DÜSSELDORF. Der bundesweit ab dem kommenden Schuljahr geltende Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule wird teuer. Zehntausende zusätzliche Plätze müssen geschaffen werden. Die Städte ächzen unter der Aufgabe. In Nordrhein-Westfalen reicht es etlichen Kommunen jetzt – sie ziehen gegen das Land vor Gerichte. Der VBE sieht die Qualität des Angebots in Gefahr.
Mehrere Städte in Nordrhein-Westfalen wollen mit Klagen bei den Verwaltungsgerichten des Landes Klarheit zur Finanzierung des Rechtsanspruches auf einen Ganztagsplatz (OGS) an Grundschulen schaffen. Drei Oberbürgermeister der Städte Düsseldorf, Krefeld und Hamm kündigten sogenannte Feststellungsklagen an, die rechtliche Klarheit bringen sollen, ob das Land künftig mehr bezahlen muss. Weitere fünf Städte – Aachen, Bochum, Bielefeld, Düren und Dormagen – reichten beispielhaft auch für andere Kommunen in NRW Klagen ein.
«Eltern und Kinder brauchen Verlässlichkeit. Dazu muss auch das Land seinen Beitrag leisten», erklärte der Vorsitzende des Städtetages NRW, Oberbürgermeister Marc Herter (SPD) aus Hamm. «Es drückt sich aber davor, gesetzlich klar zu regeln, wer eigentlich für den Rechtsanspruch auf Ganztag zuständig ist.» Daran hänge aber auch die Finanzierung. Mehrfach hätten die Kommunen vom Land eine dauerhafte auskömmliche Finanzierung für den Ganztag eingefordert.
150.000 zusätzliche Ganztagsplätze nötig
Herter betonte, dass die Städte weiterhin zum Ganztagsausbau stünden und alles dafür täten, den Rechtsanspruch ab dem kommenden Jahr umzusetzen. Ab Sommer 2026 gilt bundesweit ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung zunächst für alle Erstklässler. Danach kommen jedes Jahr die neuen Erstklässler dazu, so dass der Ganztagsanspruch ab 2029 für alle Grundschüler gilt.
In NRW werden infolge des Rechtsanspruchs nach Angaben des Städtetags in den kommenden Jahren voraussichtlich rund 150.000 zusätzliche Ganztagsplätze benötigt. Bereits 2025 würden 480.500 Kinder mit Ganztagsangeboten gefördert.
Städte in katastrophaler Finanzlage
Die klagenden Städte fordern nun über den Gerichtsweg von der schwarz-grünen Landesregierung ein im Koalitionsvertrag versprochenes Ausführungsgesetz ein. Damit würde nach ihren Angaben den Kommunen die Aufgabe der Ganztagsbetreuung eindeutig übertragen und die Finanzierung geregelt. «Solange wir uns aber in einer rechtlichen Grauzone bewegen und das Land sich wegduckt, solange ist auch diese verlässliche Finanzierung nicht geklärt», sagte Herter. «Angesichts der katastrophalen Finanzsituation der Städte in NRW kann das nicht so weitergehen.» Herter bezifferte den Mehrbedarf der Kommunen für den Ganztagsaufbau auf eine Milliarde Euro.
Der Düsseldorfer OB Stephan Keller (CDU) bezeichnete den Ausbau des Ganztags-Rechtsanspruchs als einen gewaltigen finanziellen Kraftakt. Schon jetzt trügen die Kommunen zu einem überproportional großen Teil die Kosten für die Umsetzung des Ganztagsangebots.
Für die Landeshauptstadt rechnete Keller vor, dass die Kommune allein von den jährlich rund 80 Millionen Euro Betriebskosten 34 Millionen aus eigener Tasche zahle. Nur ungefähr ein Drittel komme vom Land. Bei den Investitionskosten gehe die Schere noch weiter auseinander. Düsseldorf müsse laut Kalkulation für die bauliche Umsetzung an den Grundschulen bis zum Jahr 2029 rund 220 Millionen Euro investieren. Davon seien aktuell nur 21 Millionen durch Landeszuweisungen gedeckt.
Die erhebliche Mehrbelastung müsse künftig von Bund und Land getragen werden, sagte Keller. Der Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz sei schließlich eine Erfindung des Bundes. «Und deshalb liegt da natürlich auch eine Verantwortung», sagte Keller. Schon den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz hätten die Kommunen umsetzen müssen. Den Ganztagsanspruch müssten sie nun auch wieder «finanziell ausbaden». Doch nicht einmal die vom Bund bereitgestellten Betriebskostenzuschüsse leite das Land an die Städte weiter.
Qualität künftig abhängig von Kassenlage?
Der Krefelder OB Frank Meyer (SPD) sagte, der Ganztag in NRW sei schon heute unterfinanziert, denn die Landesmittel passten sich nicht an die tatsächlichen Kostensteigerungen an. In Krefeld sei der Anteil des Landes an der Ganztagsfinanzierung von 47 Prozent 2021 jetzt auf aktuell 40 Prozent gesunken. Die Städte schrieben flächendeckend rote Zahlen und können zusätzliche Ausgaben nicht länger aus der eigenen Tasche bezahlen. Wenn das Land nicht mit eigenen Mitteln gegensteuere, hänge die Qualität des Ganztags künftig von der jeweiligen kommunalen Kassenlage ab.
Das Schulministerium hatte im Herbst angekündigt, es würden 20.000 zusätzliche Ganztagsplätze geschaffen. Damit stünden 2026 Mittel bereit, um 50.000 Plätze zu finanzieren, wenn diese von den Kommunen eingerichtet werden. Bis zum Schuljahr 2028/29 sei ein Platzaufwuchs auf bis zu 605.500 Plätze vorgesehen. Die Ausgaben steigen den Angaben zufolge allein 2026 um 100 Millionen auf dann fast eine Milliarde Euro.
«Uns ist bewusst, dass es allein schon eine Mammutaufgabe ist, ausreichend Plätze zu schaffen», erklärt Stefan Behlau, Landesvorsitzender des VBE. «Und dennoch: Es darf nicht der Anspruch sein, allein nur für ausreichend Plätze zu sorgen. Entscheidend ist die Qualität im Ganztag. Ganztag darf eben nicht nur ein Ort der Betreuung sein, sondern muss ein verlässlicher Bildungs- und Entwicklungsraum sein, in dem sich Kinder, Jugendliche und das schulische Personal wohlfühlen und gute Bedingungen vorfinden. Hier sind die Landesregierung und die Schulträger in der gemeinsamen Verantwortung.»
Die schwarz-grüne Landesregierung hatte entschieden, den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz ab 2026 ausschließlich über einen gemeinsamen Erlass der Ministerien umzusetzen. Ein Ausführungsgesetz wird es nicht geben. Aus Sicht des VBE RW ist das eine verpasste Chance.
«Es fehlen verbindliche Qualitätsstandards und ein klarer Plan, wie Ganztagsbildung in den nächsten Jahren aussehen soll. Damit bleibt die Qualität des Ganztags weiterhin abhängig von kommunalen Haushalten und damit vom Wohnort. Zwar werden Merkmale aktualisiert und ein gemeinsames Bildungsverständnis vorausgesetzt, doch ohne ausreichende Ressourcen ist das kaum umsetzbar. Dass die Landesregierung am „Weiter so“ des offenen Ganztags festhält und den im Koalitionsvertrag angekündigten Weg zum gebundenen Ganztag aufgibt, kritisieren wir. Dieser wäre eine Grundlage für mehr Chancengerechtigkeit», so Behlau. News4teachers / mit Material der dpa
