Handschreib-Förderung in der Praxis: „Eine Stunde in der Woche reicht aus, um die Schreibmotorik deutlich zu verbessern“

3

BERLIN. Der VBE und der Philologenverband haben in dieser Woche gefordert, mehr Augenmerk aufs Handschreiben zu legen (News4teachers berichtete). Anlass: der Tag der Handschrift am 23. Januar. Was lässt sich konkret tun? Wir sprachen mit Dr. Marianela Diaz Meyer, Ergonomie-Expertin und Geschäftsführerin des gemeinnützigen Schreibmotorik Instituts. Das sammelt wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie sich das Handschreiben besser vermitteln lässt. 

Ergonomie-Expertin und Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts Marianela Diaz Meyer übt mit Kindern  die richtige Stifthaltung. Foto: Tina Umlauf

News4teachers: Eine Lehrerumfrage, das Ihr Institut gemeinsam mit dem VBE im vergangenen Jahr durchgeführt hat, zeigt massive Probleme mit der Handschrift vieler Schüler auf (News4teachers berichtete). Was lässt sich dagegen tun?

Diaz Meyer: Die gesellschaftliche Wertschätzung der Handschrift muss zunächst mal gestärkt werden. Das heißt natürlich nicht, dass wir die Uhr zurückdrehen. Das Tippen, ob auf der Tastatur oder auf dem Smartphone, gehört heute selbstverständlich mit dazu. Wir Erwachsenen können aber als gutes Beispiel für Kinder vorangehen und durchaus im Alltag wieder mehr von Hand schreiben.

Dafür müssen wir alle die Bedeutung und den Wert des Handschreibens verstehen, dies vorleben und die Kinder und Jugendlichen motivieren und unterstützen – etwa, indem wir mal gemeinsam darüber sprechen, was eine individuelle Handschrift ausdrückt und was eine Unterschrift unter einem Vertrag bedeutet.

Wir brauchen auch wieder mehr feinmotorische Freizeitaktivitäten – etwa Gesellschaftsspiele, bei denen es auf geschickte Finger ankommt. Wir können auch durchaus mal wieder einen Brief von Hand schreiben, etwa zum Geburtstag oder zu Weihnachten. Dabei wird dann schnell deutlich, welcher Wert im Handschreiben liegt.

News4teachers: Was läuft denn häufig schief?

Diaz Meyer: Alles beginnt mit einer lockeren Stifthaltung. Der Stift ist ein Präzisionswerkzeug, dessen Umgang nicht automatisch klappt, sondern erlernt und geübt werden muss. Viele Stunden und Jahre vergehen vom ersten Schreibversuch bis zur flüssigen Schrift. Lassen Sie die Kinder bei der Stifthaltung von Anfang an nicht alleine, sondern unterstützen Sie sie mit spielerischen Übungen dabei, den Stift locker und unverkrampft zu halten und zu führen.

Viele Kinder wenden beim Schreiben viel zu viel Kraft auf. Sie können das daran erkennen, dass beim Schreiben die Knöchel weißlich schimmern. Die Folgen liegen auf der Hand: Buchstaben lassen sich nicht gut formen. Die Kinder verkrampfen, bekommen Schmerzen und haben deshalb wenig Ausdauer beim Schreibren. Ein anderes, häufig auftretendes Problem ist die Schreibgeschwindigkeit. Viele Kinder schreiben zwar schön, wenn sie viel Zeit haben. Wenn aber Zeitdruck herrscht, dann fangen die Probleme an.“

News4teachers: Was lässt sich dagegen tun?

Diaz Meyer: Mit einfachen Übungen lässt sich gegensteuern. Eine einfache Wahrnehmungsübung geht so: Das Kind soll zunächst einen schweren Gegenstand, etwa eine gefüllte Tasse, mit Daumen und Zeigefinger halten – und dann, mit denselben Fingern, einen Stift. Sofort wird klar, dass ich nicht viel Kraft benötige, um den zu halten.

