
Eine Studie zur Darstellung des Judentums in nordrhein-westfälischen Schulbüchern hat keinen beabsichtigten Antisemitismus, aber Stereotype zutage gefördert. Ein pauschales Urteil sei nicht möglich, heißt es in dem am Mittwoch im Schulausschuss des Landtags vorgestellten Abschlussbericht. «Sehr guten» Darstellungen der jüdischen Geschichte, Kultur und Religion stünden einige «problematische Befunde» – teils in ein und demselben Schulbuch – gegenüber. NRW ist nach Angaben des Zentralrats der Juden das erste Bundesland, das eine ausführliche Studie zu Antisemitismus in Schulbüchern vorlegt.
«Wir sind auf keinen intendierten Antisemitismus, also keine offene Judenfeindschaft in den Schulbüchern gestoßen», sagte Dirk Sadowski vom Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung (GEI). «Das wäre auch skandalös gewesen.» Aber Antisemitismus äußere sich nicht nur offen, sondern könne sich auch oft unbewusst und sehr subtil äußern. «Er ist latent in unserer Gesellschaft vorhanden.»
Das Projekt „Demokratiekosmos Schule“ (DEKOS) soll Lehrkräfte im wirksamen Umgang mit antidemokratischen Situationen unterstützen – es zeigt dabei auch auf, wie dem Phänomen Antisemitimus in der pädagogischen Praxis begegnet werden kann.
Mit unterschiedlichen Formaten erhalten Lehrkräfte anwendungsorientiertes Know-how. DEKOS zeigt Wege auf, wie sie sich diesen Herausforderungen stellen und angemessen handeln können.
DEKOS, ein gemeinsames Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung mit der Bertelsmann Stiftung, wendet sich an Schulleitungen, Lehrer/innen und Schulsozialarbeiter/innen. Adressiert werden die siebte bis zur 13. Jahrgangsstufe. Da Diskriminierungen in allen Schulsituationen auftreten, betrifft das Thema alle Unterrichtsfächer. DEKOS ist auch geeignet, in Aus- und Fortbildungsbereichen eingesetzt zu werden.
So finde man in NRW-Schulbüchern stereotype Überzeichnungen und Klischees wie etwa bei der Darstellung des Judentums im Mittelalter, wo als «Hauptberuf» den Juden der Geldverleih gegen Zins zugeschrieben werde. Schon seit langem kritisierten Forscher die Verbindung von Juden und Geld. «Das sind Bilder, die antisemitische Vorurteile bestärken können.»
Kritisiert wird auch, dass die Darstellung des Nahost-Konflikts oft nicht dessen Komplexität gerecht werde. Israel werde weiterhin als vor allem kriegführender Krisenstaat und Besatzungsmacht im Nahen Osten dargestellt. Unter den Geschichtsbüchern fanden die Forscher nur zwei Werke, in denen Israel nicht ausschließlich mit dem Nahost-Konflikt in Verbindung gebracht wurde.
In zwei bis drei Büchern sei auch ein «deutliches Echo antijüdischer Vorurteile» gefunden worden, sagte Sadowski. Oft fehle zudem eine sprachliche Sensibilität, wenn etwa Walter Rathenau, der Außenminister der Weimarer Republik, als «jüdischer Außenminister» bezeichnet werde, obwohl er der deutsche Außenminister war. Oft fehle auch die Einordnung von Quellen wie antisemitischen Karikaturen aus dem Kaiserreich oder von Propaganda-Plakaten der NS-Zeit.
Jüdische Geschichte wird nach Worten Sadowskis vor allem als Geschichte von Verfolgung dargestellt. Der jüdische Widerstand gegen die Nationalsozialisten komme zum Beispiel weniger zum Tragen. Auch kämen oft nur die Täter zu Wort, nicht aber die Betroffenen. Inzwischen hätten sich die Darstellungen zum Judentum in vielen neueren Schulbüchern aber verbessert, sagte Sadowski. Auf Antisemitismus in der Pop-Jugendkultur, etwa in deutschen Rap-Songs geht im übrigen nur ein neueres Geschichtsbuch ein.
Die Studie war nach einer Schulbuch-Kritik des Zentralrats der Juden in Deutschland 2018 noch von dem damaligen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) in Auftrag gegeben worden. Insgesamt wurden 252 NRW-Schulbücher aus verschieden Fächern von Geschichte über Geografie bis zu Politik und Religion in beiden Sekundarstufen auf ihre Inhalte geprüft.
