Erst Corona, dann Flüchtlingskrise. Doch das eigentliche Problem ist hausgemacht: Lehrermangel

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STUTTGART. Krisenbewältigung scheint das neue Hauptfach an den Schulen zu sein: Erst Corona, dann die Aufnahme von über 100.000 geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine. Doch die eigentliche Krise ist hausgemacht: der Lehrermangel. In Baden-Württemberg kocht der Streit darüber jetzt hoch.

Nichts mehr zu holen… Foto: Shutterstock

Hiobsbotschaft vor dem letzten Schultag: Der Lehrermangel in Baden-Württemberg wird sich im nächsten Schuljahr aus Sicht der Bildungsgewerkschaft GEW und der SPD-Opposition noch weiter verschärfen. Die Einstellungszahlen des Kultusministeriums zeigten, dass voraussichtlich mehrere hundert Stellen unbesetzt blieben, sagte GEW-Landeschefin Monika Stein in Stuttgart.

Besonders an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) und bei der Inklusion fehlten immer mehr Lehrkräfte. Auch viele Berufliche Schulen, Grundschulen und Schulen der Sekundarstufe 1 würden absehbar mit zu wenig Personal ins Schuljahr starten. Das bedeute, dass sich Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern auf mehr Unterrichtsausfall einstellen müssten.

„Wir erwarten, dass die grün-schwarze Landesregierung endlich den Ernst der Lage in Kitas und Schulen begreift“

Stein sagte dazu: «Es ist für die 130.000 Lehrkräfte an den 4.500 Schulen frustrierend, dass sie auch im nächsten Schuljahr jonglieren müssen, um den Pflichtunterricht einigermaßen sicherzustellen.» Das sei besonders ärgerlich, weil die Situation im Unterschied zur Corona-Krise oder dem Ukraine-Krieg vorhersehbar gewesen sei. Hätte die grün-geführte Landesregierung 2012 die vorliegenden Zahlen des Statischen Landesamtes ernst genommen und ausreichend Studienplätze geschaffen, könnten jetzt alle Stellen besetzt werden, so die Kritik. «Wir erwarten, dass die grün-schwarze Landesregierung endlich den Ernst der Lage in Kitas und Schulen begreift und mit den notwendigen Investitionen im nächsten Landeshaushalt reagiert.»

Auch der SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei sagte: «Es wird Zeit, dass die Landesregierung endlich konkrete Konzepte zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels vorlegt.» Bei den vergangenen Etatverhandlungen habe man der «eigenen Kultusministerin nicht einmal den dringend erforderlichen Ausbau der Krankheitsvertretungsreserve gewährt». Die Folgen seien eine Überlastung der Lehrkräfte und Unterrichtsausfall über alle Schularten hinweg. «Grün-Schwarz muss sich endlich an die eigene Nase fassen und die Studienplätze im Lehramt ausbauen, die Krankheitsvertretungsreserve aufstocken, mehr multiprofessionelle Teams an unseren Schulen aufbauen und befristete Lehrkräfte über die Sommerferien weiter beschäftigen.»

Stein erklärte, die Gymnasien seien die einzige Schulart, in der fast alle Stellen besetzt werden konnten – bis auf bestimmte Mangelfächer. Stein beklagte, dass die ständige Vertretungsreserve mit 1945 Stellen viel zu klein sei, denn es gebe 5.000 bis 7.000 dauerhaften Ausfälle. Schon am ersten Schultag seien alle Vertretungskräfte eingeplant. «Da kaum weitere Personen auf dem Arbeitsmarkt sind, die kurzfristig für Vertretungen gewonnen werden können, bedeutet jeder weitere Ausfall, dass Klassen zusammengelegt werden müssen oder Unterricht ausfällt.»

„Wenn ein Autohersteller ein neues Modell einführt, baut er neue Fabriken und stellt tausende Menschen ein“

In den SBBZ gab es demnach auf etwa 591 Stellen für Sonderpädagoginnen und -Pädagogen nur 401 Bewerbungen. Auch bei den sonderpädagogischen Fachlehrkräften kamen auf 137 freie Stellen nur 13 Bewerbungen. Schon in diesem Schuljahr seien hier 12 Prozent der Stellen nicht besetzt gewesen, die Quote werde sich noch erhöhen. Bei der Grundschulen gab es demnach 1205 Bewerbungen für 1267 Stellen. Für Haupt-, Werkreal-, Real- und Gemeinschaftsschulen bewarben sich 1030 Personen für 1099 freie Stellen. An den beruflichen Schulen seien zwar einige Gymnasiallehrkräfte eingestellt worden, das Unterrichtsdefizit sei aber seit Jahren groß.

