Debatte: „Nicht genug Lehrkräfte? Dann wird man das Angebot zusammenstreichen müssen“

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STUTTGART. News4teachers berichtete über eine Diskussion, die in Baden-Württemberg geführt wird, aber bald ganz Deutschland betreffen wird (hier): Kommunen drängen darauf, den Menschen reinen Wein einzuschenken. Wegen der Krise bleibe dem Staat nichts anderes übrig, als Qualitätsstandards zu senken – auch in Kitas und Schulen. Die zwei News4teachers-LeserInnen Palim und Schattenläufer, beides Lehrkräfte, kommentieren mit scharfen Worten, dass Politikerinnen und Politiker die Bildungseinrichtungen schon wieder im Regen stehen lassen.  

Palim, 23.07.2022 um 20:53 Uhr

Ja, lasst uns mal offen reden: Ihr habt es ausgesessen, verschleppt, verschnarcht und mit Absicht verzögert. Jetzt fehlen Erzieher:innen, Lehrer:innen, Pfleger:innen und Ärzt:innen landauf, landab.

Natürlich könnt ihr jetzt erzählen, wie schwierig die Zeiten sind. Aber das waren sie ja vorher auch schon – wegen … Es fand sich bisher immer ein Thema, das man vorschieben konnte, während vieles andere möglich und für andere Menschen bereichernd war.

Lasst uns mal offen reden: Wir haben keine Lust mehr, uns hinhalten zu lassen. Wir haben keine Lust mehr, den Kopf hinzuhalten für eine Missplanung.

Es gibt nicht genug Lehrkräfte? Dann wird man das Angebot zusammenstreichen müssen und die Lehrkräfte mehr als bisher vor Überlastung schützen müssen.

„Lehrkräfte werden genau auf sich achten müssen, damit sie nach Jahren der Überlastung nicht ausfallen“

Wenn die Länder das nicht übernehmen wollen und die Gewerkschaften sich nicht dafür ins Zeug legen, bleibt die Eigenverantwortung der Lehrkräfte, die sie immer wieder ausgesetzt haben … schließlich waren die Zeiten ja schwierig.

Nun sind sie noch schwieriger, also werden Lehrkräfte genau auf sich achten müssen, damit sie nach Jahren der Überlastung nicht ausfallen angesichts der anstehenden Aufgaben.

Für alles, was die Aufgaben noch schwieriger macht, sodass die Lehrer:innen noch stärker belastet würden, werden sie sich selbst erheblich klarer abgrenzen müssen und per Überlastungsanzeige die Verantwortung an die verweisen, die die missliche Lage zu verantworten haben. Die Lehrkräfte sind es nicht.

Lasst uns offen reden und alles, was wir als Lehrkräfte nicht mehr leisten können, deutlich kommunizieren mit Verweis darauf, dass die Mittel seit Jahren fehlen, weil sie Schulen und Lehrkräften nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung gestellt werden.

Schattenläufer, 24.07.2022 um 8:05 Uhr

Wenn wir schon von Ehrlichkeit in Zusammenhang mit dem Schulsystem reden, dann geht es eventuell auch in die andere Richtung. Man muss den politisch verantwortlichen in den Kultusministerien und Gemeinden ganz offen klar machen, dass mehr Geld in die Schulen fließen muss. Ohne eine Modernisierung von Gebäuden und Ausstattung und ohne eine Aufstockung mit qualifiziertem Personal wird das Bildungssystem die geforderten Leistungen nicht erbringen können.

Ganztägige Betreuung, umfassende Vermittlung von Lerninhalten in internationalen Spitzensegment und Erziehung von früher elterlichen Aufgaben von Körper-Hygiene bis hin zu politischer Erziehung zu Frieden und Toleranz. Das alles ist gewünscht.

Wie es jetzt läuft, dürfte das aber nicht wirklich zu realisieren sein.

„So traurig das klingt, einen trockenen Lappen kann man nicht noch weiter auswringen“

Wenn die fließenden Geldmittel nicht mehr sondern weniger werden, dann muss eben auch Schule von 8-13 Uhr und die Vermittlung von Basis-Wissen an staatlichen Schulen als Ergebnis ausreichen müssen.

So traurig das klingt, einen trockenen Lappen kann man nicht noch weiter auswringen.

Wer mehr für seine Kinder will, wird dann auf kostenpflichtige Privatschulen mit besserer Ausstattung ausweichen müssen. Wenn die eine Wahrheit lautet, es ist eben nicht mehr Geld da. Basta.

Dann kann die andere Wahrheit nur lauten. Mit den jetzigen Mitteln sind unsere hohen Erwartungen an das Bildungssystem nicht zu erfüllen, ja nicht mal auf dem jetzigen Standard zu halten. News4teachers

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Grundschullehrer
1 Jahr zuvor

Das Bild mit dem trockenen Lappen, den man nicht noch mehr auswringen kann, trifft es gut. Man kann jetzt nur noch was vom trockenen Lappen abschneiden. Wie zum Beispiel, in dem man die 4-Tage-Woche und einen Betreuungs- und Bespaßungstag (beschönigend „4+1“) einführt. Wie in Sachsen-Anhalt.

kanndochnichtwahrsein
1 Jahr zuvor

Volle Zustimmung!
Spätestens seit Beginn der Corona-Maßnahmen wurde genau dies hier immer wieder diskutiert, an Personalräte herangetragen etc.

Es passiert…. genau nichts… seit Jahren…

Stattdessen fährt man Anforderungen an „Lehrpersonal“ herunter und kann wieder in der Zeitung (#tschulligung, is ja altmodisch) lesen lassen, dass das Land xy neue Lehrkräfte eingestellt hat (ach, nee, „einstellen wird“ – wenn es sie denn gäbe).
Dass das mitnichten ausgebildete Pädagogen sind, dass die vorhandenen Lehrkräfte überlastet sind, dass Kinder heute eigentlich viel mehr brauchen als der Personalschlüssel ihnen zugesteht (wird ja eh nie erreicht, s.Lehrermangel) – all das kümmert dann keinen mehr. Steht ja auch selten in der Zeitung – oder anderen Medien.
Wer es nicht wissen will, wird es weiterhin ausblenden. KM sind darin geübt.

Nach meinem Gefühl macht ein neuer KM genau zwei Dinge:
Er/sie propagiert ein Projekt, das ihm/ihr „besonders am Herzen liegt“ (z.B. „kein Kind zurücklassen“…) und bringt das in den Wahlkampf und die Medien.
Wenn er/sie dann im Amt ist, gibt es in dieser Angelegenheit und diesem „persönlichen Anliegen“ ein oberschlaues Schreiben an die Schulleitungen, (vielleicht sogar an die Lehrer, die darin für ihre ach so wichtige Arbeit gelobt werden, damit sie auch das nächste unausgegorene Irrsinnsprojekt noch mittragen…).
Das war’s dann.
Bis dahin ist die Legislaturperionde vorbei oder „die Schulen müssen es jetzt umsetzen“ und „bekommen alle Hilfen, die sie brauchen“…

Stattet die Schulen so aus, dass sie auch in Zeiten von Pandemien, Klimawandel, Kriegsflüchtlingen, demnächst Umweltflüchtlingen, Wirtschaftskrisen, Energiekrisen etc. in einer angemessenen Kernzeit ausreichend Grundbildung vermitteln können.
Diese Zeit und die Inhalte müssen danach berechnet werden, wie viel Personal tatsächlich vorhanden ist und wie viel dieses Personal ein Arbeitsleben lang unter den gegebenen Umständen zu leisten in der Lage ist.
Auch ein Lehrerhirn funktioniert nach 6 Stunden bie 35 Grad und Windstille nicht mehr normal.
Auch ein Lehrerschlaf wird durch Alpträume gestört, wenn Kinder keine Regeln und Grenzen mehr kennen.
Auch ein Lehrerarbeitstag hat seine Grenzen, wenn nichts mehr geht.
Und sogar ein Lehrer-Helfersyndrom gerät an sein Ende, wenn Schüler alles in Frage stellen, Lehr- und Lernumstände konzentriertes Arbeiten unmöglich machen, Eltern obendrein querschießen, immer mehr Arbeit und immer unsinnigere und absurdere Aufgaben dazu kommen, immer mehr zur eigenen Absicherung dokumentiert werden muss…

Schule von 8 bis 13 Uhr, danach Betreuung, Hausaufgabenhilfe oder Freizeit für die Kids, für die Lehrer endlich ausreichend Freiraum für Vorbereitung, damit man den eigenen Ansprüchen an guten Unterricht ohne 24-7-Weihnachten-Ostern-Sommerferienarbeit und Arbeit trotz Krankheit gerecht werden kann. Dann wird auch Schule wieder besser und Kinder (vielleicht sogar die Eltern) lernen Selbige als Unterrichtsveranstaltung wieder zu schätzen.
Eltern und Kinder könnten aber auch lernen, dass man miteinander auch ganz tolle Dinge tun kann, dass man Freizeit selbst gestalten, Zeit sinnvoll nutzen, Veranwortung für das eigene Leben selbst übernehmen kann.