«Häufig bekräftigen die antisemitischen Narrative in den Lehrbüchern das, was über Generation hinweg tradiert wurde und Jugendliche in den sozialen Medien zum Teil als Verschwörungserzählungen hören»
«Die Ergebnisse decken sich mit unseren Wahrnehmungen auch von Lehrbüchern der anderen Länder und es gilt nun, schnellstmöglich Korrekturen vorzunehmen», sagte Zentralratspräsident Josef Schuster. «Häufig bekräftigen die antisemitischen Narrative in den Lehrbüchern das, was über Generation hinweg tradiert wurde und Jugendliche in den sozialen Medien zum Teil als Verschwörungserzählungen hören», so Schuster. Dabei sollte Bildung eigentlich ein wirksames Mittel gegen Antisemitismus und Ressentiments gegen Minderheiten allgemein sein. Die Bücher müssen korrigiert und Autorinnen und Autoren sowie Redaktionen geschult werden, um Antisemitismus zu erkennen. «Im besten Fall werden betroffene Bücher aktualisiert und in den Schulbibliotheken ersetzt.»
NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) kündigte für Ende März oder Anfang April an, die Ergebnisse der Studie auf einer gemeinsamen Veranstaltung des Ministeriums mit der Antisemitismusbeauftragten, dem Zentralrat der Juden und dem Verband Bildungsmedien zu bearbeiten und weitere präventive Maßnahmen zu entwickeln. «Die Landesregierung nimmt die Ergebnisse der Untersuchung sehr ernst», sagte Feller. «Schulbücher, die an unseren Schulen eingesetzt werden, dürfen in keinem Fall antisemitische Einstellungen befördern oder stereotype Vorstellungen tradieren.»
Auch bei Lernplattformen im Netz müsse für das Thema Antisemitismus sensibilisiert werden, sagte Feller. Frei zugängliche und nicht vom Land NRW erstellte Plattformen seien nicht alle zu kontrollieren. Da könne es durchaus sein, «dass dann plötzlich auf einer solchen Seite ein antisemitischer Text auftaucht». Den Schülerinnen und Schüler müssten aber auch die Kompetenz vermittelt werden, mit solchen Quellen im Internet umzugehen. News4teachers / mit Material der dpa
Hier geht es zur vollständigen Studie.
Also zusammengefasst:
Die Bücher sind in Ordnung.
Wenn man aber will, dann kann man die Texte trotzdem antisemitisch interpretieren.
Wie wäre es denn, wenn die Forscher eigene Texte entwerfen, die garantiert nicht antisemitisch interpretiert werden können und diese dann den Lehrwerken zur Verfügung stellen?
Wie wäre es stattdessen, man würde schulische Inhalte über Juden mal mit Juden abstimmen – statt nur über sie zu dozieren. Das könnte das Problem lösen (und gilt auch für andere gesellschaftliche Gruppen). Herzliche Grüße Die Redaktion
Ich hatte angenommen, dass das im Rahmen der Studie gemacht worden wäre.
Kann man machen. Nur woher weiß man, dass die durchgelassenen Inhalte nicht einseitig gefärbt sind?
Indem die Informationen verifiziert und die Quellen sauber benannt werden. Ist nicht so schwer, machen wir auch. Herzliche Grüße Die Redaktion
Nur was ist, wenn die verifizierte Information den Juden ggf. sogar nachvollziehbar missfällt und daher abgelehnt wird? Das meine ich mit möglicherweise einseitig gefärbt.
Ja – und? Das gehört für uns zum Tagesgeschäft. Herzliche Grüße Die Redaktion
Für Sie ja, für Inhalte eines Schulbuchs nicht unbedingt, wenn da diverse Verbände mitreden.
Mit „abstimmen“ wäre doch dann gemeint: Die Gruppe bestimmt, was drinnen steht. Im konkreten Fall wäre also z.B. die Besatzungspolitik raus. Das fordert dann mit Zeitverschiebung die nächste Gruppe…und so weiter, und so weiter.
Als ob irgendjemand den entsprechenden Gruppen in so einem „Abstimmungsprozess“ irgendetwas „zumuten“ würde, der/die den nächsten Tag sozial überleben will…
Ja gut, kann man machen. Dann brauchen wir die Schulbücher aber nicht mehr. Hier wäre es dann besser, diese Themen durch frei änderbare PR-Erklärungen zu ersetzen.