Stein zeigte kein Verständnis für die Herangehensweise der Landesregierung. «Wenn ein Autohersteller ein neues Modell einführt, baut er neue Fabriken und stellt Tausende Menschen ein.» Obwohl die Schülerzahlen stiegen und neue Projekte wie der Ganztagsausbau in der Grundschule anstünden, «will die Landesregierung immer wieder vorhandene Ressourcen umlenken statt mutig zu investieren». Das werde nicht funktionieren. «Wer an der Bildung spart, bekommt auch keine Zinsen», warnte die Gewerkschafterin. News4teachers / mit Material der dpa

Philologen: KMK hat den Lehrkräftebedarf verschlafen! Verband erklärt Kultusministern, wie sich Nachwuchs gewinnen lässt

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Andre Hog
1 Jahr zuvor

«Wir erwarten, dass die grün-schwarze Landesregierung endlich den Ernst der Lage in Kitas und Schulen begreift und mit den notwendigen Investitionen im nächsten Landeshaushalt reagiert.»

Warum sollten sie das tun??

Anstatt konstruktiv auf die Missstände zu re(a)gieren, hat der MP vom „Gürtel enger schnallen und einfach mal machen“ gefaselt und Schopper hat vorhergesagt, dass es im kommenden Schuljahr nicht leichter, sondern eher noch schlimmer kommt. Damit haben die beiden Hauptveranzwortlichen für Schulen und Kitas den Offenbahrungseid bereits geleistet. Mehr ist von denen nicht zu erwarten…und das wird leider „Schule machen“ und andere BL werden sich dieser Verweigerungshaltung anschließen….schließlich sind ja auch noch andere „Baustellen“ zu bewältigen und da sollen wir die politische Elite mit unserem Gejammer endlich mal in Ruhe lassen.

Schattenläufer
1 Jahr zuvor

Unterrichtsausfall?

Wen interessiert heute denn noch Unterricht.

Die Wissenslücken werden übertüncht. Dann stimmt die Abi-Quote.

Ansonsten zählt hauptsächlich, dass die lästigen Gören verwahrt sind.
Das geht problemlos durch Mitaufsicht und Stillarbeit.

Man braucht halt nur noch ein Studienfach für Leute die maximal das kleine 1×1 beherrschen und gerade mal die Überschrift in der Zeitung lesen können.

Die Unis werden eben auch mit dem Zeitgeist gehen müssen und sich der Wirtschaft anpassen.

Einige Führungskräfte mit echter Bildung und jede Menge „Akademiker“ der brotlosen Künste am Band, die für einen Appel und ein Ei arbeiten.

Wenn das nicht langt, dann plärren wir eben nach echten Führungskräften und Facharbeitern aus Ländern mit besserem Bildungssystem.

Oder wir verlegen den Betrieb gleich da hin. Die Wirtschaft hat ja mit der verfehlten Bildungspolitik der KMK nichts zu tun 🙂

alter Pauker
1 Jahr zuvor
Antwortet  Schattenläufer

Das nennt man dann wohl Outsourcing? Schulen werden en bloc in Länder verlegt, die in PISA führend sind. Ach ja, was ist mit den „freigesetzten“ Lehrern? Analog zur Industrie-wenn die Autolampenfabrik in BW die Produktion nach dem billigen Rumänien verlegt, müssen die Arbeiter sehen, wo sie bleiben. Einzelne sind schon bei Hartz IV angelangt.
Schade, liebe Kollegen! Wer hat eine zusätzliche Berufsausbildung genossen…? Rente wird vom Staat auch nicht nachversichert (wie bei beamteten KollegInnen geschehen, die gekündigt hatten)- und um in die günstigere Pflichtkrankenversicherung zu dürfen (wenn man vorher in einer PKV war, die jetzt viiiel zu teuer wird, weil man 100% versichert sein muss), braucht man einen Job. Vielleicht gibt’s ja welche als Reinigungskraft in den vormaligen Schulen, die jetzt anderen Zwecken dienen dürften.
Rosige Zeiten… :=(

