«Naturpille»: Schon 20 Minuten im Grünen senken das Stresslevel

0

ANN ARBOR. In der Natur zu sein ist eine Wohltat gegen Stressgefühle. Wohl kaum jemand wird das bestreiten. Forscher haben nun erkundet, wie lange man für einen Effekt in grüner Umgebung unterwegs sein muss. Und auch, was man dabei besser lassen sollte.

Blätterrauschen, knospendes Grün und der Duft von Tannennadeln: Im Frühling zieht es viele Menschen in den Wald. Schon ein kurzer Spaziergang dort kann Stress deutlich reduzieren helfen, bestätigt eine Studie der US-amerikanischen Universität Michigan. Demnach genügen 20 Minuten täglich im Grünen, um das Level an Stresshormonen merklich zu vermindern. Die Forscher sprechen im Fachmagazin «Frontiers in Psychology» von einer «Naturpille».

Schon 20 Minuten im Grünen sind eine Wohltat. Foto: BS / Pixabay (CC0 1.0)
Schon 20 Minuten im Grünen sind eine Wohltat. Foto: BS / Pixabay (CC0 1.0)

«Wir wissen bereits, dass es Stress reduziert, wenn man Zeit in der Natur verbringt», sagt die Ökologin und Hauptautorin MaryCarol Hunter. «Bislang war aber unklar, wie lange und wie oft man in die Natur gehen sollte und auch, welche Art von Naturerfahrung uns nützt.» Die Untersuchung habe nun ergeben, dass schon 20 bis 30 Minuten in einer Umgebung, die einem ein Gefühl von Natur vermittelt, ausreichen, um effektiv den Cortisolspiegel im Körper zu senken.

Cortisol, auch als Stresshormon bezeichnet, wird in der Nebennierenrinde hergestellt und in der Leber abgebaut. Dauerhaft erhöhte Cortisolwerte, etwa durch chronischen Stress, werden mit Übergewicht, einer Schwächung des Immunsystems, Herz-Kreislauf-Störungen, Depressionen und einer Reihe weiterer Erkrankungen in Verbindung gebracht.

Die Wissenschaftler der Universität Michigan hatten einer Gruppe von 36 Freiwilligen eine regelmäßige «Naturpille» verordnet: Damit meinten die Forscher mindestens drei Spaziergänge pro Woche in der Natur mit einer Dauer von zehn Minuten oder mehr. Vor, während und nach dem Experiment wurden die Cortisolwerte der Teilnehmer durch Analyse einer Speichelprobe bestimmt.

Die Freiwilligen konnten den Tag, die Dauer und den Ort ihres Naturerlebnisses selbst bestimmen, damit es zu ihrem individuellen Lebensstil passte. Sie mussten allerdings einige Stressfaktoren minimieren: «Sie sollten die Naturpille bei Tageslicht nehmen, keine sportlichen Übungen machen und Social Media, das Internet, Telefonanrufe, Unterhaltungen und Lesen vermeiden», führt Hunter aus.

Zurück zur Natur mit dem Smartphone – Forscher will mit digitalen Medien das Naturerleben von Jugendlichen stärken

Die Untersuchung ergab, dass schon 20 Minuten Naturerlebnis genug waren, um den Cortisolspiegel deutlich zu senken. Am meisten reduzierte sich das Stresshormon, wenn die Teilnehmer etwa 20 bis 30 Minuten sitzend oder gehend im Grünen verbrachten. Die Forscher hoffen nun, dass ihr Versuch die Wirksamkeit der «Naturpille» unterstreicht: als kostengünstiges therapeutisches Mittel zur Eindämmung der negativen Auswirkungen urbanen Lebens, das viele in geschlossenen Räumen und vor Bildschirmen verbringen.

«Ärzte könnten unsere Ergebnisse als evidenzbasierte Faustregel dafür verwenden, was in der Verschreibung einer „Naturpille“ enthalten sein muss», fasst Hunter zusammen. Die Daten reihen sich in eine wachsende Zahl von Untersuchungen ein, die die positiven Effekte eines Aufenthalts in der Natur oder speziell eines Waldspaziergangs belegen. So stellte der schwedische Forscher Roger Ulrich schon 1984 fest, dass sich allein der Anblick von Bäumen positiv auswirkt: Patienten, die nach einer Operation aus dem Krankenhausfenster auf Grün schauten, benötigten weniger Schmerzmittel und genasen schneller.

2015 ergänzte der US-amerikanische Umweltpsychologe Marc Berman, dass die Anzahl von Bäumen in einer Wohngegend die Gesundheit der Bewohner beeinflusst. Wer in grüneren Gebieten wohnte, litt seltener an Herz-Kreislauferkrankungen oder Diabetes. Zuvor hatte eine japanische Studie ergeben, dass regelmäßige und ausgedehnte Waldspaziergänge die Zahl der Natürlichen Killerzellen, eine Untergruppe der weißen Blutzellen und Teil des menschlichen Immunsystems, erhöhte.

In Japan ist das «Shinrin-yoku», also das «Baden im Wald», gar Teil der staatlichen Gesundheitsversorgung, «Waldmedizin» ist seit 2012 ein eigener Forschungszweig an japanischen Universitäten. Hier wird auch erforscht, welche Faktoren genau für die positiven gesundheitlichen Effekte sorgen. So ist noch unklar, ob es etwa an der Luft des Waldes liegt oder an der speziellen Vegetation.

Macht es etwa einen Unterschied, ob durch einen japanischen oder deutschen Wald spaziert wird? Den Selbstversuch kann man zumindest seit 2017 auf Usedom machen: Hier befindet sich der erste zertifizierte Kur- und Heilwald Deutschlands, auf der Website der Betreiber als «Natur-Apotheke» bezeichnet. (Alice Lanzke, dpa)

Erwachsenwerden geht nicht ganz von selbst: Was die Bildungsplaner und Lehrplanmacher völlig übersehen

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments