Überqualifizierte Azubis? Viele Auszubildende haben Abi oder Fachabi

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DÜSSELDORF. Immer mehr Schüler machen Hochschul- oder Fachhochschulreife – das kommt auch in Ausbildungsberufen an: Der Anteil der Azubis mit Abi oder Fachabi wächst. Häufig fehlt es diesen Bewerbern nach dem Abschluss laut Wirtschaftskammern aber an Orientierung.

Welchen Wert hat denn noch ein Haupt- oder Realschulabschluss?            Foto: Chemie-Verbände B-W / flickr / CC BY 2.0

In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel haben immer mehr Auszubildende Abitur oder Fachabitur. Fast jeder zweite Azubi in Industrie und Handel besaß im vergangenen Jahr die Hochschul- oder Fachhochschulreife, im Handwerk war es knapp jeder fünfte, wie die Wirtschaftskammern in NRW auf Anfrage mitteilten. Ihr Anteil hat sich in den vergangenen elf Jahren verdoppelt beziehungsweise verdreifacht. Der Trend geht damit einher, dass immer mehr Schüler Abi oder Fachabi machen.

Laut NRW-Schulministerium stieg ihr Anteil an allen Schulabgängern von 2006 bis 2016 von rund 31 auf knapp 43 Prozent – ein Großteil davon sind Abiturienten. Über die Gründe dieser Entwicklung gibt es verschiedene Ansichten. So sinken nach Meinung des Frankfurter Bildungsforschers Hans Peter Klein die fachlichen Ansprüche des Abiturs in Deutschland. Der NRW-Landesvorsitzende der VBE, Stefan Behlau, meint hingegen, dass aus gesellschaftlichen Gründen mittlerweile viele Jugendliche das Abitur anstrebten und die Schüler sich intensiver vorbereiteten.

Die Entwicklung stellt die Wirtschaftskammern vor Herausforderungen. Sie bemängeln, dass diese Bewerber nach dem Abschluss häufig nicht fit für den Start ins Berufsleben oder die Uni sind. Etwa an Gymnasien werde auf Berufsorientierung und Bewerbungstraining weniger Wert gelegt als an Haupt- oder Realschulen, sagte der Bildungsexperte des Westdeutschen Handwerkskammertags (WHKT), Andreas Oehme.

In einem bildungspolitischen WHKT-Papier heißt es, dass heute vor allem Abiturienten, Fachabiturienten und Studienabbrecher Beratung bei den Wirtschaftskammern suchten. Die Kammern bemängeln zudem schlechte Noten bei vielen Bewerbern und wachsenden Mangel an sozialen Kompetenzen.

Dass aber etwa Hauptschüler heute leer ausgehen, weil Abiturienten ihnen die Leerstellen wegschnappen, sieht Oehme nicht. Es gebe immer mehr offene und unbesetzte Ausbildungsstellen: «Das Handwerk benötigt Schulabsolventen mit allen Abschlüssen.» dpa

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2 Kommentare
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xxx
5 Jahre zuvor

„So sinken nach Meinung des Frankfurter Bildungsforschers Hans Peter Klein die fachlichen Ansprüche des Abiturs in Deutschland. Der NRW-Landesvorsitzende der VBE, Stefan Behlau, meint hingegen, dass aus gesellschaftlichen Gründen mittlerweile viele Jugendliche das Abitur anstrebten und die Schüler sich intensiver vorbereiteten.“

-> Klein hat recht (fachliche Ansprüche), Behlau im ersten Teil (gesellschaftliche Gründe). Ob sich die Schüler intensiver als in früheren Generationen vorbereiten, kann ich nicht beurteilen. Durch die zentral gestellten Abituraufgaben halte ich ein gezieltes Teaching to the Test für obligatorisch.

„Die Entwicklung stellt die Wirtschaftskammern vor Herausforderungen. Sie bemängeln, dass diese Bewerber nach dem Abschluss häufig nicht fit für den Start ins Berufsleben oder die Uni sind.“

-> Wenn keine Leistung, sondern nur noch Kompetenz eingefordert wird, ist das kein Wunder.

„Etwa an Gymnasien werde auf Berufsorientierung und Bewerbungstraining weniger Wert gelegt als an Haupt- oder Realschulen, sagte der Bildungsexperte des Westdeutschen Handwerkskammertags (WHKT), Andreas Oehme.“

-> Das ist nicht die Aufgabe des Gymnasiums, weil dessen ursächliche Aufgabe die Studierbefähigung ist.

„In einem bildungspolitischen WHKT-Papier heißt es, dass heute vor allem Abiturienten, Fachabiturienten und Studienabbrecher Beratung bei den Wirtschaftskammern suchten. Die Kammern bemängeln zudem schlechte Noten bei vielen Bewerbern und wachsenden Mangel an sozialen Kompetenzen.“

-> Das sollte aber unabhängig von der Schulform zutreffen. Die Studienabbrecher dürften an den Anforderungen und dem Leistungsdruck gescheitert sein. Beides wurde auch am Gymnasium weitgehend abgeschafft.

Cavalieri
5 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

„… dass aus gesellschaftlichen Gründen mittlerweile viele Jugendliche das Abitur anstrebten und die Schüler sich intensiver vorbereiteten.”
Der erste Halbsatz stimmt sicher, aber der zweite widerspricht in gewisser Weise diesem Artikel hier:
https://www.news4teachers.de/2018/06/bildung-kann-es-ohne-konzentration-anstrengung-fleiss-und-selbstdisziplin-nicht-geben-doch-wenn-schueler-scheitern-ist-der-lehrer-schuld/
Sicher wird das Abitur als solches intensiv vorbereitet, aber das heißt ja nicht, dass in 12 Jahren vorher auch so intensiv gearbeitet wurde. Die Abiaufgaben sind besser vorhersehbar geworden, es gibt Standardtypen, jedenfalls in Mathematik. Insofern besteht auch kein Widerspruch zwischen den Aussagen von Klein und Behlau.