Schulsysteme, die Lehrern Gestaltungsspielraum lassen, kommen besser durch die Krise

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BERLIN. Die Corona-Pandemie hat weltweit massive Auswirkungen auf die Lernergebnisse und Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen. Wie gut die LÀnder mit der Situation klar gekommen sind, hÀngt meist mit dem Gestaltungsspielraum der Lehrer zusammen. Das zeigt eine aktuelle OECD-Erhebung.

„Mr. PISA“: OECD-Direktor Andreas Schleicher. Foto: SPÖ / Mag. Gisela Ortner / flickr (CC BY-SA 2.0)

«Bildungssysteme, in denen die LehrkrĂ€fte gewohnt sind, eine innovative Lernumgebung zu schaffen, sind auch in schwierigen Infektionslagen ganz gut und ohne lange Schulschließung durch diese Krise gekommen», sagte der Bildungsdirektor der Organisation fĂŒr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Andreas Schleicher, bei der Vorstellung einer Umfrage unter den OECD-Mitgliedstaaten. Schleicher ist Koordinator der alle drei Jahre stattfindenden PISA-Studie.

Deutschland weist nur wenige Corona-bedingte Ausfalltage im Schulbetrieb auf. Die grĂŒnen Balken stehen fĂŒr die weiterfĂŒhrenden Schulen, die roten Punkte fĂŒr die Grundschulen. Quelle: OECD

In vielen LĂ€ndern wurden demnach PrĂ€senz- und Fernunterricht abgewechselt oder die SchĂŒler in Schichten eingeteilt. Auch besondere Förderangebote fĂŒr benachteiligte SchĂŒler oder SchĂŒler, die keinen Zugang zu digitalen Lernangeboten hatten, waren hĂ€ufig. Um die Unterrichtszeiten anzupassen, wurde etwa in Portugal und Brasilien das Schuljahr in die Ferien verlĂ€ngert. Einige LĂ€nder setzten im Lehrplan schwerpunktmĂ€ĂŸig auf die wichtigsten FĂ€cher. «Da haben viele LĂ€nder relativ schnell reagiert», sagte Schleicher. Deutschland sei das nicht so gut gelungen.

«Unser Bildungssystem ist an vielen Stellen behÀbig und langsam»

Die Studie zeigt aus Sicht von FDP-Fraktionsvize Katja Suding ein altbekanntes Problem: «Unser Bildungssystem ist an vielen Stellen behĂ€big und langsam», sagte sie. LĂ€nder, in denen die LehrkrĂ€fte mehr Gestaltungsspielraum hĂ€tten, konnten wesentlich schneller auf die Corona-Krise reagieren und SchĂŒler auch unter den erschwerten Bedingungen deutlich zuverlĂ€ssiger unterrichten.

In rund 80 Prozent der LĂ€nder unterstĂŒtzt die Regierung laut OECD-Studie den Kauf von technischen EndgerĂ€ten fĂŒr SchĂŒler und Lehrer. Auch in die Infrastruktur lĂ€ndlicher Gebiete investierten die meisten (80 Prozent). Staaten wie Estland oder Tschechien hĂ€tten einen enormen Vorteil gehabt, da sie schon lange vor der Pandemie die digitale Infrastruktur ausgebaut hĂ€tten, betonte OECD-Bildungsdirektor Schleicher. Hierzulande habe man zehn Jahre zu spĂ€t angefangen. «Deutschland ist von dieser Pandemie im Bereich Digitalisierung kalt erwischt worden.»

In Deutschland beraten Bund und LĂ€nder seit einiger Zeit ĂŒber ein milliardenschweres Nachhilfe-Programm. Das soll allerdings erst im Herbst starten. Man wolle ganz bewusst erst in das neue Schuljahr damit gehen, sagte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) im Bundestag mit Blick auf die Belastungen fĂŒr Familien und SchĂŒler im laufenden Jahr. «Deswegen sollten wir ihnen jetzt nicht noch zusĂ€tzliche Aufgaben geben, sondern ab dem Herbst das Nachholprogramm starten.» Sie forderte die LĂ€nder – die fĂŒr Schule selbst zustĂ€ndig sind – auf, jetzt LernstĂ€nde bei den SchĂŒlern zu erheben, weil sie nur dann gezielt nachsteuern könnten.

«Der PrĂ€senzunterricht ist gerade fĂŒr jĂŒngere SchĂŒler durch nichts zu ersetzen»

Eine wichtige Lektion aus der Corona-Pandemie ist laut OECD, dass digitale Alternativen fĂŒr jĂŒngere SchĂŒler kaum funktionieren. «Der PrĂ€senzunterricht ist gerade fĂŒr jĂŒngere SchĂŒler durch nichts zu ersetzen», sagte der OECD-Experte. Das hĂ€tten die meisten LĂ€nder auch verstanden, weshalb die Grundschulen oft offen waren, selbst wenn die weiterfĂŒhrenden Schulen geschlossen hatten.

In Deutschland waren GrundschĂŒler nach den Schulschließungen im Winter im Februar als erste wieder in ihre Einrichtungen zurĂŒckgekehrt. Nach und nach kamen seit MĂ€rz auch Ă€ltere SchĂŒler im Wechselunterricht zurĂŒck. Einige Klassen sind aber seit Dezember bis heute nicht wieder in der Schule gewesen und durch die dritte Welle wackelt der ganze RĂŒckkehrprozess.

Allerdings: Deutschland liegt im Staatenvergleich mit vorne, was die QuantitĂ€t des PrĂ€senzunterrichts in der Krise betrifft. Kein Land außer DĂ€nemark weist in der OECD-Statistik fĂŒr 2020 weniger Tage mit Corona-bedingten Schulschließungen auf – bei den weiterfĂŒhrenden Schulen jedenfalls. Selbst Schweden, das als locker im Umgang mit dem Corona-Virus gilt, verzeichnet bei den Ă€lteren SchĂŒlern deutlich höhere Ausfallzeiten. In den Grundschulen allerdings nicht: Die waren in Schweden in 2020 ĂŒberhaupt nicht geschlosssen. Deutschland liegt hier auf Platz drei. News4teachers / mit Material der dpa

Hier geht es zum Bericht „The state of school education“ der OECD.

Brandbrief einer Lehrkraft: Liebe Kultusminister, können Sie meinen SchĂŒlern erklĂ€ren, warum Noten wichtiger sind als die Gesundheit?

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Georg
2 Jahre zuvor

Vermutlich war es Herrn Schleicher zu aufwĂ€ndig, die Schließdauer und die Pisa-Punkte miteinander in Beziehung zu setzen. Die obersten Pisa-Staaten fehlen in diesem Artikel, von den genannten Staaten ist nur Estland oberhalb von Deutschland.

Carsten60
2 Jahre zuvor
Antwortet  Georg

Relevant wÀren doch die PISA-Punkte von PISA 2021, die es aber noch lÀngst nicht gibt. Da könnte man (vielleicht) sehen, welchen Einfluss die Corona-Krise hatte.
Aber die Grafik zeigt doch deutlich, dass Deutschland bei den Schulschließungen am unteren Ende der Skala ist. Auch Schweden und Finnland und sogar Korea hatten wesentlich mehr Schulschließungen. Also leuchtet nicht ein, warum man bei uns mehr Schulschließungen nun angeblich nicht verkraften kann, ohne wieder eine gigantische Bildungsungerechtigkeit zu riskieren.

Alla
2 Jahre zuvor

Wenn man doch weiß, wie wichtig PrĂ€senzunterricht fĂŒr die GS ist, warum sorgt man nicht wenigstens dort fĂŒr Sicherheit ,Z.B. durch Luftfilter? So wie in Schweden?
Wir hatten die ganze Zeit Unterricht in VollprĂ€senz, bis auf die 6Wochen Notbetreuung – fĂŒr jeden der wollte – plus DU fĂŒr vorsichtige Eltern.
QuarantĂ€ne gab es nicht, da Eltern ihr Kind nur krank melden mussten. Wenn aber ein Kind erst nach 2Wochen wiederkam, haben wir uns unseren Teil schon gedacht, oder ĂŒber den Buschfunk erfahren…..
Auch wenn eine Lehrkraft erkrankt war, sollte der SL das fĂŒr sich behalten. Datenschutz !
Die meisten haben es Dank der frĂŒh eingefĂŒhrten Maskenpflicht auf dem gesamten SchulgelĂ€nde ĂŒberlebt, eine mit Long Covid, noch nach 4 Monaten nicht einsatzfĂ€hig.

Am Montag – nach den Osterferien – geht es in VollprĂ€senz weiter, da unser Kreis die 100 Inzidenz noch nicht geknackt hat. (Heute 98,2). Als Sicherheit gibt es nun Selbsttests. Aber immer noch keine prĂ€ventive Sicherheit wie Luftfilter.

Eigentlich bin ich froh, habe ich doch alle Themen, die die SuS gut zu Hause machen können, schon in den 6 Wochen DU verbraten.
Trotzdem bleibt ein mulmiges GefĂŒhl, Wende ich wirklich Schaden von meinen Schutzbefohlenen ab? Zum GlĂŒck ist die PrĂ€senzpflicht ausgesetzt, so dass die Eltern den schwarzen Peter haben.
Ich unterstĂŒtze sie zwar so gut ich kann, aber trotz nachmitĂ€glicher Videokonferenzen ist es nicht das selbe wie im Unterricht….

KARIN
2 Jahre zuvor

Hier möchte ich einmal fĂŒr die“ Praxislehrer“ spreche . Also Textilarbeit, Holzverarbeitung, Metallverarbeitung usw.
Irgendwann fĂ€llt auch wirklich keinem Lehrer dieser FĂ€cher noch was wirklich sinnvolles ein, was man online die SchĂŒler arbeiten Kassen könnte!
Teilweise habe ich jetzt schon Theoriestoff vom Folgejahr herangezogen!
Ohne Werkzeug, GerĂ€te, Maß Ihnen und Material geht in diesen Klassen nichts mehr!
Auf allen möglichen Plattformen, auch auf denen von den BundeslÀndern habe ich nach sinnvollem, machbaren Ideen gesucht!:
Die PraxisfÀcher sind komplett unter den Tisch gefallen, wenn man die Angebote durchsucht!
Wir sollen/ mĂŒssen Unterricht machen , ich zumindest habe keine Ideen mehr!
Jetzt kommt Wechselunterricht, alles was machbar war ist durch, was mache ich mit der 1/2 Gruppe, welche ich online versorgen sollte!
Ich unterrichte unter anderem Textilarbeit!
Hat jemand die gleiche Erfahrung gemacht? Oder gute Ideen fĂŒr mich?

Pit 2020
2 Jahre zuvor
Antwortet  KARIN

@KARIN

Liebe Karin,
zunĂ€chst einmal: Ich bin nicht „vom Fach“.
Spontan starte ich in solchen Situationen (wenn ich mal fĂ€cherĂŒbergreifend arbeiten möchte) zur allereinfachsten Stichwortsuche bei YouTube, z.B. gebe ich als Suche ein „Basteln mit Kindern“
Trefferanzeigen, die ich auf den ersten Blick interessant fÀnde, klicke ich dann an, in dem Fall:

1)
https://www.youtube.com/watch?v=khcPLtN7QmM
Da alles ohne Text auskommt, könnten Sie die SuS gelegentlich noch eine kurze Anleitung als Text verfassen lassen.
Das wÀre schon die nÀchste Aufgabe.
Und wo bleibt bei der Anleitung das Fach „Textil/Kunst“?!
Lassen Sie die SuS einzelne Wörter mit Materialien, die ohnehin verwendet werden darstellen.
(Z.B. werden die Farben nicht mit Worten aufgezĂ€hlt, sondern direkt als Farbtupfen, -felder … in der Anleitung aufgetragen. … Wird z.B. ein Pinsel benutzt, wird statt des Wortes „Pinsel“ ein Pinsel gezeichnet, so etwas kennen die SuS aus ErstlesebĂŒchern wie „Leselöwen“.)

2)
https://www.youtube.com/watch?v=-RyHxjWx7cI
Da fand ich auch ein paar Ideen gut, aber bei einigen Sachen sollten die vielleicht SuS etwas Àlter sein bzw. nicht ohne Aufsicht werkeln.
Sonst wie unter 1) verfahren.

3)
https://www.youtube.com/watch?v=Wac7acY2S6w

4)
https://www.youtube.com/watch?v=gGYSBQ6n1MQ
(Ich LIEEEEBE SockenpĂŒppchen!) 🙂
Wenn die SuS alt genug sind zum „alleine“ Basteln, aber „zu alt“ fĂŒr die Ergebnisse, dann verschenken an jĂŒngere Kinder.
(Dazu noch eine hĂŒbsche – eigene – Verpackungsidee basteln lassen!)

5)
https://www.youtube.com/watch?v=InxQcyk1JAU
Noch mehr Geschenkideen …

TIPP:
– Wenn ich einen guten Kanal gefunden habe, dann einfach mal den Kanal auf dem entsprechenden Logo anklicken und schauen was da sonst noch im „Angebot“ ist, hier z.B. „Geniale Tricks“ bei 4) und 5) bzw. 1) – 3)
Auf diesen Seiten sind auch noch andere KanĂ€le von anderen YouTubern verlinkt, runterscrollen bis „unsere Freunde“
– Manchmal findet man noch weitere interessante Links oder Hinweise/Ideen in den Kommentaren unter den einzelnen Videos!

