DÜSSELDORF. Geschichten aus einer Welt, in der der Autor seine Schüler manchmal umarmen möchte für Ihre unschuldige Direktheit und manchmal verflucht für ihre Oberflächlichkeit; Geschichten, in denen er abseits der Schule die Liebe sucht, Träume hat und mit sich selber häufig nicht im Reinen ist, davon handelt „Dem Herrn Schmied sein Tagebuch“, geschrieben von Nicolas Schmidt, Lehrer und Autor.
Nicolas Schmidt ist seit einigen Wochen zusätzlich der neue Kolumnist auf News4teachers.de. Die Autorin dieser Zeilen ist nicht mehr ganz objektiv, denn nach der Lektüre des Buches hat sie Nicolas Schmidt für die Redaktion engagiert. Sie findet ihn und sein Buch daher unzweifelhaft gut. Warum, das erklären die nächsten Zeilen.
Schmidts Buch ist lustig und hat trotzdem Tiefgang, er ist treffend und bisweilen etwas verschroben. Etwa im Kapitel „zu zweit an der Front“ im Dialog mit sich selber. Nachdem ihm eine Schülerin gebeichtet hat, dass sie die Hausaufgaben nicht gemacht hat: „Ich denke mir: Hä, welche Hausaufgabe? – Ich sage: Du Steffi, das ist bestimmt schon das dritte Mal in diesem Monat. – Ich denke: Habe ich denen überhaupt schon drei Mal ne‘ Hausaufgabe gegeben in diesem Monat?“
Neben den lustigen Dialogen aus dem Schulalltag kann Schmidt aber auch rotzig. Er kritisiert in dem Kapitel „Liberté toujours“ in einer zynischen Rede Abiturienten, die die Zeit nach dem Abitur für die große Freiheit halten und eigentlich nicht wissen, wovon sie sprechen. Gleichzeitig bekommen Lehrer ihr Fett weg, die nur nach einer Funktion streben und sich selber über ihre Motive belügen.
Das Buch wartet aber nicht nur mit Geschichten aus der Schule auf. Wie etwa der Abschnitt über den allgemeinen Quasselzwang. „Meine ersten Beziehungen sind an diesem Quasselzwang gescheitert. Alles analysieren, durch den Kopffilter laufen lassen, problematisieren, erörtern…und komisch, plötzlich war das Gefühl weg.“
In „Ich hätt‘ da mal ein Problem“ zeigt er seine Zerrissenheit zwischen, nennen wir es Ideal und Pragmatismus, beispielsweise so: „Wenn ich sage, dass es kein Naturgesetz ist, dass geschätzte zwei Drittel aller Schüler keinen Bock auf Schule haben oder sich langweilen, dann musst du sagen, das das schon immer so war und das Gymnasium eben keine Spaßschule ist.“ Spannend wird das Buch dadurch, dass er mit sich selber hadert, mit Gegensätzen spielt.
Im Kapitel „No school“ macht er sich ganz ernsthaft und intellektuell Gedanken um Moral und Werte wie Freundlichkeit, Fröhlichkeit und die Beschneidungsdebatte und schiebt dann einen Textbaustein aus seinem Schulalltag ein, einen Dialog mit seinen Schülern, der folgendermaßen geht: Schüler:„Warum sind Sie denn immer so schlecht gelaunt bei uns in der Klasse?“ – „Weil du nie Hausaufgaben machst und mit’m Basti schwätzt.“ – „Herr Schmied, heißt das, dass man ruhig unfreundlich sein darf, wenn man‘ n Grund hat?“ –Schmied: „Also.. äh…“
Der erst mal sprachlose Autor schließt den Abschnitt mit dem Satz „…und zack ist die Schärfe raus aus den Themen. Man ist amüsiert und gerührt ob so viel Direktheit und Lebensfreude.“ Und zack hat Nicolas Schmidt ganz nebenbei erklärt, wie sehr und warum er seinen Beruf liebt.
Dass er auch Drama kann, zeigt die Geschichte mit dem Titel „Du musst was essen“. In der erzählt der Protagonist von seiner Mutter. Erst geht es darum, wie sie ihn als kleinen Jungen zum Essen bringen wollte, dann blendet die Geschichte über zu einer Szene in einem Krankenhaus oder Pflegeheim, ganz klar ist das nicht, in der die Mutter lebt und in der jetzt der Sohn der Mutter dabei hilft, zu essen. Die Szene ist traurig und rührend zugleich.
Nicolas Schmidt ist tatsächlich bayerischer Beamter im Schuldienst und seit Jahren unter dem Pseudonym „Bybercap“ als Slam Poet aktiv. Sein YouTube-Video „Fly Like an Eagle“ ist mit über einer Million Klicks der meistverbreitete deutschsprachige Poetry Slam-Clip. Das Buch enthält eine Auswahl seiner besten Bühnentexte. Auf der beiliegenden CD finden sich neben eingesprochenen Texten auch vier Songs von Nicolas Schmidt. nin
Nicolas Schmidt: Dem Herrn Schmied sein Tagebuch, Juli 2013, Periplaneta Berlin.
Folge eins der Kolumne “das Christkind ist ein Mädchen” lesen Sie hier
Folge zwei der Kolumne “Im neuen Jahr rette ich die Welt” lesen Sie hier