Zu viel Bildschirm: Kinder werden immer träger – Sportärzte fordern Ganztagsschulen

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HANNOVER. Eltern wissen, dass Bildschirme ihren Nachwuchs magisch anziehen. Auch wegen des gestiegenen Medienkonsums sind immer mehr Kinder zu inaktiv – und zu dick. Die Ganztagsschulen könnten hier gegensteuern, sind die niedersächsischen Sportärzte überzeugt.

Computerspiele fesseln Kinder - wie diese beiden vor dem Bildschirm. Foto: pcgn7 / Flickr (CC BY-NC 2.0)
Computerspiele fesseln Kinder – wie diese beiden vor dem Bildschirm. Foto: pcgn7 / Flickr (CC BY-NC 2.0)

Stillsitzen statt rennen und klettern: Die niedersächsischen Sportärzte beklagen, dass in den Schulen die Bewegung zu kurz kommt. Gerade wegen der Ganztagsbetreuung sei es sinnvoll, Bewegung und Belastung in den Schulalltag zu integrieren, sagte Uwe Tegtbur, Direktor des Instituts für Sportmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover. «Abends setzen sich viele Jugendliche nur noch an den Rechner.»

Der Medienkonsum von drei bis vier Stunden am Tag sowie die Abkehr vom Vereinssport führt den Sportmedizinern zufolge zu erheblichen gesundheitlichen Schäden. Kinder, die lieber daddeln als Fußball spielen, neigen zu Übergewicht. In Deutschland sind 15 Prozent aller 3- bis 17-Jährigen zu schwer, jeder zweite bis dritte davon ist sogar stark übergewichtig. Bluthochdruck und Stoffwechselstörungen sind häufige Folgen. Wege aus der Misere diskutierten Mediziner, Lehrer und Schulleiter am Mittwoch beim 13. niedersächsischen Sportärztetag in Hannover.

Wissenschaftlich belegt ist, dass Bewegungsprogramme in der Schule Übergewicht vorbeugen. Gleichzeitig steigern sie den Lernerfolg der Jungen und Mädchen und erhöhen ihre Konzentrationsfähigkeit. Bei der Göttinger Initiative «Fit für Pisa» zum Beispiel bieten die teilnehmenden Grundschulen zusätzlichen Sportunterricht an, darüber hinaus gibt es Ernährungs- und Kochkurse. Ein «Patenarzt» ist auch für Eltern Ansprechpartner in Gesundheitsfragen.

Der Landessportbund plädiert bereits seit Jahrzehnten für eine Ausweitung des Sportunterrichts. Bisher stehen nur zweimal 45 Minuten pro Woche auf dem Stundenplan. Bei der Gestaltung des Ganztages sind die Vereine ein wichtiger Partner. Der Landessportbund hat 17 Koordinierungsstellen für alle Regionen Niedersachsens eingerichtet. Hier wird gebündelt, welche Sportangebote mit welchen Partnern in den Schulen möglich sind. Für Ende Januar ist ein Gespräch mit Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) geplant. «Es gibt noch Defizite», sagte der Chef des Landessportbundes Reinhard Rawe.

Rund 80 Prozent der 6- bis 10-jährigen Kinder betreiben Sport. Die Vereine beklagen aber massenhafte Austritte im Pubertätsalter. Wenn Schulen am Nachmittag Trendsport anbieten, könnten Jugendliche zurückgewonnen werden, sagt Hermann Städtler. Der Beauftragte des Kultusministeriums für das Projekt «Bewegte Schule – gesunde Schule Niedersachsen» ist Leiter der Fridtjof-Nansen-Schule in Hannover. Dort gibt es auf den Fluren Kletterwände und Schlaufen zum Hangeln.

«Grundsätzlich wohnt in jedem Kind Bewegungsfreude», ist Städtler überzeugt. Es gehe darum, die Generation Bildschirm aus der Trägheitsfalle zu locken. dpa

Zum Bericht: Studie: Kinder in Sportvereinen sind auch psychisch fit

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8 Kommentare
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alexander
9 Jahre zuvor

… aha, die Schule soll’s mal wieder richten! Wie sieht es eigentlich mit der Verantwortung der Eltern aus? Durch die Abschaffung von G8 beispielsweise in Hessen sollten die Kinder (und Kinderinnen 😉 ) wieder mehr Zeit für ihre Hobbies außerhalb der Schule und für Aktivitäten in Vereinen haben. Und hier will man nun doch wieder die Schule in die Pflicht nehmen, mit Kochkursen, zusätzlichem Sportunterricht und ähnlichen Kinderbelustigungsprogrammen.