Hoffentlich war etwas Brauchbares dabei …

Herzliche GrĂŒĂŸe!

KARIN
2 Jahre zuvor

@ pit2020
Ganz lieb von Ihne , so viele Ideen!
Was ich vielleicht vergessen hatte, meine SchĂŒler sind In einer Berufsfachschule und machen bei uns die Mittlere Reife. Zudem sitzen relativ viel unmotivierte junge MĂ€nner ab 16 Jahren aufwĂ€rts in der Klasse und ich soll/ muss Textilarbeit geben!
Da passt leider vieles nicht mehr von Ihren Ideen.
Trotz allem vielen , herzlichen Dank dafĂŒr.Ich schaue trotzdem mal rein!
Der Hinweis auf Holz- oder Metallverarbeitung , also hier sind schon Ă€ltere SchĂŒler gemeint, hatten Sie wahrscheinlich ĂŒberlesen 😉

Pit 2020
2 Jahre zuvor
Antwortet  KARIN

@KARIN

Liebe Karin,
wer lesen kann, ist im Vorteil! 😉
Stimmt, das habe ich ĂŒberlesen.

Aber fĂŒr die Altersgruppe und die Materialien findet sich bei YouTube auch etwas, ich habe in der Suche-Zeile eingegeben
– Holz DIY
– Metall DIY
und dann erscheint das Fenster mit einer erweiterten Vorschlagliste, die sah sehr vielversprechend aus.
Vielleicht kann man da etwas (= Ideen fĂŒr Kleinstmöbel/Deko) und Materialien (wohl eher Holz und Textilien, fĂŒr den KĂŒchenbereich vielleicht sogar was mit Metall?) kombinieren/erweitern?

Ah, fÀllt mir gerade noch ein:
Irgendwo bei der Liste gestern war auch etwas mit Spielen – so eine Art Indoor-Crocket (Crocket mit „o“, es gibt ja noch Cricket) mit Pappkarton-HĂ€uschen (verschieden große TĂŒrchen als Tore)fĂŒr die JĂŒngsten.
Eine Indoor&Outdoor-Variante (auch fĂŒr Ă€ltere Spieler, … wird mit Holz-HĂ€uschen wetterfest.
Die Spielschwierigkeit könnte man anpassen ĂŒber BĂ€lle aus verschiedenartigen Textilmaterialien.
Alle einzelnen Teile kann man ja auch in der GrĂ¶ĂŸe anpassen. (Man denke nur an Bonsai-BĂ€umchen oder Mini-Zen-GĂ€rtchen, dass eröffnet eine Anpassung an handwerkliches Geschick.)
Zack! Familienspiel. 😉

Viel Spaß beim Stöbern und ein schönes Wochenende!

KARIN
2 Jahre zuvor

@Pit2020
Vielen Dank,

viele super schöne Ideen, vielleich das eine oder andere könnte doch das Interesse meiner SchĂŒler wecken!
Kann ich nur weitere empfehlen an “ Werkler und Bastler“, sehr viele machbare Dinge!

Riesenzwerg
2 Jahre zuvor

«Unser Bildungssystem ist an vielen Stellen behÀbig und langsam»

Das kann – und das ist nur eine sehr vage (aber mutige) Vermutung – an den KuMis liegen.

So, jetzt isses raus!

Pit 2020
2 Jahre zuvor
Antwortet  Riesenzwerg

@Riesenzwerg

Nun … ich halte das ja fĂŒr eine seeeehr gewagte These 😉 , die einer dringenden Verifizierung bedarf!

Fiktive Stellungnahme aus einem Ministerium:
„Wir, die Verantwortlichen aus dem Ministerium „Alles nichts, oder?“ werden einen Stuhlkreis bilden um darĂŒber zu beraten, ob wir nachfolgend auch einen Arbeitskreis bilden können.
Letzteres ist eine Kann-Regelung und in ihrer potentiellen Umsetzung unmittelbar abhÀngig von unserer Kreisbildungs-Kompetenz.
Diese Kompetenz wird voraussichtlich in der nÀchsten Legislaturperiode von externen Beratern evaluiert werden können.

Geplant ist weiterhin, dass wir uns nach erfolgter Evaluation unabhĂ€ngig von deren Ergebnis ein leckeres Catering gönnen zur Feier der bisherigen MĂŒhen.
Das Catering bildet die ĂŒbliche Grundlage fĂŒr das danach ebenfalls ĂŒbliche BesĂ€ufnis … Ă€h, tschuldigung, fĂŒr die danach ebenfalls ĂŒbliche teambildende Maßnahme.
😉