BERLIN. Ayush Yadav, stellvertretender Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz und Mitglied in der Jury des KI-Schulpreises*, sieht im Einsatz von Künstlicher Intelligenz an Schulen großes Potenzial. Gleichzeitig warnt er aber auch vor fehlender Systematik und zu viel Misstrauen. Im Interview mit News4teachers erklärt er, warum KI ein Schlüssel für individuelles Lernen sein kann, weshalb Verbote keine Lösung darstellen und welche Verantwortung Lehrkräfte und Politik aus seiner Sicht tragen.

News4teachers: Wie erleben Sie persönlich den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Schulalltag?
Ayush Yadav: Insgesamt ist die Nutzung erstens sehr individuell und unterschiedlich – und dadurch unfair, weil manche Schülerinnen und Schüler schon viel Erfahrung haben und andere kaum etwas darüber wissen, und zweitens kommt es insgesamt zu kurz. Individuell und unfair, weil es sehr davon abhängt, wie genau man KI persönlich einsetzt. Man kann sich zum Beispiel komplette Arbeiten schreiben lassen, was natürlich Misstrauen bei den Lehrkräften weckt. Manche Lehrkräfte sagen, dass sie bestimmte Projektarbeiten, die eigentlich sehr spannend wären, kaum noch bewerten können, weil sie nicht wissen, wie viel davon eigenständig von den Schülerinnen und Schülern erarbeitet wurde.
Andererseits gibt es die Möglichkeit, KI sinnvoll einzusetzen, zum Beispiel zum Zusammenfassen oder für erste kleine Recherchen. Als einzige Quelle sollte man KI nicht verwenden, aber um sich einen Überblick zu verschaffen, ist es hilfreich. Zu kurz kommt der Einsatz von KI im Schulalltag, weil es immer noch wie ein „Special Effect“ behandelt wird. Es gibt vielleicht mal eine Extraeinheit, in der es kurz thematisiert wird, aber es ist nicht wirklich in den Unterricht eingebunden. Man hat auch das Gefühl, dass es gar nicht gewollt ist, KI als Werkzeug in den Unterricht einzubauen. Dieses Verständnis von KI als Tool ist bei einem Großteil der Lehrkräfte und Schulen noch nicht angekommen.
News4teachers: Sie haben es gerade schon angesprochen: Viele Lehrkräfte sind aktuell in Bezug auf den KI-Einsatz im Unterricht verunsichert. Wie sollte Schule aus Ihrer Sicht generell mit Tools wie ChatGPT, Copilot & Co. umgehen?
Ayush Yadav: Mit Offenheit. Man sollte sich nicht abschrecken lassen von neuen Tools. Unsicherheiten sollten mit Aufklärung bekämpft werden. Wichtig ist es, Informationsangebote für Lehrkräfte zu schaffen, diese zu fordern und anzunehmen. So kann eine gezielte Einbindung in den Unterricht von KI geschaffen werden.
In der Schule sollte man lernen, wie man KI sinnvoll einsetzt, wie man diese Tools produktiv nutzen kann. Ansonsten entsteht eine Ungleichheit: Einige, die sich auskennen, profitieren davon, während andere es aus Misstrauensgründen, usw. gar nicht nutzen und dadurch Nachteile haben. Schule soll ein Ort sein, an dem KI selbstverständlich und verantwortungsbewusst eingesetzt wird, mit offenen Lernumgebungen und digitalen Plattformen für einen Raum, in dem junge Menschen partizipativ bestmöglich auf die Herausforderungen und Chancen der Zukunft vorbereitet werden.
„Als Tool und Hilfestellung kann Künstliche Intelligenz sehr viel leisten“
News4teachers: Sehen Sie KI eher als Hilfsmittel zur individuellen Förderung oder als Risiko für Täuschung und Abkürzungen im Lernprozess?
Ayush Yadav: Als Hilfsmittel: Schülerinnen und Schüler können mit KI-Systemen nach ihrem eigenen Tempo lernen und erhalten gezielte Unterstützung, während Lehrkräfte als Lernbegleiter agieren und individuelle Lernprozesse fördern. Ein Risiko für Täuschungen kann aber Künstliche Intelligenz auf jeden Fall auch darstellen. Das sehen wir in einigen Fällen schon im schulischen Kontext. Aber es wäre ein Fehler, KI wegen dieses Risikos einfach komplett zu verbieten, wenn dann verschärft es das Problem nur.
