„Kinder werden im Stich gelassen!” VBE beklagt Umgang mit Legasthenie, Dyskalkulie

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BERLIN. Jedes siebte Kind ist betroffen, doch Unterstützung bleibt oft Stückwerk: Zum Tag der Legasthenie und Dyskalkulie am 30. September mahnen der Verband Bildung und Erziehung (VBE), der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) sowie die Deutsche Kinderhilfe deutlich mehr Einsatz von Politik und Gesellschaft für betroffene Schülerinnen und Schüler an. Die Forderungen reichen von besseren schulrechtlichen Regelungen über den Ausbau multiprofessioneller Teams bis hin zu einer gezielten Qualifizierung von Lehrkräften.

Förderbedarf. Illustration: Shutterstock

„Schülerinnen und Schüler mit Legasthenie und Dyskalkulie stehen in ihrer Schullaufbahn vor enormen Herausforderungen. Was dem Rest der Klasse leicht von der Hand geht, fordert von ihnen Höchstleistungen“, erklärt Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des VBE. Angesichts der hohen Zahl Betroffener sei es nicht länger hinnehmbar, dass Förderung vom Zufall abhänge. Brand betont: „Wir müssen endlich alles daransetzen, echte Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Es braucht massive Investitionen, um die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass jedes Kind die Förderung bekommt, die es benötigt – unabhängig von Herkunft, sozialem Status oder individuellen Schwierigkeiten.“

Als Hauptproblem benennt Brand die Einstufung von Legasthenie nur als Teilleistungsstörung. Dadurch erhielten die Schulen in der Regel keine zusätzlichen Ressourcen, obwohl die Belastung für die Betroffenen hoch sei. „Das hohe Maß an individueller Förderung kann nebenbei im normalen Schulalltag oftmals nicht gelingen“, so Brand. Hinzu komme der seit Jahren bekannte Mangel an Fachpersonal in Kitas und Schulen: „Damit werden gerade diejenigen Kinder im Stich gelassen, die schon vor ihrem Schuleintritt auf besondere Unterstützung angewiesen wären.“

Der VBE-Chef fordert multiprofessionelle Teams mit Schulpsychologen, Sozialarbeitern und Ergotherapeuten, die passgenaue Förderangebote machen und psychische Belastungen frühzeitig auffangen können. Ebenso notwendig seien zusätzliche Lehrkräfte und Erzieher sowie gezielte Fortbildungen, die pädagogische Fachkräfte befähigen, Lernschwierigkeiten frühzeitig zu erkennen.

Kritik an veralteten Regelungen

Auch der BVL und die Deutsche Kinderhilfe sehen großen Handlungsbedarf. „Unser Schulsystem muss dringend so aufgestellt werden, dass Lernenden mit einer Legasthenie oder Dyskalkulie erfolgreiche Schulabschlüsse ermöglicht werden“, mahnt Rainer Becker, Ehrenvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe. Fehlende schulrechtliche Regelungen – insbesondere im Bereich Dyskalkulie – sorgten dafür, dass die Chancen der Schülerinnen und Schüler massiv eingeschränkt blieben. „Die Tragweite fehlender Nachteilsausgleiche und Förderung ist für die Gesellschaft und Volkswirtschaft immens“, so Becker.

Tanja Scherle, Bundesvorsitzende des BVL, betont: „Für uns ist es nicht länger tragbar, dass Schülerinnen und Schüler mit Legasthenie und Dyskalkulie in den Schulen weiterhin so stark benachteiligt werden.“ Notwendige Maßnahmen könnten sofort umgesetzt werden, „ohne Mehrkosten oder erhöhten personellen Aufwand“. Sie fordert zudem externe Förderkräfte, die Basisfertigkeiten im Lesen, Rechtschreiben und Rechnen gezielt stärken. Lehrkräfte allein seien mit der Situation überfordert.

Ein gesellschaftlicher Auftrag

Nach Ansicht der Verbände geht es längst nicht nur um Bildungsgerechtigkeit, sondern auch um gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit. Rund 15 Prozent der Bevölkerung seien betroffen – ihr Potenzial dürfe nicht verloren gehen. Deshalb müsse sich auch die Wirtschaft stärker mit den besonderen Herausforderungen von Legasthenie und Dyskalkulie auseinandersetzen.

Zum Aktionstag ist zudem ein Sammelband unter dem Titel „Neurodiversität und Legasthenie in Bildung und Beruf: Herausforderungen verstehen, Ressourcen nutzen, Potenziale entfalten“ erschienen. Darin werden praxisnahe Beispiele vorgestellt, wie gelungene Förderung nicht nur schulischen Erfolg, sondern auch berufliche Perspektiven ermöglichen kann. News4teachers 

Hier geht es zu einer kostenfreien Online-Version des Sammelbands.

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