„Das muss uns aufrütteln“: Beauftragter gegen Antisemitismus setzt auf Schulen

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WIESBADEN. «Es wird kein leichtes Amt», warnt der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt den neuen Antisemitismus-Beauftragten Hessens. Der will auf Prävention setzen – gerade bei den Jugendlichen und im Bildungsbereich.

«Es braucht schon stärkere Sensibilisierung»: Holocaust-Mahnmal in Berlin. Foto: Shutterstock

Jakob Gutmark, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinden in Hessen, hat einen Traum. Von einer Gesellschaft, «in der die Kippa unbeschadet getragen werden kann, egal wann und wo.» Einer Gesellschaft, in der jüdische Einrichtungen nicht mehr von der Polizei geschützt werden müssen, einer Gesellschaft, in der jüdisches Leben selbstverständlicher Teil der Gesamtgesellschaft und ist und Teil ihrer Identität. Dass dieser Traum noch nicht Realität ist, zeigen nicht nur Berichte über Schulhöfe, an denen «Du Jude» als Schimpfwort gebraucht wird oder Angriffe auf religiöse Juden mit traditioneller Kopfbedeckung, der Kippa.

Auch die Ernennung des Frankfurter Bürgermeisters Uwe Becker (CDU) zum neuen Beauftragten des Landes für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus zeigt: Da ist noch einiges notwendig. Ihm sei kein Fall bekannt, dass eine jüdische Familie ihre Kinder nach Israel geschickt habe, weil sie ihre Sicherheit gefährdet sehe, betont der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) bei der offiziellen Vorstellung Beckers am Mittwoch in Wiesbaden.

«Aber wir wollen nicht warten», so Bouffier. Er halte die Entscheidung für einen hessischen Antisemitismusbeauftragten für notwendig. «Ich möchte nicht, dass jemand auf das Tragen der Kippa verzichtet, weil er Angst hat, zusammengeschlagen zu werden.»

Einschreiten, wenn in der Schulklasse  Bemerkungen fallen…

«Wir müssen aufhorchen», fordert Bouffier und verlangt Engagement gegen Gleichgültigkeit, wenn in Schulklassen, am Arbeitsplatz oder in sozialen Medien antisemitische Bemerkungen oder Beschimpfungen fallen. «Das muss uns noch mehr aufrütteln», sagt der hessische Regierungschef.

Vieles passiere unterschwellig, damit es nicht strafbar wird, sagt Gutmark über Antisemitismus im Alltag. «Das ist gefährlich, weil es gängig wird, weil wir uns daran gewöhnen.» Juden seien im Straßenbild nicht augenfällig und erkennbar. «Wir tragen keine Kippa, wir sehen wie andere Leute aus, wir sprechen genauso, wir gucken den Leuten in die Augen.» Deshalb äußere sich der Antisemitismus oft subtil – etwa in der Frage, ob Juden keine Steuern zahlten.

Salomon Korn, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, beobachtet Veränderungen – es werde auch in der Mitte der Gesellschaft «gesellschafts- um nicht zu sagen hoffähig», antisemitische Äußerungen zu machen, die noch vor einigen Jahren nicht öffentlich ausgesprochen worden wären. «Es wird kein leichtes Amt sein», prophezeit er Becker.

Im Kampf gegen Antisemitismus hält Becker vor allem Prävention und Bildung für wichtig. Antisemitismus sei lauter und aggressiver geworden, finde längst nicht mehr nur an den Rändern der Gesellschaft statt. «Es ist wichtig, dass die Gesellschaft nicht mit Gleichgültigkeit reagiert», sagt Becker. «Ich glaube, wir brauchen keine Wende in der Erinnerungskultur, sondern eine Wende in der Handlungskultur.»

Einige Projekte in Hessen zielen bereits in diese Richtung. Etwa das Präventionsprojekt «Antisemi-was?» des Hessischen Kultusministeriums und der Bildungsstätte Anne Frank. In Workshops für Schüler und Lehrer soll sensibilisiert werden, soll der Blick geschärft werden für Vorfälle und Bemerkungen. Deutlich und konsequent müsse «frühzeitig bei jungen Menschen präventiv angesetzt» werden, sagt Becker, der dem Beirat der Bildungsstätte angehört.

«Es braucht schon stärkere Sensibilisierung», sagt Becker zu Verharmlosungstendenzen, wenn etwa Jugendliche es nach Ansicht von Lehrern oder Eltern mit antisemitischen Äußerungen doch nicht so gemeint hätten. «Natürlich gibt es öfter eine Abwehrhaltung, dass Vorfälle nicht gesehen werden wollen.» Auch in Hessen sollen laut Becker Strukturen geschaffen werden, um antisemitische Vorfälle im Land zentral zu melden, ähnlich wie bisher bei der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus in Berlin.

Antisemitismus ist laut Definition des Verfassungsschutzes ein zentrales Element rechtsextremistischer Ideologie. Insgesamt ziele Antisemitismus auf «die Diffamierung und Diskriminierung einer behaupteten Gesamtheit „der Juden“ ab», heißt es. Der rechtsextremistische Antisemitismus baut insbesondere auf dem rassistischen Weltbild des Nationalsozialismus auf. Laut Verfassungsschutz ist der islamistische Antisemitismus dagegen nicht rassistisch begründet. Er fuße darauf, dass islamistische Organisationen prinzipiell den Staat Israel als Feind ansehen. Dieser Antizionismus sei stark antijüdisch gefärbt.

Die Zahl der registrierten antisemitischen Straftaten in Hessen ist laut Kriminalstatistik in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen. 50 Fälle weist die Statistik für das Jahr 2018 auf, dabei weit überwiegend aus dem rechten Spektrum. Im Jahr 2014 wurden noch 76 Straftaten von den Sicherheitsbehörden registriert. Von Eva Krafczyk und Bernd Glebe, dpa

Bayern macht gegen Antisemitismus mobil – auch in Schulen

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