt besteht die Aufgabe darin, den gesetzlichen Ganztagsanspruch im Jahre 2026/27 auch tatsächlich zu realisieren.“ Andernfalls drohe ein Vertrauensverlust: „Denn ein Rechtsanspruch, der letztlich doch nicht eingelöst werden kann, schafft Misstrauen in die staatliche Handlungsfähigkeit.“ Als Vergleich wird der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten Geburtstag genannt, der „allzu oft nicht erfüllt werden konnte“. News4teachers
Überforderte Schulträger: Wie Bürokratie das Startchancen-Programm aufzufressen droht
