Debatte auf didacta um „Bestnoten-Inflation“: Was ist das Abitur noch wert?

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HANNOVER. Die Zahl der Abiturientinnen und Abiturienten mit Bestnoten steigt. Woran liegt das? Werden die Schüler immer schlauer oder die Prüfungen stetig leichter? Und wie viel ist die Bestnote noch wert, wenn sie immer häufiger vergeben wird? Eine Bestandsaufnahme aus Anlass der didacta, die am kommenden Dienstag in Hannover startet. Das Thema wird auf Europas größter Bildungsmesse breit diskutiert.

Hier geht’s zum „Teacher’s Guide“ von News4teachers zur didacta.

Gute Zeugnisnoten sind für Studium und Berufswahl bis heute ein entscheidender Faktor. Foto: Pixabay

 

Die Abschlussnoten werden immer besser. Das zeigt nicht zuletzt die Statistik der Kultusministerkonferenz (KMK). Vor zehn Jahren hatte in Deutschland noch nicht einmal jeder hundertste Abiturient einen Schnitt von 1,0. 2014 waren es schon 50 Prozent mehr als 2006, die die Bestnote erhielten.

Ein Blick auf das Ranking der einzelnen Bundesländer zeigt die regionalen Unterschiede. Laut einer Veröffentlichung der KMK zu den bundesweiten Abiturabschlussnoten von 2014 kommen die besten Schülerinnen und Schüler aus Thüringen, denn sie erreichten am häufigsten ein Abiturdurchschnitt von 1,0. Abiturienten in Niedersachsen erhielten hingegen die schlechtesten Noten: Ein Drittel von ihnen erzielte einen Schnitt von 3,0 oder schlechter.

Studienberechtigt = Studierfähig?

Gewerkschaften und Lehrerverbände beklagen die „Inflation“ guter Abiturnoten. Allein in Berlin habe sich die Zahl der Abiturzeugnisse mit einem Notendurchschnitt von 1,0 innerhalb von zehn Jahren vervierzehnfacht. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des deutschen Lehrerverbands, sieht unterschiedliche Gründe für diese Entwicklung. Spätestens seit dem sogenannten „PISA-Schock“ von 2001 habe die deutsche Bildungspolitik erhöhte Abiturienten- und Studierendenzahlen forciert, um „im internationalen Wettbewerb keine Nachteile zu haben“. Zudem argumentiere die Wirtschaft, dass für viele Berufsbilder ein guter Hauptschulabschluss oder der Mittlere Schulabschluss nicht mehr ausreichten. Meidinger befürchtet, dass das Abitur als Hochschulzugangsberechtigung in Frage gestellt wird, „wenn hinter der Studienberechtigung immer häufiger keine Studierbefähigung mehr steht“, sagte er in Gespräch mit der Zeitschrift „Begegnung“.

Abiturnoten und Abschlussnoten im Studium sollen Leistungen vergleichbar machen. Sie dienen den Hochschulen und den Arbeitgebern dazu, die Leistung von Studierenden einzuschätzen. Doch bieten gute Noten eine Gewähr für eine gute Qualifikation? Nein, meinen viele Bildungsforscher. Bereits 2012 stellte der Wissenschaftsrat fest, dass bei den Studiengängen mit traditionellen Abschlüssen – Diplom und Magister sowie Staatsexamen ohne Lehramt – der Anteil der mit „gut“ oder „sehr gut“ bewerteten Abschlussprüfungen zwischen 2000 und 2011 von 67,8 Prozent auf 76,7 Prozent gestiegen war. Volker Müller-Benedict, Professor für Forschungsmethoden und Statistik an der Europa-Universität Flensburg, bestätigt diese Entwicklung. Seit Beginn der 70er Jahre werden Examensnoten an deutschen Hochschulen immer besser.

Nicht linear, sondern zyklisch

Gemeinsam mit dem Bildungsökonomen Gerd Grözinger untersuchte er die langfristigen Verläufe der Examensnoten für zentrale Fächer an unterschiedlichen Hochschulen. Der Trend zur Notenverbesserung verlaufe in Zyklen, so Müller-Benedict. Phasen von stärkerer Verbesserung wechselten mit Phasen von schwächerer Verschlechterung ab. Diese Phasen seien für viele Fächer mit den Arbeitsmarktaussichten oder den Studierendenzahlen gekoppelt. „Bei schlechten Arbeitsmarktaussichten werden schlechtere Noten vergeben, die ‚Guten‘ werden stärker selektiert. In Zeiten starken Studienandrangs werden ebenfalls schlechtere Noten vergeben. Weil jedoch in den Zeiten der Verbesserung der Noten – gute Arbeitsmarktlage oder weniger Studierende – die Höhe der Verbesserung immer größer ausfällt als in der anschließenden Verschlechterungsphase, ergibt sich langfristig der Trend zur ständigen Notenverbesserung“, erläutert er.

Das Fazit der Forscher fällt ernüchternd aus: „Noten signalisieren Leistungsdifferenz. Durch die Noteninflation führen sich Noten irgendwann selbst ad absurdum, denn Leistungsdifferenzierung ist irgendwann nicht mehr möglich, wenn sich die Noten im niedrigeren Bereich drängeln. Und wenn Noten aufgrund unterschiedlicher Kulturen nicht vergleichbar sind, führt das auch zu Ungerechtigkeit, zum Beispiel beim Übergang vom Bachelor zum Master. Unsere Ergebnisse stellen daher die Gerechtigkeit von Noten in Frage.“

Hier geht’s zum „Teacher’s Guide“ von News4teachers zur didacta.

Dazu auf der didacta 2018 in Hannover:

Forum didacta aktuell (Halle 12, Stand D14)
Donnerstag, 22. Februar 2018
11.00 Uhr – 11.15 Uhr
Vorstellung der Studie „Konstanzer Studierendensurvey“ und Thema „Noten an Deutschlands Hochschulen“
Prof. Dr. Volker Müller-Benedict, Europa-Universität Flensburg
Veranstalter: Didacta Verband e.V.

Donnerstag, 22. Februar 2018
11.15 Uhr – 12.30 Uhr
Bestnoten für alle? Noteninflation – Qualitätsverlust – Akademikerquoten
Prof. Dr. Volker Müller-Benedict, Europa-Universität Flensburg
Prof. Dr. Stefan Hornbostel, Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW)
Prof. Dr. rer. nat. Hans Peter Klein, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes
Veranstalter: Didacta Verband e.V.

Forum Bildung (Halle 12, Stand C45)
Mittwoch, 21. Februar 2018
13.30 Uhr – 14.30 Uhr
Inflation der Bestnoten: Lehrer zwischen allen Stühlen?
Es diskutieren:
Horst Audritz, Vorsitzender des Philologenverbandes Niedersachsen
Mike Finke, Vorsitzender des Landeselternrates Niedersachsen
Prof. Dr. Ewald Kiel, Ludwig-Maximilians-Universität München, Fakultät für Psychologie
Veranstalter: Verband Bildungsmedien e.V.

 

 

 

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Pälzer
6 Jahre zuvor

Problemverschärfer: numerus clausus. Bekanntlich kann keiner ein guter Arzt sein, dessen Abi unter 1,1 liegt.
Ausweg: Eingangsprüfungen an den Universitäten. Dann zählt die Kenntnis, nicht die Note.