Noch machen viele Gesellen ihren Meister – Experten sorgen sich trotzdem

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HANNOVER. Nach Jahren der Flaute sind Meisterbriefe wieder gefragt. Der Blick in die Zukunft ist allerdings eher sorgenvoll. Eine Konstante bleibt: Frauen machen ihren Meister gern im Friseurhandwerk, Männer konzentrieren sich auf die Kfz-, Elektro- und Installationsbranche.

Die Flut neuer Qualitätssiegel und Zertifikate reißt nicht ab. Doch Klassiker wie der Meisterbrief trotzen dem Zeitgeist. Nach einem Tiefpunkt im Jahr 2009 büffeln jetzt wieder mehr junge Gesellen für den traditionsreichen Titel. Während nach Angaben einer Sprecherin der Landesvertretung der Handwerkskammern in Hannover 1995 aber noch 5800 Meisterbriefe ausgehändigt wurden, waren es zum Ende des vergangenen Jahres 2546. Der Tiefpunkt mit 2219 Meisterbriefen vor vier Jahren scheint jedoch überwunden. An den Geschlechterrollen hat sich jedoch wenig geändert: «Er» liebt Maschinen und Motoren, «sie» Haare.

2004 wurde das Handwerksrecht grundlegend reformiert. 53 Gewerke wurden von der Meisterpflicht befreit, beispielsweise Fliesenleger und Raumausstatter. «Damit ist eine Dequalifizierungsspirale in Gang gesetzt worden», sagte Wolfgang Hintz von der Landesvertretung der Handwerkskammern.

Gleichzeitig wurde der Zugang zur Meisterprüfung vereinfacht, die «Pflichtgesellenjahre» sind entfallen. «Heute kann jeder Geselle sofort mit der Meisterprüfung fortfahren», sagt Torsten Heidemann von der Handwerkskammer (HWK) Oldenburg. Es gebe durchaus Absolventen mit Anfang 20. «Die meisten Absolventen sind aber zwischen 25 und 35 Jahre alt», sagte Mareike Lindner von der HWK Hildesheim-Südniedersachsen.

Die Mehrzahl der Frauen macht den Meister im Friseurhandwerk, die männlichen Absolventen konzentrieren sich auf die Kfz-, Elektro- und Installationsbranche. Als «eher verhalten» bezeichnet die HWK Braunschweig-Lüneburg-Stade die Situation in den Bau- und Ausbauberufen. Aber auch in der Branche der Hörgeräteakustiker werden Meister besonders gesucht, berichtete Lindner.

«Der Meistertitel ist nach wie vor die Qualifikation im Handwerk und kann seinen hohen Stellenwert auf dem Arbeitsmarkt behaupten», ist Lindner überzeugt. «Der Meisterbrief wird immer noch als höchstes Qualitätsmerkmal betrachtet», bestätigt Andreas Lehr von Handwerkskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim. «Er ist ein persönliches Marketinginstrument auf der Karriereleiter.» Zudem können Meister dank eines Beschlusses der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2009 ein Hochschulstudium aufnehmen.

"Auf jeden Fall gibt es mehr Stellen als Bewerber", sagt der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer MAINZ. Foto: Arbeitgeberverband Gesamtmetall/Flickr
Der Meistertitel ist immer noch wichtig für viele Gesellen. Foto: Arbeitgeberverband Gesamtmetall/Flickr

«Wir haben einen Boom in der Handwerkswirtschaft in Niedersachsen. Die Auftragsbücher sind voll. Allein im Kammerbezirk Osnabrück könnten 3000 bis 4000 Fachkräfte aus dem Stand eingestellt werden, sagt Lehr. An den Gymnasien gelte das Studium als Allheilmittel. «Das Handwerk wird dort viel zu wenig propagiert, auch von den Berufsberatern.»

Christine Seeger von der HWK Hannover blickt trotz stabilisierter Meisterzahlen jedoch sorgenvoll in die Zukunft. «In den nächsten Jahren suchen sehr viele Handwerksunternehmen quer durch alle Branchen einen Nachfolger, und einige von ihnen werden Schwierigkeiten haben, ihren Betrieb zu übergeben.» Die Übernahmen innerhalb der Familien seien auf 40 Prozent zurückgegangen. Außerdem schreckten viele Existenzgründer wegen hoher finanzieller Risiken vor einer Übernahme zurück. «Sie haben nicht genügend Eigenkapital zur Verfügung, und die Banken legen an die Jungunternehmer hohe Messlatten an, was Finanzierung und Businessplan angeht.»

«Man muss ein Klima schaffen zur Förderung von Nachfolge», fordert Wolfgang Hintz. Zudem drängt er auf die Einführung einer Meisterprüfungsprämie in Niedersachsen. In Nordrhein-Westfalen werde eine solche gezahlt. dpa

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