Ein anderes Beispiel: Zerknüllen Sie ein Stück Papier, entknüllen Sie es ein wenig – und lassen Sie das Kind vorsichtig die so entstandenen Flächen unterschiedlich stark schraffieren, sodass eine dreidimensionale Landschaft entsteht. Diese Übung hilft dem Kind zu lernen, seinen Schreibdruck zu justieren. Wichtig ist auch, Kinder mit unterschiedlichen Stiften schreiben zu lassen: mal mit weicher Mine, mal mit harter, mal mit dickem Stift, mal mit dünnem.

News4teachers: Warum gibt’s denn überhaupt die Schwierigkeiten?

Diaz Meyer: Die Kindheit hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert. Kinder verbringen immer weniger Zeit mit Bewegungsspielen, was sich dann bei der Motorik, auch bei der Fein- und Schreibmotorik, bemerkbar macht. Wenn Kitas und Schulen hier gegensteuern wollen, ist eine Schwerpunktsetzung notwendig.

Wir sammeln gerade wichtige Erkenntnisse in einem EU-Forschungsprojekt zur Handschreib-Förderung im Rahmen von Erasmus+, das vom Schreibmotorik Institut inhaltlich getragen wird und an dem derzeit Schulen in Mittelfranken und Niederbayern teilnehmen Die Erfahrungen im Unterricht bestätigen die Erkenntnisse aus der Forschung. Schon eine Stunde besonderer Handschreib-Förderung in der Woche reicht aus, um die Schreibmotorik der Kinder deutlich zu verbessern. Die Effekte sind beeindruckend: Weil die Schreibgeschwindigkeit und die Motivation der Schülerinnen und Schüler so viel besser geworden sind, sparen die beteiligten Lehrkräfte den zeitlichen Aufwand für die Förderung an anderer Stelle im Unterricht wieder ein: von der Tafel etwas abschreiben, schriftliche Aufgaben erledigen – das geht jetzt alles sehr viel schneller.“

News4teachers: Was würden Sie Eltern raten?

Diaz Meyer: Wenn mal was nicht so richtig klappt, loben Sie das bereits Erreichte und sprechen Sie mit dem Kind darüber. Was genau klappt nicht? Warum klappt es nicht? Schmerzt womöglich die Hand? Was gefällt dem Kind nicht? – und entwickeln Sie gemeinsame Lösungen. Wichtig ist die Einsicht, dass Handschreiben lernen ein langer und individueller Prozess ist. Niemand würde von einem Kind, das Fahrradfahren lernt, erwarten, dass es von Anfang an eine gerade Linie perfekt abfahren kann. Es braucht zunächst ein Gefühl für die richtige Balance. Ähnlich ist das beim Lernen der Handschrift. Agentur für Bildungsjournalismus

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Wie Lehrer das Handschreiben mit besonderer Förderung retten – Symposium bot eindrucksvolle Berichte aus der schulischen Praxis

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

3 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Pälzer
4 Jahre zuvor

Eine Bemerkung nicht zum Inhalt, sondern zu dem Ausdruck „massive Probleme“ –
ich sehne mich zurück zu der Zeit, als „massiv“ noch allein im ursprünglichen Sinn „ausgefüllt, nicht hohl“ verwendet wurde und nicht zu einem reinen Steigerungs-Adjektiv herabgesunken war. Nach meiner Beobachtung war es T-online, die es als erste so weit trieben, von „massiven Lücken“ zu schreiben. Aber es ist noch nicht zu spät, über den Sinn von Wörtern nachzudenken und sie gemäß ihrer eigentlichen Bedeutung zu verwenden. Eine Redaktion, die für Lehrer schreibt, würde das ehren.

Pälzer
4 Jahre zuvor

Ich freue mich über die Berichterstattung zu diesem wichtigen Thema. Ja, in der Sekundarstufe – wo es zum Erlernen richtigen Schreibens reichlich spät ist – bremst uns die Ganzlangsamschreibproblematik oft aus.

Carsten60
3 Jahre zuvor

Hier steht etwas Ergänzendes zu dem Thema, das mir (als Nichtexperten) jedenfalls einleuchtet:
https://www.praxis-foerderdiagnostik.de/9-fehlentwicklungen-im-schulwesen-und-ihre-folgen-fuer-die handschrift/