Wie ein Digital-Modellgymnasium die Zukunft der digitalen Bildung vorwegnimmt

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DRESDEN. Wissen über Informatik und digitale Technik – das ist heutzutage so wichtig wie Mathe, sagen Experten. ‎Wie bereiten die Schulen die Kinder auf die Arbeitswelt von morgen vor? Ein Dresdner Gymnasium geht neue Wege. Andere Schulen sollen folgen.

Wie verändert die Digitalisierung den Unterricht? Ein Dresdener Gymnasium beschreitet neue Wege. (Symbolbild) Foto:
Junge Tüftler / flickr / CC BY-SA 2.0

Auf den Treppenstufen im Foyer sitzen in der Pause ein Dutzend Jungen und Mädchen. Sie stecken die Köpfe zusammen, in der Hand halten die meisten ein Handy. Während an vielen Schulen das Telefon tabu ist, braucht am Gymnasium Pieschen in Dresden niemand sein Smartphone zu verstecken – im Gegenteil. Die Schüler bestellen damit per App ihr Essen, sprechen Sätze im Fremdsprachenunterricht ein, messen, rechnen und planen ihren Schulalltag. «Ziel muss sein, dass die Kinder einen reflektierten, kompetenten Umgang mit der Technik lernen. Verbote werden das nicht erreichen», ist Schulleiterin Kerstin Ines Müller überzeugt.

Geplant ist ein Informatik-Leistungskurs – der erste in Sachsen

Das Gymnasium ist eine von noch wenigen Pilotschulen in Sachsen und soll zeigen, wie digital Schule sein kann. Zu Beginn des neuen Schuljahres hat das Gymnasium den neuen Campus im Dresdner Stadtteil Pieschen bezogen. Bis zu 1200 Schüler können hier einmal lernen, derzeit sind es noch rund 360 Jungen und Mädchen in der fünften, sechsten und siebten Klasse.

Von Anfang an steht Medienbildung auf dem Stundenplan, ab Klasse acht gibt es ein vertieftes IT-Profil mit drei Stunden pro Woche. Geplant ist auch ein Informatik-Leistungskurs ab 2023 – einen solchen gibt es bisher nicht in Sachsen. Der Informatik-Unterricht findet teils auf Englisch statt. Man sei dazu mit Unternehmen wie T-Systems, SAP oder Infineon ständig im Gespräch, um abzustimmen, was sie von künftigen Absolventen erwarten, sagt Müller, die das Konzept selbst mitentwickelt hat. «Spätestens, wenn man mit den Unternehmen spricht, dann hört man den Ruf nach IT-Fachkräften ganz deutlich.» Viele Kinder kommen aus dem Viertel, manche reisen aus Meißen, Radebeul oder Ottendorf an. «Wer diesen Schwerpunkt sucht, kommt dann auch zu uns», so Müller.

Neben dem regulären Unterricht bereiten Ganztagsangebote wie Programmieren, Websiten erstellen und Robotik die Kinder auf die künftige Arbeitswelt vor. «Die Schüler von heute werden morgen auf eine ganz neue Arbeitswelt treffen», so eine Sprecherin des Kultusministeriums. Kaum ein Beruf, der von der Digitalisierung nicht betroffen ist: «Die Tischler arbeiten mit computergesteuerten Holzsägen, ‎Landwirte erhalten per App Auskunft über die Milchproduktion jeder einzelnen Kuh und ‎Zahntechniker erschaffen Prothesen aus dem 3D-Drucker.»

Dem Netzwerk gehören rund ein Dutzend Schulen an

Die Pieschener Schule ist das bisher erste Gymnasium im Freistaat, das sich auf Medienbildung, Informatik und digitale Technologien (M.I.T.) spezialisiert hat – und damit laut Kultusministerium «Vorreiter des digitalen Lernens». Weitere sollen folgen: Neben dem Pieschener Gymnasium gehören zu dem Ende Juni in Dresden gegründeten Netzwerk mehrere Oberschulen in Dresden und Umgebung, Universitäten, verschiedene Schulträger und Freistaat. Weitere in Leipzig, Chemnitz und Mittweida sollen folgen. An rund einem Dutzend Pilotschulen soll das Thema Informatik und Digitalisierung vorangetrieben werden.

