Was bringen zwei Wochenstunden „Digitale Welt“? Erste Erfahrungen aus dem Modellprojekt

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WIESBADEN. Das neue Unterrichtsfach «Digitale Welt» soll keine künftigen Informatiker ausbilden. Kindern auf weiterführenden Schulen (in Hessen) wird beigebracht, dass sie mit Smartphones und Computern mehr tun können, als nur Nachrichten zu verschicken und Spiele zu spielen. Vorbild auch für andere Bundesländer?

Reichen zwei Wochenstunden, um einen Überblick über „das Digitale“ zu bekommen? Foto: Shutterstock

Die rund 30 Kinder der 5. Klasse in der Hanauer Hohe Landesschule sitzen in Kleingruppen zusammen, tippen eifrig auf ihren Tablets und tuscheln zu den Ergebnissen miteinander. Im Unterrichtsfach «Digitale Welt» geht es in der Stunde darum, wie Bilder mithilfe von Codes erstellt werden können.

Was auf den ersten Blick abstrakt klingt, wird schnell konkret: Für was kann ich mein Smartphone oder den Computer alles nutzen? Welche Möglichkeiten bietet mein Handy überhaupt? Was sollte ich über die Nutzung der Inhalte im Internet wissen? Was tun bei Mobbing im Netz? Mein Handy oder Laptop ist alt oder kaputt – und was passiert dann mit dem Gerät? An diesen Fragestellungen orientieren sich viele Inhalte, die in dem neuen Fach «Digitale Welt» vermittelt werden sollen.

Das Hanauer Gymnasium ist eine von zwölf Schulen in Hessen, die das neue Unterrichtsfach in der Jahrgangsstufe fünf anbieten. Grundlegende Kompetenzen der Informatik mit der ökonomischen und ökologischen Bildung zu verbinden, ist das vom Kultusministerium ausgegebene Ziel des Unterrichts. Anhand von konkreten Aufgaben sollen Grundlagen wie das Programmieren oder die Funktionsweise von Algorithmen gelehrt werden. In der Schule werden aber auch Themen wie Datenschutz, Cyberkriminalität und vor allem die reflektierte Mediennutzung aufgegriffen.

„Es ist den Schulen derzeit noch selbst überlassen, wie sie an welchen Inhalten arbeiten wollen“

Zum Start in den Unterricht zum laufenden Schuljahr sei deutlich geworden, dass das Nutzungsverhalten der Kinder auch in der Jahrgangsstufe fünf bereits sehr unterschiedlich sei, berichten Schulleiter Martin Göbler und Fachbereichsleiterin Swantje Stein-Hellmann. Nahezu alle Kinder hätten ein Smartphone. Manche Schülerinnen und Schüler bekämen von ihren Eltern klare Regeln, wie lange sie das Handy nutzen dürfen. Bei anderen Kinder gebe es praktisch keine Grenzen und auch kein Wissen über Datenschutz.

Das Wichtigste sei bei dem Unterricht daher, die Kinder bei ihren eigenen Vorlieben und ihrem täglichen Gebrauch des Smartphones abzuholen, betonen die Lehrkräfte des Fachs. Keiner der insgesamt fünf Pädagogen des Gymnasiums für das Fach ist Informatiklehrerin oder -lehrer, René Marschall unterrichtet etwa Ethik. Für ihn ist ein Vorteil der Pilotphase, dass der Unterricht nicht benotet wird und vorerst auch nicht versetzungsrelevant ist. Das schaffe die nötige Lockerheit bei dem neuen Stoff und die unterschiedlichen fachlichen Hintergründe der Lehrkräfte sorgten für vielfältige Ansätze im Unterricht.

Die Hohe Landesschule wird auch bei der Fortführung des Unterrichts für die «Digitale Welt» in Jahrgangsstufe sechs dabei sein und dann die Zahl der Klassen auf 16 verdoppeln, kündigt Schulleiter Göbler an. Landesweit beteiligen sich derzeit 70 Klassen mit fast 1800 Schülerinnen und Schülern sowie 60 Lehrkräfte an dem Pilotprojekt.

Bis zu 50 Schulen sollen sich dann im kommenden Schuljahr 2023/24 an dem Pilotprojekt beteiligen können, sagt Kultusstaatssekretär Manuel Lösel. Ziel sei, das neue Fach möglichst weit in die Fläche zu tragen. Die Rückmeldungen der teilnehmenden Schulen seien positiv. Nach einer Evaluation soll entschieden werden, ob und in welcher Form das Fach mittelfristig im Regelunterricht eingeführt werden kann.

Die zwölf Pilotschulen arbeiten nach Angaben von Schulleiter Göbler gemeinsam an einem Curriculum. Für Fachbereichsleiterin Stein-Hellmann ist es gerade mit Blick auf den nächsten Jahrgang wichtig, einen Materialpool der beteiligten Schulen einzurichten. Das könne auch dazu beitragen, Ängste und Vorbehalte in der Lehrerschaft abzubauen. Elternseminare sollten ebenfalls für eine breite Akzeptanz ins Leben gerufen werden.

Außerdem wünschen sich die Verantwortlichen des Hanauer Gymnasiums ein geschlossenes Schul-WLAN für den Unterricht zum Fach «Digitale Welt». Damit könnten die Schülerinnen und Schüler auch ihre eigenen Geräte im Unterricht nutzen. Die Ausstattung der Schule mit Tablets ist begrenzt.

Die hessische Wirtschaft und die Lehrergewerkschaft GEW stehen dem Vorhaben grundsätzlich positiv gegenüber, fordern aber auch Nachbesserungen für die «Digitale Welt». Der Schulversuch müsse schnell in ein konkretes Curriculum und eine flächendeckende Umsetzung an den Schulen im Land münden, sagt Dirk Pollert, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände. Noch sei völlig unklar, welche Inhalte in dem Fach künftig vermittelt werden sollen. Das sollte geklärt werden, bevor das Angebot landesweit aufgesetzt wird.