Im Moment erscheint mir Schule lediglich als Verwahrstation der Nation verstanden…

Wenn dann irgendwann wieder mehr Lehrer da sind, wenn Schulen klimagerecht ausgestattet sind, wenn Gesundheitsschutz für alle Beteiligten selbstverständlich ist, dann kann man ja mal wieder über Ganztag oder Betreuungsgarantien nachdenken.

Indra Rupp
1 Jahr zuvor

Zudem wurden für den Ganztag viele Hobbyanbieter arbeitslos! Musikunterricht, Reiten – alles macht dicht, denn die Kinder sind den ganzen Tag in der Schule und die Eltern halten es für selbstverständlich, dass ihnen das Nachmittagsangebot dort gratis zur Verfügung gestellt wird ( auf Kosten von Qualität natürlich).

kanndochnichtwahrsein
1 Jahr zuvor
Antwortet  Indra Rupp

So ist es! Natürlich waren früher bestimmte Kinder eben nicht beim Reiten, beim Musikunterricht, weil sie es sich nicht leisten konnten.
Heute aber hätten sie die Möglichkeit über „BuT“ und andere Programme. Nur sind sie so lang in der Schule, dass sie das danach eh nicht mehr wahrnehmen. Der Staat bietet also „Bildung und Teilhabe“ mit viel Bürokratie und muss am Ende kaum was zahlen, weil es nicht wahrgenommen werden kann oder es wird beantragt und die Kids gehen 9 von 10 Mal nicht hin, weil sie müde waren oder weil es regnete.

Man könnte all diese Gelder aus all diesen Einzelmaßnahmen doch wunderbar zusammenführen und vormitatgs Schule/Unterricht machen und nachmittags qualifizierte Angebote ohne viel Bürokratie für die Kinder, die es interessiert oder die Familien, die Betreuung brauchen.

Lehrer wären dann wieder Lehrer und nicht Betreuuner/Verwahrer.
Kinder wären dann wieder Kinder – mit Nachmittagsfreizeit und der Möglichkeit, auch mal außerhalb Schule zu leben.

Viele „Hobbyanbieter“ könnte man für eine begrenzte Zielgruppe auch in die Schule holen, wenn klar wäre, dass nicht zwei Drittel der Kinder zwangsweise in eine AG gedrückt wurden und so gar keinen Bock darauf haben und alles tun, Außerschulische Mitarbeiter zu vergraulen.
(Zugestanden – die mit den Pferden oder die mit den Segelboten kann man vielleicht nicht so leicht in die Schule holen.)
Aber auch diese Leute müsste man ordentlich bezahlen.
Man kann nicht alles auf Lehrer oder Ehrenamt oder Liebe zu/Mitleid mit Kindern aufbauen…

Blau
1 Jahr zuvor

So!

Nika
1 Jahr zuvor

Gut gebrüllt, Löwen ! Dem ist nichts hinzuzufügen, aber …
Wollen die Verantwortlichen es hören, zur Kenntnis nehmen, ihre Herzen öffnen, ihre Hirne in Bewegung setzen, Taten folgen lassen? NEIN, wir (Kinder und Lehrer) waren und sind nur in den Sonntagsreden wichtig.
Ein bitteres Resümee nach 42 Arbeitsjahren als Lehrerin – begonnen und gelebt mit Herzblut , beendet mit totaler Erschöpfung . Gott sei Dank, dass ich raus bin.

Heinz
1 Jahr zuvor

Es ist doch auch immer totaler Schwachsinn. Deutschland tut immer so, als wäre es in der Bildungslandschaft irgendetwas besonderes und würde ja so unglaublich viel machen. Deshalb können auch viele Leute vollkommen entrüstet sein, wenn Deutschland es in irgendwelchen Überprüfungen wie PISA nicht in die Top 10 schafft.
Aber warum und mit welchem Recht?
An Kindern und Schulen wird in jeder Hinsicht gespart, wir machen mittlerweile schon aus Scheiße Gold. Wer gibt den Verantwortlichen das Recht dies zu beurteilen unter den Bedingungen unter denen Schüler arbeiten und lernen sollen?