Als Tool und Hilfestellung kann KI sehr viel leisten. Wenn man zeigt, wie man mit guten Prompts, richtigen Quellenangaben und Beispielen sinnvoll arbeitet, dann nimmt auch das Risiko von Täuschungen ab, mit einem sehr hohen Gewinn am Ende. Keine Abkürzung im Lernprozess, sondern bei richtiger Anwendung ggf. ein Schlüssel zum Erfolg.
News4teachers: Kritikerinnen und Kritiker führen an, dass KI Schülerinnen und Schüler am eigenständigen Denken hindert. Wie stehen Sie zu dieser These?
Ayush Yadav: Die Kritikerinnen und Kritiker haben meiner Meinung nach nicht viel darüber nachgedacht. Von nichts kommt nichts. Um aus Tools wie ChatGPT gute Ergebnisse, die einem wirklich etwas bringen, zu bekommen, muss man auch sinnvolle Eingaben machen. Einfach Texte hineinkopieren und eine Übersetzung erwarten – das konnte man auch schon vorher mit Übersetzungsprogrammen machen. Natürlich ist es nicht produktiv, komplette Aufgaben von der KI erledigen zu lassen, nicht nur, weil man dann nichts gelernt hat, sondern auch, weil das Ergebnis dann auffallend schlecht oder einfach falsch ist. Genau das sollte man thematisieren, statt KI als Ganzes zu verbieten. Dann erkennen auch Schülerinnen und Schüler selbst, dass es nicht sinnvoll ist, ohne eigenes Nachdenken zu arbeiten.
Wenn man KI einfach verbietet, lernen die Jugendlichen nicht, wie man sie richtig einsetzt. Spätestens im Berufsleben, wo niemand die Nutzung kontrolliert, fehlen dann die Kompetenzen.
News4teachers: Was wünschen sich Schülerinnen und Schüler konkret von ihren Lehrkräften im Umgang mit KI? Geht es vor allem um Offenheit oder auch um Regeln für den Unterricht?

Ayush Yadav: Beides: Wenn es Offenheit gibt, können auch Regelungen diskutiert werden, und wir wissen, dass es Regelungen geben muss. In München haben Schülerinnen und Schüler zum Beispiel gefordert, dass „…eine praxisorientierte, pädagogisch fundierte Regelung für den Einsatz von künstlicher Intelligenz erarbeitet und an allen Gymnasien angewandt…” wird.
Er zitiert weiter aus einem Antrag der Bezirksschülersprecher und -Sprecherinnen der Gymnasien München: “Die Forderung nach einer klar geregelten, aber nicht verbietenden KI-Nutzung zielt darauf ab, Chancengleichheit zwischen Schülerinnen zu sichern unabhängig von der Haltung der einzelnen Lehrkräfte, die kritische Reflexionsfähigkeit im Umgang mit digitalen Werkzeugen zu fördern, ethische und wissenschaftliche neue Standards im Umgang mit neuen Technologien zu vermitteln. So lernen Schülerinnen KI als Werkzeug verantwortungsbewusst und reflektiert einzusetzen. Lehrkräfte erhalten eine klare rechtliche und pädagogische Orientierung, Missbrauch wird verhindert, ohne Innovation zu unterdrücken.”
„KI ermöglicht sehr individuelles Lernen. Sie kann auf unterschiedliche Bedürfnisse eingehen, was Lehrkräften mit 30 Schülerinnen und Schülern gleichzeitig manchmal schwerfällt“
News4teachers: Künstliche Intelligenz kann Bildung gerechter machen und auf die individuellen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern eingehen. Teilen Sie diese Einschätzung oder sehen Sie eher eine Gefahr der sozialen Spaltung?
Ayush Yadav: Da gibt es zwei Seiten. Zum einen sind KI-Tools oft kostenpflichtig. Wenn Schulen sie aber kostenlos für alle bereitstellen, fällt dieser Punkt weg. Zwischen kostenlosen und Premium-Versionen der einzelnen Tools gibt es große Qualitätsunterschiede. Das führt zu Spaltung.
Zum anderen: KI ermöglicht sehr individuelles Lernen. Sie kann auf unterschiedliche Bedürfnisse eingehen, was Lehrkräften mit 30 Schülerinnen und Schülern gleichzeitig manchmal schwerfällt. Manche brauchen bei bestimmten Themen länger, andere sind schon weiter. KI kann geduldig auf individuelle Fragen eingehen – und im Gegensatz zu Menschen wird sie weder genervt, wenn man dieselbe Frage zehnmal stellt, aber jedes Mal ein wenig anders formuliert, um etwas zu verstehen, noch ist sie zeitlich begrenzt.
