Entscheidung am Dienstag: Kommt jetzt das Streikrecht für beamtete Lehrer?

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KARLSRUHE. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in der kommenden Woche, ob Lehrer streiken dürfen, auch wenn sie Beamte sind. Über die Folgen herrscht noch weitgehende Unklarheit.

Lehrer im Angestelltenverhältnis dürfen für mehr Gehalt oder bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gehen und streiken. Für verbeamtete Lehrer gilt das nicht. Denn Staat und Beamte stehen in einem besonderen gegenseitigen Treue- und Pflichtverhältnis. Am Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht über vier Verfassungsbeschwerden von Lehrern zum Streikrecht für Beamte.

Längst nicht alle Lehrerverbände unterstützen die Forderung nach eine Abschaffung des Streikverbots für beamtete Lehrer. Foto: FaceMePLS / flickr (CC BY 2.0)
Längst nicht alle Lehrerverbände unterstützen die Forderung nach eine Abschaffung des Streikverbots für beamtete Lehrer. Foto: FaceMePLS / flickr (CC BY 2.0)

In der mündlichen Verhandlung im Januar hatte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor weitreichenden Folgen gewarnt, sollte das Streikverbot aufgeweicht werden. Dass Beamte nicht streiken dürfen, sichere die Funktionsfähigkeit der Verwaltung, mahnte er. Rosinenpickerei dürfe es nicht geben.

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Der dbb Beamtenbund und Tarifunion betont die besondere Bedeutung von Lehrern: «Der Staat ist in der Pflicht, den Zugang zu und die Vermittlung von schulischer Bildung flächendeckend und ohne Beeinträchtigung durch Arbeitskampfmaßnahmen zu gewähren», heißt es in einer Stellungnahme. Daher sei es zwingend, das Wohl und Wehe der nachwachsenden Generationen in die Hände verbeamteter Pädagogen zu legen. Von rund 800 000 Lehrern in Deutschland sind etwa drei Viertel Beamte.

Die Bildungsgewerkschaft GEW als Unterstützerin der Beschwerden betont, dass sie gar kein pauschales Streikrecht für alle Beamte fordere. Das Grundrecht darauf dürfe aber Beamten mit nicht hoheitlichen Tätigkeiten nicht verwehrt werden. Mit massenhaftem Unterrichtsausfall wegen streikender Lehrer wäre nach Überzeugung der GEW nicht zu rechnen.

«Das Streikrecht ist ein Menschenrecht, das den Lehrerinnen und Lehrern bis heute vorenthalten wird», sagt die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe. Die GEW setze sich für eine Modernisierung des Beamtenrechts ein, damit der Staat den aktuellen Anforderungen gerecht werden könne. «Wir sind ge- aber entspannt, wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Wir werden das Urteil prüfen, bewerten und dann über unser weiteres Vorgehen entscheiden.» Eine starke Demokratie wie in Deutschland hält es nach Tepes Ansicht aus, wenn Lehrer streiken.

Die Befürworter des Streikrechts berufen sich auch auf die Europäische Menschenrechtskonvention und den Straßburger Menschenrechtsgerichtshof, der nicht hoheitlich tätigen Beamten das Streikrecht zugesteht. Der Rechtswissenschaftler Matthias Pechstein hält die Unterscheidung in zwei Arten von Beamten allerdings für schwierig. Wenn Beamte gegen den Gesetzgeber streiken dürften, gäbe es keine Rechtfertigung mehr für ihre staatliche Alimentation.

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Wie viel Unterrichtsausfall durch Lehrer-Streiks wirklich drohen würde, lässt sich nur abschätzen. Nach einer Statistik des Wirschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung kommen in Deutschland in der gesamten Wirtschaft 16 streikbedingte Ausfalltage pro 1000 Beschäftige im Jahr zusammen (Durchschnitt der Jahre 2007 bis 2016). Deutschland liegt damit europaweit im Mittelfeld. In der Schweiz und in Österreich wird mit einem und zwei Ausfalltagen sehr selten gestreikt, in Dänemark mit 119 und Frankreich mit 117 Tagen dagegen deutlich häufiger.

In Sachsen haben Kultusministerium, Eltern und Kinder bereits Erfahrungen mit streikenden Lehrern, denn dort sind diese zumeist angestellt. Bisher gab es nach Angaben des Ministeriums nur Warnstreiks, keine länger dauernden Erzwingungsstreiks. An zwei landesweiten Warnstreiks im März 2015 hatten sich zum Beispiel 12 500 und 11 500 Lehrer beteiligt, das waren etwa 42 und 39 Prozent der Beschäftigten. Wegen Krankheit fehlen Lehrer in Sachsen nach der Statistik des Ministeriums häufiger. 2017 waren es durchschnittlich 16,4 Tage.

Wie die Bedeutung von Streiks in der gesamten Wirtschaft für Arbeitsausfälle im Vergleich zu Krankheitsausfällen einzuschätzen ist, zeigen Zahlen der Techniker Krankenkasse (TK). Ihre Mitglieder kamen 2016 auf durchschnittlich 15,2 Fehltage. Insgesamt registrierte die TK rund 75 Millionen Fehltage. Dagegen stehen nach Zahlen der Hans-Böckler-Stiftung im selben Jahr 462 000 Streiktage bei allen Beschäftigten in Deutschland. 2017 lag die Zahl mit 238 000 noch deutlich darunter, 2015 dagegen mit gut 2 Millionen deutlich darüber. (Sönke Möhl, dpa)

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