Und sich im nächsten Schritt zu wundern und zu empören, wieso Verschwörungsseiten Zulauf haben und keiner glaubt was im Schulbuch steht…
Wieso sollten die Schulbuchverlage und Lehrplanmacher ein Monopol auf das in Schule zu vermittelnde Wissen haben? Abstimmen bedeutet, die Perspektive von Betroffenen einzubringen. Geschichte ist vielschichtig. Gegenwart ist vielschichtig. Das ist so banal (und in Fächern wie Politik und Geschichte ja längst praktizierte Praxis), dass Ihre Behauptung, damit würden Verschwörungstheorien befeuert, merkwürdig anmutet – es sei denn, Sie vertreten die These, dass der Lehrplankanon sakrosankt ist und nicht durch Pluralität gestört werden darf. Dann wäre der Geschichtsunterricht allerdings auch heute noch eine monotone Abfolge von Krönungs- und Schlachtendaten.
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Und wer erstellt eine Liste von Organisationen der „Betroffenen“, die zu berücksichtigen sind ? Wie sollen die Befindlichkeiten der Israelis und der Palästinenser unter einen Hut gebracht werden?
Wie machen wir denn Journalismus? Indem wir uns selbstverständlich stets bemühen, alle Beteiligten zu Wort kommen zu lassen – wo ist denn das Problem? Herzliche Grüße Die Redaktion
Das Problem ist, dass
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zeigt doch das Problem: Man kann es nicht beiden recht machen. Analog künftig bei der Behandlung des Ukraine-Krieges und (möglicherweise) bei einer Besetzung Taiwans durch China. All das gehört bald zur Geschichte.
Haben Sie schon mal was davon gehört, dass sich manchmal Botschafter über Schulbücher beschweren, weil dort die Politik ihrer Regierung nicht gemäß den Wünschen dieser Regierung dargestellt wird? Ich glaube, sowas ist schon passiert.
„Man kann es nicht beiden recht machen.“ Doch, kann man – durch umfassende objektive Information, die beide Perspektiven berücksichtigt. Was ist daran so schwer zu verstehen, dass zu einem vollständigen Bild des Judentums in Deutschland natürlich auch die Sicht der Juden in Deutschland gehört? Deren Perspektive mit möglichen Wünschen ausländischer Regierungen auf Schöndarstellung zu vergleichen, ist arg schräg. Die Juden, die hier leben, gehören selbstverständlich zu Deutschland.
Ein Monopol „der Schulbuchverlage in ihrer Gesamtheit“ ist übrigens logischer Nonsens. Entweder es gibt ein Monopol, dann gibt es nur einen Anbieter auf einem Markt – oder eben nicht. Es gibt auch kein Monopol „der Friseure in Deutschland in ihrer Gesamtheit“ aufs Haareschneiden. Und natürlich werden Fehler in Schulbüchern korrigiert, spätestens bei Neuauflagen.
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Der Lehrplankonon ist „sakrosant“ (oder sollte es sein) – für Lehrer. Was denn bitte sonst?
Ich meine, ich unterrichte auch gerne „DPS-Kunde in Worl of Warcraft“ 🙂 oder auch relevante Dinge, die irgendwo wichtig sind – entfällt aber wegen „ist nicht“, weil Lehrplan.
Wie offensichtlich brisant es ist, als Aussenstehender (und dann auch noch als Bürger der Bundesrepublik, lol) da überhaupt zu irgendwas aktuellem Stellung zu beziehen dürfte wohl jedem klar sein.
Eine „Mitwirkung“ kann es gerade in dem speziellen Fall garnicht geben – oder sollen dann bundesdeutsche Lehrplaner und KmK-Experten Juden erklären, was im und um Antisemitismus herum die „richtige“ Lehrmeinung ist???
Ich meine ja nur so.
Dann soll lieber gleich z.B. die international hoch anerkannte Yad V.-Stiftung oder die in Ihrem Artikel erwähnten Experten das Ding schreiben.
Dann ist wenigstens sichergestellt, dass von dieser Seite keine Beschwerden über Antisemitismus kommen.
Wir sind hier aber nicht in der Schule, sondern in einem bildungspolitischen Forum. Und da können Lehrkräfte selbstverständlich auch über Lehrplaninhalte diskutieren. Wie die dann zustande kommen, berührt ein gesellschaftliches Grundverständnis: demokratisch-plural – oder bürokratisch-autoritär. Die erste Variante schließt nach unserem Verständnis, wenn gesellschaftliche Gruppen beschrieben werden, deren Beteiligung zwingend mit ein. Sie können kaum über Migration umfassend informieren, ohne die Perspektive von Migrantinnen und Migranten zu berücksichtigen. Genauso Armut, Frauenrechte etc.
Herzliche Grüße
Die Redaktion
OK, das klingt einleuchtend.
Ich hatte ihren vorherigen Beitrag wohl falsch verstanden.
Mhhm, ich denke, dass das keine Antwort auf den Kommentar von Alex sein sollte sondern eine von der Red. eigenständig bezogene Position und Forderung an die Institutionen, die mit der redaktionellen Erstellung und Überprüfung von Schulbüchern befasst sind.