Reinhard
9 Jahre zuvor

Vielfach festgestellt: die Vereine können nicht in die Schulen kommen, weil die Zeiten nicht zusammenpassen: Trainer sind entweder berufstätig oder selber noch in der (Ganztags-)Schule, können also nicht zwischen 1 und 4 Sport anbieten. Außerdem macht es keinen Spaß, Kinder zu trainieren, die nicht (wie im Verein) freiwillig kommen.
Also: gebt uns Sportlehrer, dann lassen wir die Kinder sich bewegen.
In unseren AGs gibt’s Bewegung, allerdings nur für die, welche die AG gewählt haben – das sind selten die Problemfälle …

sofawolf
9 Jahre zuvor

Ich frage gerne immer wieder nach dem Sinn von Ganztagsschulen, wo dann einfach nur die Unterrichtszeit nach hinten ausgeweitet wird (bis 16.00 Uhr) z.B., obwohl die meisten Kinder nach dem Mittagessen kaum noch aufnahmebereit sind und wo sie dann zwangsweise an AGs/IGs teilnehmen müssen, obwohl sie eigentlich lieber etwas anderes getan hätten und sei es nur sich zu erholen.

F. H.
9 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Nach dem Sinn von Ganztagsschulen frage ich mich auch, außer wenn Eltern doppelt berufstätig sind und sein müssen, weil ein Lohn in manchen Fällen zum Familienunterhalt kaum mehr reicht und auch an die Rente gedacht wird.
Dem Staat und der Wirschaft sind Arbeitskräfte nur zu willkommen. Die Zeche bezahlen allerdings die Frauen und noch mehr die Kinder mit ihren ganztägigen Aufbewahrungszeiten in staatlichen Bewahranstalten, die ich als Betrug an ihrer Kindheit und Jugend ansehe.
Seitens der Politik wird das Bild natürlich anders gemalt. Da werden schon die Babykrippen als einzig wahre Bildungsstätten dargestellt, weil den Kindern daheim angeblich die nötigen Bildungsanreize fehlen. Es ist ein Jammer, was alles getan wird, um den Menschen den Kopf zu verdrehen, damit es wieder heißen kann „Die Wirtschaft ist gewachsen und die Steuern sind gesprudelt.“

Heike
9 Jahre zuvor
Antwortet  F. H.

So ist es!
Wer sich für Kritik an der Ganztagsschule aus noch anderer Perspektive interessiert, dem kann ich nur einen Artikel von Birgit Kelle empfehlen, der sich wie alle anderen von ihr leicht und unterhaltsam liest. Sie ist Journalistin (Kolumnistin) und Mutter von 4 Kindern.
http://www.theeuropean.de/birgit-kelle/7247-kritik-an-der-soziologin-jutta-allmendinger

Bernd
9 Jahre zuvor
Antwortet  F. H.

Und wovon leben Sie, wenn nicht von „der Wirtschaft“ oder „den Steuern“?

F. H.
9 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Weil Sie es sind, hier extra der Link zu einer passenden 2-seitigen Buchbesprechung von einem Grünen, und das auch noch im „Spiegel“. Ist das kein Entgegenkommen?
http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/buchkritik-wenn-wachstum-zum-mantra-wird/9470850.html

Jedenfalls könnten Sie dann noch einmal gründlicher über die Steuern und deren Verwendung nachdenken. Um meinen, Ihren und anderer Leute Lebensunterhalt zu finanzieren, braucht es keine exorbitanten Steuereinnahmen wie in den letzten Jahren, auf Kosten doppelt belasteter Mütter und ganztägig in Masseneirichtungen mit hohem Stressfaktor untergebrachter Kinder.

geli
9 Jahre zuvor

Statt Ganztagsbetreuungen mit den ihnen eigenen Schattenseiten gegen „zu viel Bildschirm“ zu fordern, wäre eine noch massivere Aufklärung über die Folgen von Bildschirmmissbrauch sinnvoller. Wer weiß, wie viele Kinder auch nach der Betreuung und an den Wochenenden noch exzessiv fernsehen.
Ganztagsschulen sind nun mal kein Allheilmittel, auch sie haben erhebliche Tücken. Die werden nur gern verschwiegen, damit Väter und Mütter „beruhigt“ arbeiten gehen können.