Nach Einschätzung von Frank Bösenberg, Geschäftsführer des Branchenverbandes Silicon Saxony, ist Wissen über Internet und Informatik heutzutage essenziell wichtig. «Das ist wie Mathe, das sollte jeder in Grundzügen kennen.» Dabei sollten Jugendliche möglichst zeitig an die Themen herangeführt werden. «Es muss nicht jeder nach dem Abitur in allen Sprachen programmieren können, aber es sollte ein Verständnis geben, was Software ist, wie ein Algorithmus funktioniert und wie Technik funktioniert.»

Matthes, der die siebte Klasse des Pieschener Gymnasiums besucht, findet es «richtig gut», dass man in der Pause einfach mal auf dem Handy «datteln» kann. An seiner vorigen Schule war das nicht erlaubt. Der 12-jährige Otto schlägt hingegen nachdenklichere Töne an: «Man sollte vielleicht ein paar Regeln einführen, dass man nicht die ganze Zeit am Handy sein darf. Das lenkt schon ein bisschen ab.»

Schüler den ganzen Tag vor dem Bildschirm? „Streben wir nicht an“

Computer-Nerds sollen an ihrer Schule nicht herangezogen werden, betont Schulleiterin Müller. «Wir streben nicht an, dass die Kinder den ganzen Schultag auf den Bildschirm starren.» Die Lehrer halten die Schüler zu Bewegung und Toben im Freien an, es gibt zahlreiche Sportangebote und Kurse zu gesunder Ernährung. Die Schule sei dabei, «ihren Weg» zu finden, sagt Müller. Eines aber steht fest: «Zettelwirtschaft», so die 50-jährige, gibt es bei ihr nicht. Ihr Ziel: eine papierfreie Schule. Statt Zettelchen am Schwarzen Brett, gibt es eine digitale Pinnwand, den Vertretungsplan gibt es ebenfalls online – so wie Zensuren oder Mitteilungen an die Eltern. In jedem Klassenraum gibt es eine interaktive Tafel oder einen Monitor.

Die Schule arbeitet eng mit Sven Hofmann, Professor für Didaktik der Informatik der Universität Leipzig, zusammen. Er ist Koordinator des M.I.T.-Netzwerkes und will Schulen im Freistaat auf dem Weg zur Digitalisierung helfen. «Bei vielen Lehrern muss erst noch eine Hemmschwelle überwunden werden, in dem ‎man ihnen bewusst macht, was mit den Geräten alles möglich ist», so Hofmann. Das digitale Medium sieht er nicht unbedingt als Ersatz für das klassische Lehrbuch, vielmehr als Ergänzung. «Manche Lehrer haben auch Sorgen, dass sie irgendwann nur noch im Unterricht sitzen ‎und die Geräte bedienen.» Es gehe beim Thema Digitalisierung aber vielmehr darum, die Lehrer mit dem entsprechenden Wissen auszustatten, so Hofmann. ‎«Wichtig ist, dass die Lehrer mitziehen‎.» Von Christiane Raatz, dpa

Auf die Ausbildung der Lehrer kommt es an: bak Seminartag diskutiert über Chancen und Risiken der Digitalisierung von Schulen

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2 Kommentare
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Chuck
4 Jahre zuvor

Ohne professionelle IT Administration (wie in Unternehmen) wird die Digitalisierung leider zum Flop werden und nur viel Ärger bereiten…

Pälzer
4 Jahre zuvor
Antwortet  Chuck

… nur für die Schulen, nicht für die chinesischen Unternehmen, welche die hardware liefern!