GEW-Studie: Lehrkräfte sind gestresst – und trotzdem zufrieden mit ihrem Beruf. Sogar mit ihrem Gehalt

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GÖTTINGEN. Auf den ersten Blick mag es widersprüchlich erscheinen, aber so lautet das Fazit der Belastungsstudie niedersächsischer Lehrerinnen und Lehrer, die die Uni Göttingen im Auftrag der GEW durchgeführt hat: „Die Lehrkräfte sind gleichzeitig gestresst und zufrieden.“ Ein wesentlicher Grund liege in der hohen intrinsischen Motivation, meinen die Wissenschaftler: Die Lehrkräfte seien überzeugt vom Wert ihrer Arbeit und nähmen dafür so manche Widrigkeit in Kauf. Auch wenn sich die Untersuchung auf Niedersachsen bezieht, dürften die Ergebnisse auf die Situation bundesweit übertragbar sein.

An der Studie haben 2.108 Personen, die auch bei der im August veröffentlichten Arbeitszeitstudie registriert waren, teilgenommen. Die Ergebnisse bestätigten vieles, was die Lehrkräfte vorher selbst schon vermutet hätten, so heißt es.

Wesentliche Ergebnisse bei der Analyse der Arbeitsbedingungen lauten:

  • 85 Prozent der Lehrkräfte sind zufrieden mit der Arbeit (zum Vergleich: Von den Wissenschaftlichen Mitarbeitern an den Hochschulen zeigten sich nur 65 Prozent zufrieden), 95 Prozent der Lehrkräfte haben zudem eine außerordentliche Identifikation mit ihrem Beruf. Mehr als 90 Prozent meinen, einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Mehr als 80 Prozent freuen sich über ein hohes Maß an Selbstständigkeit und die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen, bei ihrer Arbeit. Bemerkenswert auch: 85 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer meinen, ihr Einkommen reiche aus. Sorgen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, haben nur rund fünf Prozent.
  • Gleichzeitig liegt bei Lehrkräften die Bewertung der Arbeitsbedingungen bei 94 Prozent im unteren Mittelfeld.
  • Besonders die „Arbeitsintensität“ schneidet schlecht ab. Neun von zehn Lehrern erleben oft oder sehr häufig Zeitdruck, drei Viertel müssen Abstriche bei der Qualität der Arbeit machen, um sie zu schaffen. Das machen sie nicht freiwillig: Über 80 Prozent der Lehrkräfte empfinden dieses Runterschrauben als (eher) starke Belastung.
  • Großen Lärm erleben vier Fünftel der Lehrkräfte regelmäßig, auch dies ist ein großer Stressfaktor und nicht einfach wegzustecken.
  • Rund 40 Prozent der Lehrkräfte fühlen sich durch „herablassendes und respektloses Verhalten“ von Schülern belastet, 50 Prozent durch Eltern und jeweils rund 25 Prozent durch Kollegen und Vorgesetzte.
  • Positiv hervorzuheben ist trotzdem die starke Betriebskultur: Fast 90 Prozent – und das durchgängig an allen Schulformen – erleben Kollegialität und Unterstützung, „wenn sie es benötigen“. Wo kein gutes Betriebsklima herrscht, ist dies allerdings für die Betroffenen sehr belastend.

Die gegenseitige Unterstützung und der Sinn der Arbeit helfen den Kollegen dabei, mit den Rahmenbedingungen klar zu kommen. Auf Dauer gelingt das allerdings nicht: Nur jeder Vierte hält es für wahrscheinlich, ohne gesundheitliche Einschränkungen den Ruhestand zu erreichen.

Die Göttinger Forscher haben die Belastungsfragen mit den Tätigkeitskategorien der Arbeitszeitstudie verknüpft. Ergebnis: Die Arbeiten, in denen personen-bezogene Entscheidungen gefällt werden, sind die größten Stressfaktoren: Abschlussprüfungen, Korrekturzeiten, Gutachten und Leitungstätigkeiten bekommen die höchsten Bewertungen, was für hohe Belastungen steht. Auch Konferenzen und Fahrten mit Übernachtung haben hohe Punktzahlen. Kleinere Fallzahlen – also kleinere Klassen – können hier Abhilfe schaffen. Zwei Drittel der Lehrkräfte sagen generell, dass die Arbeit in großen Klassen besonders anstrengend sei.

