Herrn Schmieds Kolumne – „Wo bleibt unser Vertretungslehrer?“

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ERLANGEN. Unser Kolumnist Nicolas Schmidt, alias Herr Schmied, ist Lehrer im fränkischen Erlangen. Die neueste Folge von „Dem Herrn Schmied sein Schultag“ lesen Sie hier. Heute: „Wo bleibt unser Vertretungslehrer?“

Herr Schmied, sind Sie auch beim Pidologenverband?

Bei wem bitte, Jonas? Meinst du vielleicht den Philologenverband?

Also, mein Papa ist da nämlich Mitglied und meint, dass jeder Lehrer, der ne gute Schule will, da auch mitmachen soll.

Dann sag mal deinem Papa, dass jeder Lehrer, der ne gute Schule will, da austreten soll.

Hä? Das ist ja genau das Gegenteil von dem, was mein Papa sagt.

Exakt, Jonas. Und sag ihm auch, dass der Philologenverband ein träger Haufen obrigkeitshöriger Spießer ist, dem es primär darum geht, eigene Pfründe zu sichern und zu schauen, dass sich nichts ändert.

Aber mein Papa sagt, dass die jetzt auch wieder für n längeres Gymnasium sind.

Das war aber auch wirklich n revolutionärer Move, sich zum ersten Mal in 65 Jahren gegen die bayerische Staatsregierung zu stellen.

Sind Sie auch für das G9, Herr Schmied?

Ja klar.

Warum sind Sie dann nicht bei den Pidologen?

Weil die ein ganz anderes Bild von Schule haben als ich. Die labern was von wegen Erwerb kognitiver Fähigkeiten und fachlichem Knowhow und selbständigem Arbeiten und werteorientiertem Denken bla bla bla. Das ist so abgehoben und unrealistisch. Die haben keine Ahnung, wie es an der Schule wirklich aussieht. Und ihr Schüler seid denen eh scheißegal.

Nicolas Schmidt schreibt über seinen Schulalltag an einem bayrischen Gymnasium. (Foto: Periplaneta-Verlag)
Nicolas Schmidt schreibt über seinen Schulalltag an einem bayrischen Gymnasium. (Foto: Periplaneta-Verlag)

Aber mein Papa hat mir n Buch von einem Pidologen-Typen geschenkt, und das heißt: Der Pisa-Schwindel. Unsere Kinder sind besser als ihr Ruf…

Ja, das kenn ich schon, das ist vom Kraus, das ist wirklich der feisteste von allen. Was der eigentlich meint, ist: Unsere Lehrer sind besser als ihr Ruf.

Was finden Sie daran so schlimm?

Dass es dem Typen nicht um ehrliche Anerkennung geht , sondern um selbstgerechtes Gepose. Da feiert er sich als Kämpfer mit Herz gegen die ökonomische Verwertbarkeit von Schulbildung, und im gleichen Atemzug schwafelt er hochmütig von der fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen, gymnasial-pädagogisch-psychologischen Kompetenz der Lehrer und propagiert ein ekelhaft elitäres gymnasiales Bildungsverständnis.

Was haben Sie denn gegen das Gymnasium, Herr Schmied? Sie sind doch selber auf einem.

Ich hab gar nichts gegen das Gymnasium, ich hab auch nichts gegen Lernen und gegen gute Noten, im Gegenteil. Ich freu mich über jeden, der ein gutes Abi schreibt. Aber in ein paar Wochen werden auf der Abifeier wieder ganz groß die 1,0-Schüler herausgestellt. Und damit will sich die Schule doch nur selber feiern. Seht her, wie wir diese Schüler zu Topleistungen angespornt haben! Dabei brauchen uns diese oberen 10 Prozent überhaupt nicht. Wer uns bräuchte, sind die 70-80 Prozent Mainstream. Die aber hangeln sich mehr oder minder uninspiriert durch, bis sie den Wisch haben.
Kein Wunder, dass wir die nicht feiern!

Sie sind heute aber schlecht gelaunt, Herr Schmied!

Weißt du, Jonas, das ist aber auch anstrengend, wenn du dich tagein tagaus mit Hunderten von anstrengenden Freaks rumschlägst, für die das wahre Leben nach der Schule anfängt oder die nur auf Noten schielen, du dir nachts die Augen blutig korrigierst, du immer wieder versuchst, dir was Neues für den Unterricht einfallen zu lassen, du immer mehr mit bürokratischem Irrsinn überschüttet wirst, der allein schon ADHS bei dir auslöst, du natürlich in ständigem Austausch mit Kollegen, Schulleitung und Eltern sein sollst, du in den Pausen entweder Aufsicht oder nervige Gespräche am Bein hast, du in den Freistunden gleich ne Vertretung aufs Auge gedrückt bekommst und du dich am Ende weinend in den miefigen Erdkunde-Kartenraum zurückziehst, um einfach nur ein paar Minuten für dich zu sein…

Mein Beileid, Herr Schmied.

Danke, Jonas, du mich auch. Und wenn du dann merkst, dass diejenigen, die eigentlich auf deiner Seite stehen sollten, so wie der Philologenverband, nur darauf sind, die Verhältnisse zu zementieren, die das eigentliche Übel an der Schule darstellen, ist das nicht logisch, dass du da schlechte Laune kriegst?

Sie haben uns mal gesagt, dass man sich nicht als Opfer der Umstände sehen sollte, sondern selbst verantwortlich ist für sein Schicksal.

Hast schon Recht, Jonas, ist halt grad alles bisschen viel.

Mein Papa sagt, dass sich die Pidologen auch dafür einsetzen, dass die Lehrer keinen Burnout kriegen.

Echt jetzt? Dann bring mir doch mal morgen ein Beitrittsformular mit…

 

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