Das Portfolio des neuen Fachs umfasse im Prinzip alles, was einem zum Thema digitale Welt einfallen könnte, meint GEW-Landeschef Thilo Hartmann. Es sei daher «eine Art digitale eierlegende Wollmilchsau». Das werde aber alles in zwei Wochenstunden kaum zu schaffen sein. Dazu komme, dass es den Schulen derzeit noch selbst überlassen ist, wie sie an welchen Inhalten arbeiten wollen. Es gebe außerdem zu wenig ausgebildete Informatiklehrkräfte in Hessen. Dies führe dazu, dass Unterricht kaum adäquat vertreten werden könne. Für fachfremde Lehrkräfte seien in der Regel weder der Unterricht noch die Erarbeitung des notwendigen Curriculums leistbar. Von Bernd Glebe, dpa

Ein Modell-Unterrichtsfach „Digitale Welt“, gesponsert vom SAP-Gründer – reicht das?

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9 Kommentare
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Untergang
1 Jahr zuvor

Lebe ich in einer Parallelwelt? An einigen Schulen fällt der Unterricht wegen Lehrermangel aus.

Aber zum Thema:

„Damit könnten die Schülerinnen und Schüler auch ihre eigenen Geräte im Unterricht nutzen.“
Super, dann kann man auch die Apps nutzen, die einem die Zeit vertreiben, bis die langweilige Stunde vorbei ist.

Dieses Fach sollt man für viele Lehrer einführen.
Inhalte: Was ist ein Computer? Wie schließt man ein Fenster (auf dem Computer), wie schalte ich das Whiteboard ein und aus, was ist ein Whiteboard?

Als neues Unterrichtsfach für die Schüler könnte ich mir vorstellen.
Rechtschreibung und Kopfrechnen mit Tafel und Kreide.

Last edited 1 Jahr zuvor by Untergang
Jonas G.
1 Jahr zuvor
Antwortet  Untergang

Da laufen Sie an der Zeit vorbei, als Schüler der Q1 auf einem Gymnasium in NRW, ist es keinesfalls unüblich, das alle Tablets verwenden. Dennoch ist davon auszugehen, das viele trotzdessen ununterbrochen Spiele im Unterricht spielen. Viele Lehrer haben nicht die nötige Kompetenz, ihren Unterricht zu modernisieren, egal ob Deutsch oder Sozialwissenschaften, das Material, welches vermittelt wird, bleibt unverändert, während die Schüler, die im Gegensatz zu den Lehrern in der Lage sind, sich anzupassen, anfangen Technologien wie ChatGPT, DeepL Write oder BingAI zu verwenden. Dieses Fach sollte auch dazu verwendet werden, den Umgamg mit diesen Tools zu erlernen. Ein festgelegtes Curriculum würde sich der Veränderung der Welt und des Arbeitsmarktes verschließen

GriasDi
1 Jahr zuvor
Antwortet  Jonas G.

Komisch, dass die Unis mit den StudienanfängerInnen immer unzufriedener sind.

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Jonas G.

Zweimal „das“ statt „dass“, dasselbe einmal könnte man als zufälligen Tippfehler werten. Ich weiß, die Rechtschreibkorrektur ist unfähig, das anzuzeigen, eben weil es beides gibt. Aber am Gymnasium könnte man ja vielleicht auch ohne automatische Rechtschreibkorrektur auskommen.
Nebenbei: Hier in diesem Forum wird mir vieles als „falsche Rechtschreibung“ automatisch angezeigt, was aber dennoch richtig ist. Das System hatte mir gerade „verlöre“ als Konjunktiv zu „verlieren“ angemeckert, obwohl es korrekt ist. Der Kollege Computer weiß eben doch nicht alles.

dickebank
1 Jahr zuvor
Antwortet  Untergang

Ein Whiteboard ist volkommen analog, es ist eben ken Smartboard.
Größter Fehler beim Whiteboard ist, es mit Permanentstiften zu beschreiben.

Trinkflasche
1 Jahr zuvor

Das was Hessen dort macht nennt sich in andern Ländern Medienerziehung und ist eine Querschnittsaufgabe. In den anderen Ländern sollen die Kinder das Pflichtfach Informatik bekommen. Auch wenn dort die Informatiklehrkräfte rar sind.

Ich glaube Hessen ist einfach auf dem Holzweg, weil Hessen offenbar nicht kompetent genug darin ist, seine Lehrer so nachzuqualifizieren, dass diese guten und für dieses Jahrhundert so wichtigen Informatikunterricht geben können.

Last edited 1 Jahr zuvor by Trinkflasche
Ureinwohner Nordost
1 Jahr zuvor

Zur Frage in der Überschrift:
Nichts.

Zum „Restproblem“ Lehrermangel:
20 Jahre Notstand.

Und Tschüss

Achin
1 Jahr zuvor

Neues Fach, neue Nebelkerze!
Wie in einem guten Dokumentarfilm reden sich die Leute ohne nötigen Kommentar selbst um Kopf und Kragen: „Für ihn ist ein Vorteil der Pilotphase, dass der Unterricht nicht benotet wird und vorerst auch nicht versetzungsrelevant ist. Das schaffe die nötige Lockerheit…“

Carsten60
1 Jahr zuvor
Antwortet  Achin

Wenn das Sitzenbleiben abgeschafft ist, ist kein Fach mehr versetzungsrelevant. Das gibt dann die optimale Lockerheit. 🙂