Darüber hinaus wurden folgende Umstände als belastend angeführt:

  1. Keine Erholung in der Schulpause (von 86 Prozent genannt)
  2. Erziehungsarbeit wird erwartet (77 Prozent)
  3. Schwierige Schülerinnen und Schüler (77 Prozent)
  4. Dokumentationsaufgaben (75 Prozent)
  5. Große Klassen (69 Prozent)
  6. Konflikte mit Schülern oder Eltern (67 Prozent)
  7. Ganztägig gebunden sein(67 Prozent)
  8. Schüler mit besonderem Unterstützungsbedarf (63 Prozent)
  9. Erhöhter Aufwand wegen neuer Lehrpläne (62 Prozent)
  10. Größere Stoffmengen als früher (62 Prozent)

Rund die Hälfte der Lehrkräfte arbeitet mehr als 48 Stunden in der Woche – einzelne davon bis zu 56 Stunden. Mit der Familienfreundlichkeit ihrer Arbeitszeit sind nur 20 bis 40 Prozent der Lehrkräfte zufrieden (vor allem Konferenzzeiten werden als besonders familienunfreundlich wahrgenommen).

Eine Stunde weniger unterrichten ab 55 Jahre – diese Maßnahme hat die niedersächsische Landesregierung vor drei Jahren gestrichen. Die Arbeitszeiterhebung und die Belastungsstudie zeigten, dass eine solche Ermäßigung dringend geboten sei, so heißt es nun. Es gelte: Je älter, desto länger wird die Arbeitszeit. Ab 55 sind mehr als 50 Stunden die Regel. Zudem gelte: Je älter, desto größer der Anteil an besonders belastenden Tätigkeiten. Dieser Anteil steigt nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch in Relation zu den anderen Tätigkeiten: an Grundschulen von 9 auf 23 Prozent, an Gymnasien und Gesamtschulen von 15 auf 27 Prozent.

Die Studie weist hohe Beanspruchungen aus, die mit neuen Anforderungen wie Inklusion und Ganztagsschule verbunden sind. Außerdem belasten der Umgang mit schwierigen Schülerinnen und Schülern, die Wahrnehmung des umfassenden Erziehungsauftrags, große Klassen, Klassenleitungstätigkeiten und Dokumentationsaufgaben.

„Die Ergebnisse der Belastungsstudie untermauern die Ergebnisse der Arbeitszeitstudie: Vollzeitkräfte arbeiten am Limit und darüber hinaus, Teilzeitkräfte leisten erhebliche unbezahlte Mehrarbeit, ebenso ältere Lehrerinnen und Lehrer. Die Landesregierung ist in der Pflicht, dringend die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wenn drei Viertel der Lehrer Abstriche an der Bildungsqualität machen müssen, um das Pensum zu schaffen, ist das kein hinnehmbarer Zustand“, so schlussfolgert die GEW.

Hier geht es zur Studie der GEW Niedersachsen.

Zum Bericht: GEW-Studie zur Lehrer-Arbeitszeit: Zwei Drittel arbeiten an fast jedem Wochenende – Teilzeitkräfte besonders benachteiligt

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3 Kommentare
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sofawolf
7 Jahre zuvor

So ist es:

“ Lehrkräfte sind gestresst – und trotzdem zufrieden mit ihrem Beruf. Sogar mit ihrem Gehalt.“

Da fühle ich mich ja mal voll bestätigt mit meinen (hier) oft einsamen Rufen in der Wüste, dass wir Lehrer nicht in erster Linie mehr Geld haben wollen / brauchen, sondern ganz andere Dinge wichtig sind, um die Attraktivität unseres Berufes wieder zu steigern.

Sie stehen oben im Text !!!

Hoffentlich nehmen das die Gewerkschaften und Berufsverbände jetzt endlich mal wahr und ernst und arbeiten in diese Richtung für uns.

sofawolf
7 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Da bin also doch nicht ICH so ganz neben der Spur, sondern andere hier sind es. 😉

Beate
7 Jahre zuvor

Ich bin SI-Lehrerin in NRW und habe vor 18 Jahren meine erste Gehaltsabrechnung bekommen und die Summe darauf weist ein Plus von 500 auf. Klar, damals waren es D-Mark, aber es sind 18 Jahre seitdem vergangen. Wenn ich dann noch an Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld denke… Ich habe keinerlei Veranlassung, mit der Entwicklung meines Gehalts zufrieden zu sein. Es wurde von Jahr zu Jahr weniger. Die Arbeit indes nahm zu.