Was für Berlin der Flughafen ist, ist in der Bildung die Studienplatzbörse: seit Jahren eine Chaos-Baustelle

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BERLIN. Zu viele Bewerber für Studienfächer wie Medizin auf der einen Seite. Tausende begehrte Studienplätze, die aber am Ende unbesetzt bleiben, auf der anderen. Bei der Hochschulzulassung hakt es. Ein Ärgernis seit Jahren – und vielleicht noch jahrelang.

Bis mindestens 2018 bleibt das System der Hochschulzulassung eine Baustelle - eigentlich sollte es seit 2010 funktionieren. Foto: 4028mdk09 / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
Bis mindestens 2018 bleibt das System der Hochschulzulassung eine Baustelle – eigentlich sollte es seit 2010 funktionieren. Foto: 4028mdk09 / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Der Flughafen Berlin-Brandenburg, kurz BER, sollte ursprünglich im Herbst 2011 eröffnet werden. Planungsfehler, Baumängel und Technikprobleme ließen jedoch bislang vier Eröffnungstermine scheitern. Aktueller Stand: Im Herbst 2016 soll angekündigt werden, ob es beim derzeit anvisierten Herbst 2017 bleibt – oder ob der Start einmal mehr verschoben werden muss. Im System der Hochschulzulassung wurde die «Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen» (ZVS) 2010 beerdigt. Das Nachfolgesystem läuft zwar – aber es knirscht immer noch gewaltig.

Und das könnte noch auf Jahre so bleiben, wie ein Lagebericht der Kultusministerkonferenz der 16 Bundesländer (KMK) jetzt aufzeigt. Die Situation sei «nicht zufriedenstellend», heißt es dort. Keine gute Ausgangslage für viele Abiturienten während der im Juli endenden Bewerbungszeit fürs Wintersemester 2016/17.

Nur 100 von 180 Universitäten beteiligt

Der Weg zu einem attraktiven Studienplatz in Jura oder Medizin ist ohnehin oft mit Wartezeit und Enttäuschungen gepflastert. Dass die Verteilung von Studienplätzen mit Numerus Clausus (NC) auch nach sechsjähriger Anlaufphase noch nicht rund läuft, macht die Sache umso ärgerlicher. Nur 100 von 180 staatlichen Universitäten und Fachhochschulen, die NC-beschränkte Bachelor-Studiengänge anbieten, beteiligten sich im Wintersemester 2015/16 an der eigens dafür eingerichteten bundesweiten Studienplatzbörse, dem «Dialogorientierten Vergabeverfahren» (DoSV). Ein Jahr zuvor waren es sogar erst 89 gewesen. Der Positivtrend im Vergleich der Sommersemester 2015 und 2016 fiel ähnlich bescheiden aus.

Am Ende blieben im vorigen Wintersemester von 252.000 Bachelor-Plätzen mit örtlichem NC gut 11.500 unbesetzt – Frustpotenzial für Studierende, die vorher Absagen für ihr Traumfach erhalten hatten. Das entsprach einer Quote von 4,6 Prozent, immerhin weniger als im Jahr zuvor (6,3 Prozent). Dennoch bewertet die KMK das Online-Verfahren der zuständigen «Stiftung für Hochschulzulassung» als problematisch. Dieser Eindruck gelte «im Hinblick auf die Planungsunsicherheiten, den erheblichen Aufwand sowie die Belastungen des Studienbetriebs im ersten Semester sowohl für die Studierenden als auch für die Hochschulen».

Laut einem unveröffentlichten KMK-Bericht ans Bundesbildungsministerium sind die derzeitigen Möglichkeiten des Zulassungsmanagements «ausgereizt». Nötig sei eine flächendeckende Einführung des DoSV, um Bewerbungen in einer gemeinsamen Datenbank zu erfassen und abzugleichen.

Die Stiftung für Hochschulzulassung hatte sich im Mai 2010 als Rechtsnachfolger der ebenfalls umstrittenen «Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen» (ZVS) konstituiert. Die Kritik am DoSV konzentriert sich vor allem auf zwei Mängel: zum einen die stets zögerliche Teilnahme staatlicher Hochschulen an der Datenbank – zum anderen Mehrfachbewerbungen von Studienberechtigten, die auf Nummer sicher gehen wollen und so letztlich begehrte Plätze etwa in Rechtswissenschaften, Betriebswirtschaftslehre oder Humanmedizin blockieren.