News4teachers: Kürzlich berichtete News4teachers über einen Gymnasiasten, der kritisiert, dass diejenigen, die KI in der Schule nutzen, sich einen Vorsprung verschaffen gegenüber denen, die es nicht tun. Wie kann diese Diskrepanz aus Ihrer Sicht aufgehoben werden?
Ayush Yadav: Das ist keine Diskrepanz, sondern ein klarer Beweis dafür, dass jeder lernen sollte, wie man KI nutzt und damit umgeht. Leider sehen viele Menschen KI nur als Mittel zum Schummeln, aber wenn man sie richtig einsetzt, kann sie einem tatsächlich dabei helfen, viel besser zu lernen als ohne. Da stellt sich die Frage: Warum ist „Lernen mit KI“ eigentlich nicht schon die normale Form des Lernens?
„Lehrkräfte sollten sich aber unbedingt damit befassen, weil die Welt sich in diese Richtung entwickelt.“
News4teachers: Was sagen Sie Lehrkräften, die KI im Unterricht ganz bewusst meiden – sei es aus Skepsis oder aus Zeitmangel, sich einzuarbeiten?
Ayush Yadav: Ich kann das schon verstehen, denn es ist etwas Neues. Lehrkräfte sollten sich aber unbedingt damit befassen, weil die Welt sich in diese Richtung entwickelt. Wenn Lehrkräfte nicht wissen, wie man mit KI arbeitet, ist das unfair für die Schülerinnen und Schüler.
Natürlich kennen wir Jugendlichen uns mit KI und digitalen Geräten besser aus. Aber genau deshalb sollte der Staat eingreifen: Es braucht mehr Fort- und Weiterbildungen für Lehrkräfte. Schließlich sollen sie uns etwas beibringen – und nicht umgekehrt. Es kann auch nicht sein, dass Schülerinnen und Schüler in vielen Fällen den Techsupport für Lehrkräfte machen müssen, weil die schlechte technische Ausstattung der Schule nicht funktioniert.
„Deshalb sollte man mit uns reden und auch aus unseren Erfahrungen lernen“
News4teachers: Was kann die Bildungspolitik tun, um Schulen besser auf den KI-Wandel vorzubereiten und welche Rolle spielt dabei die Perspektive der Schülerschaft?
Ayush Yadav: Lehrkräfte können sich Regelwerke oder Datenschutzrichtlinien nicht einfach selbst ausdenken, und sind ohnehin zu sehr ausgelastet. Sie brauchen Vorgaben vom Staat, von den Kultusministerien. Die Schülerschaft muss unbedingt eingebunden werden. Wir sind diejenigen, die mit den Regelungen leben und sie nutzen müssen. Entscheidungen „über unsere Köpfe hinweg“ – etwa ein generelles Verbot von KI – sollten nicht getroffen werden. Wir sind mit iPads und Laptops aufgewachsen, wir wissen, wo die Probleme liegen, und ob es sich nun um technische oder psychische Probleme handelt, sind wir selbst am stärksten davon betroffen. Deshalb sollte man mit uns reden und auch aus unseren Erfahrungen lernen.
News4teachers: Das Bundesland Bremen hat bereits flächendeckend an seinen Schulen den Chatbot Telli eingeführt und nimmt eine Vorreiterrolle in dieser Hinsicht ein. Wo sehen Sie konkrete Einsatzmöglichkeiten von KI, die heute schon gut funktionieren – jenseits von reiner Texterstellung?
Ayush Yadav: KI kann für alles trainiert werden. Ich persönlich bin ein großer Fan von eigenständigem Arbeiten – und da ist KI einfach großartig. Wenn man ein Projekt oder eine Rechercheaufgabe hat, kann man mit KI direkt Fragen stellen und Erklärungen bekommen, auch wenn die Lehrkraft gerade nicht verfügbar ist. Lehrkräfte können durch automatisierte Auswertungen und adaptive Lernsysteme entlastet werden, und gewinnen mehr Freiraum für pädagogische Arbeit. Zudem können durch KI innovative Lehr- und Lernformate entstehen, die den Unterricht abwechslungsreicher und motivierender gestalten und damit die Lernfreude steigern.
Ich nutze KI auch, um mir Lernmaterialien oder Übungsaufgaben erstellen zu lassen. Das funktioniert sehr gut, weil man nicht nur Inhalte für sich erstellen lässt, sondern direkt auch komplexe Analysen und Feedback bekommen kann (auch in den Ferien!). So erhält man individuelle Lernhilfe und davon profitiert jeder einzelne Schüler und jede einzelne Schülerin enorm.