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor

Ich freu mich schon volle dolle aufs gute Neue! Das wird ein ganz besonderes Jahr. Die neuen Vorsätze sind schon angekündigt, wie sagt doch hierzu das Sprichwort:
Der frühe Vogel fängt sich den Wurm ein! Dann mal gute Besserung, Hansi.

dickebank
1 Jahr zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Wie gesagt, der frühe Vogel kann mich ‚mal:)

Christabel
1 Jahr zuvor

Ab und zu werden auch mal die beruflichen Schulen erwähnt, die kommen in den Medien so gut wie gar nicht vor. Deshalb interessiert sich auch die Politik weniger für diese Schulform. Das ist zumindest mein Eindruck. Von BewerberInnen wird die BS auch nicht überrannt, daher ist der Mangel hier besonders groß, vor allem in den Hauptfächern. Viele KuK sind Angestellte , weil sie vorher in anderen Berufen gearbeitet haben, diese Erfahrungen sind aber sehr wertvoll für diese Schulart.
Ich wünsche mir von der Redaktion mehr Info zur Situation der beruflichen Schulen, dieser Bereich ist in den letzten Jahren (aus naheliegenden Gründen) zu sehr ausgeblendet worden.

Schattenläufer
1 Jahr zuvor
Antwortet  Christabel

Ich wurde an der Uni mal von einem fassungslosen Prof. gefragt „Lehramt an beruflichen Schulen? Kann man das überhaupt studieren?“

Christabel
1 Jahr zuvor
Antwortet  Schattenläufer

Es stört mich zunehmend, dass, wenn von „Schule“ die Rede ist, meistens „Gymnasium“ oder „Grundschule“ gemeint ist. Alle anderen Schulformen werden mit ihren spezifischen Problemen nicht sehr differenziert behandelt, das reicht von der Betrachtung der Altersgruppe (wie alt sind eigentlich SuS in der Teilzeitklasse einer BS) bis zur Stellenbesetzung, hier scheinen mir die Gymnasien auf sehr hohem Niveau zu jammern.
Auch die verschiedenen Bildungsgänge sind oft herausfordernd, und SuS der BS haben auch ein anderes Freizeitverhalten als Grundschulkinder (meistens!:)

Georg
1 Jahr zuvor

Wie erst Corona, dann Flüchtlingskrise? Zumindest seit meinem Lehrerdasein war es eine Krise (oder Sau, die durch das Dorf getrieben wurde) nach der anderen:

Niveauverflachung durch Kompetenzorientierung und Zentralabitur
G9 -> G8 -> G9
Niveauverflachung durch politisch gewünschte Abiturquote und demographischer Entwicklung
Vermurkste Inklusion als Sparmodell
Flüchtlingskrise ab 2015
Corona
Flüchtlingskrise 2022

Nadine
1 Jahr zuvor

Es wäre jetzt interessant zu wissen, wie viele Lehrer dieses Jahr zum Sommer entlassen wurden und für das neue Schuljahr erneut eingestellt werden – und, wie viele Lehrer leer ausgehen, weil vom Land nicht genug Stellen finanziert werden…

dickebank
1 Jahr zuvor
Antwortet  Nadine

Letzteres ist nicht das Problem – in allen Bundesländern sind mehr Stellen in den Haushaltsplänen verankert als sich Bewerber finden lassen. Der Irrsinn liegt doch darin, dass jeder Landesregierung sich dafür rühmt mehr Stellen zu schaffen. Auf der anderen Seite sinkt aber die Zahl der Studienplätze für Lehramtsstudenten, Wäre das Studienangebot nicht so stark eingeschränkt, es dürfte überhaupt keinen NC für den Primarbereich geben. Da in den letzten Jahrzehnten die Zahlen der Absolventen mit erstem (universitärem) Staatsexamen so stark gesunken sind, haben die Länder die Zahl der Ausbildungsplätze an den Studienseminaren/ZfsL zurückgefahren.