Die reichste Schule Deutschlands – gemessen an alten Büchern: Das Hamburger Christianeum holt einzigartigen Schatz aus der Versenkung

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HAMBURG. Dank Internet und Computern können sich Schulkinder heute beliebig viele Bilder und Texte anschauen. Ein Hamburger Gymnasium bietet seinen Schülern dagegen einen einzigartigen Zugang zu einer Medienwelt längst vergangener Zeit.

Die mit farbigen Miniaturen reich verzierte Handschrift von «Il Filostrato», einem Frühwerk des Dichters Giovanni Boccaccio von 1360, dürfte ein weltweit singuläres Werk sein. Foto: Wikimedia Commons
Die mit farbigen Miniaturen reich verzierte Handschrift von «Il Filostrato», einem Frühwerk des Dichters Giovanni Boccaccio von 1360, dürfte ein weltweit singuläres Werk sein. Foto: Wikimedia Commons

Während immer mehr Schulen in Deutschland auf Internet und Computer setzen, begeistert das Hamburger Christianeum seine Schüler mit sehr, sehr alten Medien. Im Besitz des humanistischen Gymnasiums befinden sich eine mittelalterliche Handschrift von Dantes «Göttlicher Komödie», ein Band handgeschriebener Predigten des Reformators Philipp Melanchthon (1497-1560), eine Barther Bibel von 1588 sowie zahlreiche weitere literarische Kostbarkeiten.

Viele Jahre lagen die Handschriften, Wiegendrucke und Kupferstiche in einem Bunker. «Da hat sich niemals jemand hin verirrt», sagt Schulleiterin Diana Amann. «Jetzt wollen wir die Bibliothek aus dem Dornröschenschlaf wecken.» Die rund 27 000 Bände – davon mehr als 10.000 aus der Zeit vor 1800 – seien «eine bibliophile Brücke zwischen Geschichte und Moderne», erklärt Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) am Montag bei der feierlichen Wiedereröffnung der Einrichtung in neuen Räumlichkeiten.

Die Entstehung des Bücherschatzes ist eng mit der deutsch-dänischen Geschichte der Schule verknüpft. 1738 ließ König Christian VI. von Dänemark das Gymnasium in Altona gründen. Die Stadt stand damals unter dänischer Verwaltung. Das dänische Steuerrecht habe Schenkungen begünstigt, erklärt Amann. Der Theologe Johann Otto Glüsing vermachte der Schule seine wertvolle Büchersammlung und legte damit den Grundstock für die historische Bibliothek. Zwei weitere bedeutende Schenkungen kamen im 18. Jahrhundert von den Theologen Johann Peter Kohl und Johann Bolten.

Historische Kostbarkeiten im Keller

Heute ist das Christianeum das größte von vier humanistischen Gymnasien in Hamburg. Die 1000 Schüler lernen Latein und Altgriechisch in einer sogenannten Schulmaschine im Stadtteil Othmarschen. Der 1972 eingeweihte Neubau ist eine «Denkfabrik» des dänischen Architekten Arne Jacobsen und steht inzwischen unter Denkmalschutz. Die Stadt Hamburg hat in die Sanierung 19,7 Millionen Euro gesteckt, davon entfallen 1,2 Millionen auf die neue Bibliothek im Keller des Gebäudes.

Dort können die Schüler an PCs arbeiten und den normalen Bücherbestand nutzen. In einem Extra-Raum lagern die historischen Kostbarkeiten, die mit Hilfe der Reemtsma-Stiftung saniert wurden.

Betreut wird diese Schatzkammer von Bibliothekarin Heike Müller. Sie soll Schülern und Lehrern beim Umgang mit den wertvollen Werken helfen. «Die Kinder sagen, das sieht aus wie bei Harry Potter», berichtet Müller beim Blick auf die Regale voller alter Bücher. Sie nimmt einen kleinen Band des Mathematikers Michael Neander (1529-1581) in die Hand. Das Buch enthält gezeichnete Horoskope, darunter das des Reformators Martin Luther. Ein Wissenschaftler habe sich kürzlich für das Werk interessiert und es digitalisieren lassen.

Auf die gleiche Weise zugänglich ist auch Dantes «Comedya». Von dem spektakulären Werk, mit dem der Dichter Italienisch als Literatursprache etablierte, gebe es weltweit vermutlich nur drei Handschriften aus dem 15. Jahrhundert, sagt die Elternratsvorsitzende und Kunsthistorikerin Katja Conradi. Es ist so wertvoll, dass es außerhalb der Schule in einem Banktresor gelagert werden muss.

Die Schüler sollen das Original aber alle mal in Augenschein nehmen dürfen, genauso wie die ebenfalls mit farbigen Miniaturen reich verzierte Handschrift von «Il Filostrato», einem Frühwerk des Dichters Giovanni Boccaccio. Die Handschrift von 1360 dürfte ein weltweit singuläres Werk sein.

«Die Faszination, die diese alten Bücher auslösen, ist ganz deutlich zu spüren», sagt Conradi, die den Verein Amici Bibliothecae Christianei (Freunde der Bibliothek des Christianeums) leitet. Schüler meldeten sich freiwillig zu Arbeiten in der Bibliothek, sagt Schulleiterin Amann. Erst kürzlich hatte Müller in der Frühstunde vor Unterrichtsbeginn eine Helferin aus der fünften Klasse. Die Begeisterung, die die alten Werke entfachen, soll für Projekte in Kunst, Geschichte, Sprachen, Religion, Naturwissenschaften und anderen Fächern genutzt werden. Von Bernhard Sprengel, dpa

Wikimedia bietet eine Sammlung von 95 Fotos von Werken aus der Bibliothek des Christianeums – hier.

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