„KI soll und kann Lehrkräfte nicht ersetzen, sondern höchstens ergänzen“
News4teachers: Nun könnte man behaupten: Wenn KI alles erklären kann, brauchen wir irgendwann keine Lehrkräfte mehr. Wie stehen Sie zu dieser Auffassung?
Ayush Yadav: Natürlich brauchen wir Lehrkräfte! Genau solche Aussagen zeigen, dass wir dringend mehr Weiterbildung in Sachen KI benötigen. Dann würde man besser verstehen, was KI leisten kann – und was eben nicht. KI soll und kann Lehrkräfte nicht ersetzen, sondern höchstens ergänzen.
News4teachers: Wenn Sie eine Sache im Umgang mit KI an deutschen Schulen sofort ändern könnten: Welche wäre das?
Ayush Yadav: Ich würde mir wünschen, dass Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Lehrkräften Regelwerke entwickeln, wie man KI sinnvoll im Unterricht nutzen kann. Außerdem plädiere ich für mehr Offenheit allgemein gegenüber Neuem im schulischen Kontext.
News4teachers: Wie blicken Sie in Bezug auf den Einsatz von KI an Schulen in die Zukunft? Sind Sie eher positiv oder negativ gestimmt?
Ayush Yadav: Ich mache mir ein bisschen Sorgen. Es geht nicht darum, mehr oder weniger KI einzusetzen, sondern sie sinnvoll zu nutzen. Momentan sehe ich das zu wenig. Deshalb wollen wir mehr Bildung im Bereich KI und Informatik allgemein, und mehr Anleitung für den richtigen Einsatz. Ich habe zum Beispiel kürzlich im Berliner Rahmenlehrplan Informatik geschaut. Dort stand kein einziges Mal etwas zu KI. Wie soll digitale Bildung so funktionieren? Es ist weder richtig, KI nur als Textbearbeitungstool zu sehen, noch zu behaupten, sie könne gar nichts oder werde uns alle ersetzen. Solche Ansichten zeigen, dass es an Bildung fehlt. Wenn wir das nicht ändern, verschwenden wir enormes Potenzial.
KI bietet unglaublich viele Möglichkeiten – egal ob in der Schule oder im Berufsleben. Jede und jeder sollte ausprobieren und lernen können, wie sie für die eigenen Bedürfnisse hilfreich sein kann. Nina Odenius, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview.
Der KI-Schulpreis zeichnet innovative Konzepte aus, wie durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz der Unterricht bereichert, Verwaltungsprozesse erleichtert oder Schülerinnen und Schüler individuell gefördert werden können.
Schulen können sich noch bis zum 10. Oktober 2025 dafür bewerben. Der Wettbewerb ist ein Projekt von Deutschland – Land der Ideen und wird durch die Deutsche Telekom-Stiftung sowie die Dieter Schwarz Stiftung unterstützt. Nähere Informationen zum Preis und zur Bewerbung finden Sie unter: KI Schulpreis: KI-Wettbewerb
Glaubenskrieg um Künstliche Intelligenz im Unterricht: Verbannen – oder Pflicht?
Um KI adäquat einsetzen zu können, braucht es erst einmal eine Basis aus Kompetenzen und Wissen, ansonsten nimmt man ChatGPT und Co. doch allenfalls als Erfüllungsgehilfen wahr. Sind wir ehrlich, als Schüler hätten wir die KI damals wahrscheinlich auch nicht anders benutzt. Der richtige Umgang damit kann und soll in der Schule gelehrt werden, aber nicht ausschließlich.
Meine Kinder nutzen KI nicht, um sich wie Herr Yadav Aufgaben erstellen zu lassen, sondern um Schulaufgaben mit viel Zeitersparnis zu lösen. Insofern halte ich die Aussage “Natürlich kennen wir Jugendlichen uns mit KI und digitalen Geräten besser aus” für absolut überheblich und falsch. Nur weil ich als 14-jähriger die App auf dem Handy habe, weiß ich noch lange nicht, wie ich die KI korrekt benutze oder richtige Prompts dafür eingebe.
Meine Frau und ich achten sehr darauf, dass unsere Kinder eher selten mit der KI arbeiten. Das tun wir nicht, weil wir ihnen neue Techniken verweigern wollen, sondern weil wir möchten, dass sie auch noch die eigene Intelligenz aktivieren und nicht nur Antworten des Chatbots als Hausaufgabe abgeben.