Man bekommt genau das, was man bestellt hat, da kann man sich langfristig auf den Kopf stellen, wie man will.
Dabei spielt es für mich übrigens keine Rolle, ob man komplett ungeeignete Menschen (die mittlerweile vermutlich jeder von uns kennt) oder einfach niemanden einstellt, für den Lernerfolg der Kinder bringt es wenig unterschied, da kann man in der Tat auch den ganzen Mist zusammenstreichen und den Kindern endlich mal wieder etwas mehr Freiheit im Leben gönnen.

E.S.
1 Jahr zuvor

Ich lese etwas von „Qualitätsstandards senken“. Welche denn? Gibt es die überhaupt?

Vieles an Qualität kostet Geld, aber nicht alles. Wie sieht es mit Bürokratieabbau aus oder mit der Entrümpelung der Lehrpläne von fixen Ideen? Müssen zeitaufwendige Berichtszeugnisse geschrieben werden, die sowieso umstritten sind und nur wenige haben wollen?

Teacheress
1 Jahr zuvor

Zum Punkt Überlastungsanzeige: Lehrkräfte sollten sich hier vertrauensvoll an ihren Personalrat wenden. Im Idealfall stellt er auch ein Musterschreiben zur Verfügung. Danach ist die Schulleitung am Zug und muss sehen, wie Abhilfe geschaffen wird.

Die Berlinerin
1 Jahr zuvor

Wo sind Marc und Alex, die uns sagen, dass nur mit A13 für alle der Lehrermangel gelöst werde. In Baden-Württemberg verdienst du mit A12 schon so viel wie in Mecklenburg-Vorpommern mit A 13. Und nun? Ist ja alles viel teurer in BW? Was denn?

Und wo sind die, die uns sagen, durch die Verbeamtung werde der Lehrermangel gelöst. Auch in BW. Hm, stimmt, da wird ja immer schon verbeamtet.

Last edited 1 Jahr zuvor by Die Berlinerin
dickebank
1 Jahr zuvor
Antwortet  Die Berlinerin

Weil es eben auch andere Faktoren als das Entgelt bei der Wahl des Arbeitsverhältnisses gibt.
Die A13-Frage hat definitiv nichts mit der aktuellen Lehrkräfterekrutierung zu tun.
Unabhängig von der Besoldungsfrage ist das Lehramt GHR – also für GS, HS und RS sowie GE – im Vergleich zu anderen Berufsfeldern unattraktiv. Das führt dazu, dass sich viele Abiturient*innen für einen anderen Studiengang als Lehramt immatrikulieren.
Wer es dennoch tut, wird von seinem Umfeld müde belächelt.

Btw BW hat in der Besoldungsfrage noch ein ganz anderes beamtenrechtliches Problem im Vergleich zu den anderen Bundesländern. Alle älteren PH-Absolvent*innen haben einen Abschluss, der als Fachhochschulabschluss einzustufen ist. Letzterer führt nach der Anwärterzeit zwangsläufig in den gehobenen Dienst. Lehramtsabsolventen in den anderen Bundesländern haben hingegen einen Hochschulabschluss, der einem Magister bzw. Diplom gleichzusetzen ist.
Weitere Besonderheit in „the länd“, es gibt ein gemischtes Lehramt – also Lehrbefähigung SekI+II im ersten Fach und eine für die SekI im zweiten Fach.
Letzteres hat dazu geführt, dass ein ehemaliger Kollege in NRW noch einmal eine komplette Ausbildung gem. OBAS durchlaufen musste, ansonsten wäre sein BW-Abschluss hier in NRW im länderübergreifenden Versetzungsverfahren nur für die SekI anerkannt worden.
Tja, es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde …

Carsten60
1 Jahr zuvor

Merkwürdig ist doch, dass die Ganztagsschule von Politikern, von Bildungswissenschaftlern, von der GEW, von Bertelsmann und anderen als der Inbegriff einer Maßnahme gepriesen wird, die uns der Bildungsgerechtigkeit näher bringt.
Und dann liest man das hier im Forum und anderswo gänzlich anders: die Nachmittagsangebote taugen nicht viel, sie werden ja auch wenig angenommen usw.
Die Kluft dazwischen ist offensichtlich. Aber sollte genau diese Kluft nicht auch mal diskutiert werden? Woher kommt die? Warum sagt niemand: Halbtagsschule ist vielleicht doch besser?