Alex verweist lediglich darauf, dass wir lediglich im Unterricht mit einem Defizit umgehen müssen, den andere zu verantworten haben.
OK, die Fachschaften beschließen über die Anschaffung eines Lehrwerkes – aber in Ermangelung umfassend untadeliger Alternativen, die allen Anforderungen des zu erteilenden Unterrichts gerecht werden, wird der Entscheidungsrahmen zuweilen eng.
Danke, genau das meinte ich.
Vor allem weil ich die Beurteilung des Inhalts überhaupt nicht in einem solchen Umfang leisten kann.
Wenn man sich z.B. den Lebenslauf von Herr Sadowski betrachtet, dann wird klar, dass er Experte für die Thematik ist.
Da Lesen immer auch eine Top-Down-Komponente hat, kann ich als Lehrer leicht bestimmte Punkte übersehen, da mir der entsprechende Kontext fehlt oder zumindest nicht in diesem Umfang zur Verfügung steht.
Wenn ich jetzt aber schon Steuergelder in die Hand nehme, dann könnten im Zuge dessen ja auch von qualifizierten Experten Vorschläge im Sinne von „best practices“ erarbeitet werden.
Das ist sicher nicht so einfach, wie Kritik zu üben, wäre aber immerhin konkret und Grundlage für eine Diskussion.
Genau! Warum nicht alle Schulbücher von den entsprechenden Verbänden untersuchen und redigieren lassen?
Kommt das Thema Israel darin vor, bitte vor Veröffentlichung von jüdischen und Palästina Verbänden untersuchen lassen, kommt etwas zum Islam darin vor erst die verschiedenen Islamverbände befragen, usw.
Wenn alle zufrieden sind, dann wird das Buch aufgelegt.
Naja, es wäre auf jeden Fall sinnvoll einen Gegenentwurf zu haben.
Wenn ich zum Beispiel kritisiere, dass ein Physikbuch falsche Grundvorstellungen zum Thema Elektrizität vermittelt, wäre es nur logisch einen Gegenvorschlag zu unterbreiten, wie es besser geht.
Was die Verlage daraus machen, bleibt ja den Verlagen überlassen. Ich nehme an, es wäre eine feine Gelegenheit für eine Neuauflage.
Die Lehrer könnten aber auch direkt die best practice Vorschläge nutzen und wären auf der sicheren Seite.
Bezogen auf das Beispiel aus dem Artikel wäre ein konkretes Werk eine sehr gute Diskussionsgrundlage da sich daran festmachen ließe, wo die Unterschiede liegen und wo alle Beteiligten exakt stehen.
„In zwei bis drei Büchern sei auch ein «deutliches Echo antijüdischer Vorurteile» gefunden worden, sagte Sadowski.“
Wenn das Echo so deutlich war, müsste man die Zahl der betreffenden Bücher dann nicht EXAKT angeben können?
Bei einem Buch war er sich – trotz des angeblich deutlichen Echos – offenbar doch nicht so sicher.
Wieso wird eigentlich nicht die Entstehung und die Absicht des Antisemitismus in Europa vermittelt?
Würde dann die Katholische Kirche ein zusätzliches Problem bekommen?
Ich denke auch an den katholischen Luther und seinen Antisemitismus. Die Protestanten empfinden das europäische Judentum genau so als Konkurrenz, wie es die katholische Kirche seit der Endzeit Roms tat.
Die Kulturelle und politische Bedeutung dieses Machtkampfs sollte deutlich vermittelt werden.
Ohne den Zusammenhalt der europäischen Juden wäre Europa heute ganz anders.
Die Leistungen des Judentums unter ihren oft schwierigen Bedingungen sollten mehr vermittelt werden.
Stimmt diese Aussage über den Hauptberuf? Wenn ja, warum ist die diskriminierend?
Ich finde es keineswegs ehrenrührig, Geld gegen Zins zu verleihen. Viele Privathaushalte, unsere Wirtschaft und die gesamte Weltwirtschaft brauchen diesen Geldverleih und würden ohne ihn in Chaos und Elend gestürzt. Er ist etwas Notwendiges und Hilfreiches.
Sollte die Aussage über den „Hauptberuf im Mittelalter“ den Tatsachen entsprechen und dennoch als ungehörig gelten, wird mir angst und bange, was heutzutage alles wegzensiert werden kann und soll. Dann müssen nicht nur Schulbücher umgeschrieben werden.
Wer Diskriminierung sehen will, wird sie überall suchen und finden. Deswegen aber Fakten unter Zensur stellen?