Chaos bis 2018 – mindestens

Das Bundesbildungsministerium hatte schon Mitte April einräumen müssen, das DoSV werde mit seiner Bewerbungswebseite «hochschulstart.de» noch bis 2018 unzureichend funktionieren. «Um volle Wirksamkeit entfalten zu können, müssen möglichst alle der rund 180 Hochschulen mit örtlich zulassungsbeschränkten grundständigen Studiengängen an das DoSV angebunden sein», hieß es in einer Stellungnahme auf Anfrage der Linken im Bundestag.

Die Linke-Hochschulexpertin Nicole Gohlke sagte auf Anfrage: «Jahr für Jahr erleben wir durch willkürliche Zugangsbeschränkungen und unnötige Mehrfachbewerbungen das reinste Chaos bei der Studienplatzvergabe.» Leidtragende seien alle Bewerber, die wertvolle Zeit verlören, «weil sie oftmals zu spät von Zu- oder Absagen erfahren und dann nicht mehr die Möglichkeit haben, sich zum Beispiel noch rechtzeitig auf einen Ausbildungsplatz zu bewerben».

Die Linke will schon länger ein «Bundeshochschulzulassungsgesetz» zur besseren zentralen Steuerung des Verfahrens. Dafür sieht das Bundesbildungsministerium aber «keinen Regulierungsbedarf». Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) warnt derweil davor, zusätzliche Kosten für das DoSV auf die Unis abzuwälzen, und sieht die Länder in der Verantwortung. Außerdem sei die Anzahl der teilnehmenden Hochschulen in den Vorjahren doch schon kontinuierlich gestiegen.

Unterschiedliche Beteiligung

Von Bundesland zu Bundesland ist die Zahl der Hochschulen, die bei der Studienplatzbörse mitmachen, jedoch sehr unterschiedlich. So beteiligte sich laut KMK-Bericht in Mecklenburg-Vorpommern von vier Hochschulen keine einzige, in Schleswig-Holstein nur eine von sieben, in Hamburg eine von fünf, in Hessen drei von zehn. Unterdurchschnittlich war die Teilnahme auch in Niedersachsen (37,5 Prozent) und Baden-Württemberg (39,39). Über dem Bundesschnitt von 55,5 Prozent lagen Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt – sowie Thüringen und Bremen mit satten 100 Prozent DoSV-Beteiligung. Von Werner Herpell, dpa

Hintergrund

An deutschen Hochschulen gilt auch im Wintersemester 2016/17 für vier von zehn Studiengängen ein Numerus Clausus (NC). Die Quote der örtlichen Zulassungsbeschränkungen ging bundesweit nur gering um 0,5 Prozentpunkte auf 41,5 Prozent zurück, wie aus einer Auswertung des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) hervorgeht. Die im Ländervergleich höchsten NC-Quoten gibt es in Hamburg (72,3 Prozent), Bremen (60,8) und Saarland (60,2) – hier sind also mindestens sechs von zehn Studiengängen nicht frei zugänglich.

Niedrige NC-Quoten unter einem Drittel weisen Rheinland-Pfalz (23 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (23,6), Thüringen (26,4), Bayern (29,1), Sachsen-Anhalt (30,6), Sachsen (31,0) und Schleswig-Holstein ((31,7) auf. Laut CHE-Geschäftsführer Frank Ziegele haben sich die Hochschulen «insgesamt auf das Studierenden-Hoch besser eingestellt». So sei in den vergangenen vier Jahren die bundesweite NC-Quote um vier Prozentpunkte gesunken.

Bundesweit ist laut CHE-Report in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mehr als jeder zweite Studiengang NC-begrenzt. Bei den Sprach- und Kulturwissenschaften stehen dagegen knapp 70 Prozent aller Studiengänge den Interessierten offen. An Universitäten gibt es einen geringeren Anteil an zulassungsbeschränkten Studiengängen (40,1 Prozent) als an Fachhochschulen (45,8 Prozent). Für Bachelor-Studiengänge liegt die Quote im Wintersemester bundesweit bei 47,6 Prozent, für den Master bei 35,5 Prozent.

Zum Bericht: Tausende NC-Studienplätze bleiben unbesetzt – wegen Problemen bei der Datenübermittlung

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