BERLIN. Schulen spielen im Infektionsgeschehen keine Rolle? Von wegen. Deutschland renommierteste wissenschaftliche Einrichtung, die Nationalakademie Leopoldina, weist in einer aktuellen Stellungnahme auf die Gefahren hin, die in Bildungseinrichtungen durch das Coronavirus drohen. Ihre Empfehlung: Wenn die Abstandsregel nicht eingehalten werden kann, sollten Masken in Schulen getragen werden – in weiterführenden Schulen auch im Klassenraum.
Das Papier beginnt mit einer Klatsche für einige Kultusminister. So erklärte Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) noch in der vergangenen Woche: „Das ist zwar wissenschaftlich nicht bis ins Letzte ausgeleuchtet, das gebe ich allen zu, aber die meisten Wissenschaftler sind sehr klar in der Auffassung, dass das ganz anders ist als bei der Spanischen Grippe, die man früher immer mit Corona gleichgesetzt hat.“ Die Spanische Grippe habe vor allem Kinder und Jugendliche betroffen. „Und hier ist es genau umgekehrt“, meint Rabe. „Das Infektionsgeschehen bei Kindern und Jugendlichen kann nicht gleichgesetzt werden in seinen Auswirkungen mit dem, was bei Erwachsenen passiert. Das ist ein Momentum, das man berücksichtigen muss in dem Abwägungsprozess, vor dem jetzt die Politik steht.“
“Infektionen können sich in Schulen unbemerkt ausbreiten”
Solchen Behauptungen hält die Leopoldina jetzt entgegen: „Nach heutigem Erkenntnisstand ist davon auszugehen, dass Kinder und Jugendliche sich grundsätzlich mit dem SARS-CoV-2-Virus infizieren und es auch weitergeben können – wenngleich manches darauf hinweist, dass dies jüngere Kinder weniger betrifft als ältere Kinder und Jugendliche. Vor diesem Hintergrund ist es entscheidend, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um das Risiko einer Ausbreitung innerhalb von Bildungseinrichtungen so gering wie möglich zu halten.“
Wenn Kinder und Jugendliche infiziert seien, zeigten sie häufiger als Erwachsene keine oder nur milde Krankheitssymptome; nur selten zeigten sich schwere Symptome, und die Letalität – also die Wahrscheinlichkeit, an Corona zu sterben – sei äußerst gering. Aber: „Für die Kontrolle des Infektionsgeschehens stellt der oftmals asymptomatische bzw. sehr milde unspezifische Verlauf eine besondere Herausforderung dar, weil sich Infektionen so unbemerkt ausbreiten können.”
Grundsätzlich könne es auch in Bildungseinrichtungen zur Verbreitung von SARS-CoV-2 kommen. „So wurde ein großer Ausbruch in einer weiterführenden Schule in Frankreich im Februar vor dem generellen Schulschluss beobachtet. In den vergangenen Monaten wurden in verschiedenen Ländern Erfahrungen mit der Wiedereröffnung von Schulen gemacht. Einige Länder, wie z. B. Dänemark oder Norwegen, konnten bislang einen Schulbetrieb ohne erneute Schließungen ermöglichen. In Ländern wie Südkorea oder Israel hingegen, die das Virus zunächst gut unter Kontrolle zu haben schienen, kam es zu erneuten Schulschließungen aufgrund steigender Infektionszahlen und einem Ausbreitungsgeschehen in einigen weiterführenden Schulen.“
Fazit der Forscher: “So ist zu erwarten, dass es auch im kommenden Schuljahr in Abhängigkeit vom lokalen Infektionsgeschehen zu Coronavirus-Eintragungen und Ausbrüchen der COVID-19-Erkrankung in Bildungseinrichtungen kommt.”
Drosten und Wieler haben an der Stellungnahme mitgearbeitet
In der Stellungnahme, an der unter anderem der Charité-Virologe Christian Drosten und der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, mitgearbeitet haben, wird deshalb empfohlen, dass an Deutschlands Schulen von der fünften Klasse an auch im Unterricht Maske getragen wird, wenn nicht ausreichend Abstand möglich ist. Nordrhein-Westfalen hat als bisher einziges Bundesland eine Maskenpflicht auch im Unterricht angekündigt. In anderen Ländern – so auch in Hamburg – ist eine Maskenpflicht zwar im Schulgebäude, nicht aber im Unterricht geplant.
Wörtlich heißt es in dem Papier: „Um die Wahrscheinlichkeit der Verbreitung von SARS-CoV-2 zu verringern, ist die Umsetzung der Abstands- und Hygieneregeln sowie ein häufiger Luftaus-tausch auch in Bildungseinrichtungen wesentlich. Wenn der notwendige Abstand nicht eingehalten werden kann, sollten Schülerinnen und Schüler ab der 5. Klasse einen Mund-Nase-Schutz auch innerhalb des epidemiologischen Gruppenverbandes tragen. Für Jüngere ist es ausreichend, wenn die Kinder den Mund-Nase-Schutz nur außerhalb ihres epidemiologischen Gruppenverbandes tragen.“
Grundsätzlich sei es unabdingbar, Ansteckungen in Bildungseinrichtungen durch ein Bündel von Präventionsmaßnahmen so gut wie möglich zu vermeiden und die Bedeutung dieser Maßnahmen allen Beteiligten zu vermitteln. „Hierzu gehören zusätzlich zu den oben genannten Maßnahmen: Distanz zwischen den Gruppen durch zeitliche oder räumliche Entzerrung, die bekannten Schutzvorkehrungen (wie häufiger Luftaustausch), Hygieneregeln.“ Die Wissenschaftler sprechen sich zudem dafür aus, „überall, wo dies umsetzbar ist“, kleine feste Kontaktgruppen einzurichten (News4teachers beleuchtet diesen Aspekt ausführlich – hier geht es zu dem Beitrag). News4teachers
Hier lässt sich die vollständige Stellungnahme der Leopoldina herunterladen.
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