Im Fall des versteckten Mädchens von Attendorn stocken die Ermittlungen

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ATTENDORN. Der Fall sorgte bundesweit für Entsetzen: Ein achtjähriges Mädchen soll fast sein gesamtes Leben im Haus der Großeltern von der Außenwelt abgeschottet worden sein. Strafrechtliche Konsequenzen hatte das bislang nicht – die Ermittlungen stocken.

Trügerisches Idyll? Der Biggesee bei Attendorn. Foto: Shutterstock

Im Fall des jahrelang von der Außenwelt isolierten Mädchens im sauerländischen Attendorn ist eine Anklage nicht in Sicht. «Das Mädchen dürfen wir nicht vernehmen und die Beschuldigten schweigen», sagte Sprecher Patrick Baron von Grotthuss von der zuständigen Staatsanwaltschaft in Siegen auf Anfrage. «Das macht die Sache relativ schwierig.»

Solange das Ermittlungsverfahren gegen die Mutter und die Großeltern des Kindes andauere, würden auch keine Geldbußen wegen etwaiger Ordnungswidrigkeiten wie der Verletzung der Schulpflicht oder dem Versäumen ärztlicher Vorsorgeuntersuchungen verhängt.

Das Mädchen war vor elf Monaten aus dem Haus befreit und der Fall vor neun Monaten bekannt geworden. Eine Verjährung drohe aber nicht. Das Mädchen könne sich noch nach Erreichen der Volljährigkeit zu einer Aussage entschließen und das Verfahren wieder in Gang bringen, sollte es bis dahin noch nicht abgeschlossen sein.

Dem damals achtjährigen Kind war das Treppensteigen schwergefallen. Seine körperlichen Beeinträchtigungen hätten sich inzwischen gebessert. Zuvor hatte die «Neue Rhein/Ruhr Zeitung» über den Stand berichtet.

«Wir müssen irgendwann ein Fazit ziehen, ob es für eine Anklage reicht. Wir sind noch nicht am Ende, es stehen noch ärztliche Stellungnahmen aus»

Die Ermittler dürfen das Kind nicht nur nicht vernehmen, sondern auch nicht von einem medizinischen Sachverständigen begutachten lassen. Für beides fehle die Zustimmung des Ergänzungspflegers, sagte der Behördensprecher. Der Ergänzungspfleger, ein Anwalt, soll das Wohl des Kindes schützen. Immerhin seien die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden worden. «Wir müssen irgendwann ein Fazit ziehen, ob es für eine Anklage reicht. Wir sind noch nicht am Ende, es stehen noch ärztliche Stellungnahmen aus.» Das Kind lebt derzeit in einer Pflegefamilie.

In einem getrennten Ermittlungsverfahren wird in der Sache gegen eine ehemalige Jugendamtsmitarbeiterin ermittelt. Die damals zuständige Frau, die inzwischen im Ruhestand ist, soll Hinweisen auf das Schicksal des Mädchens nicht oder nicht konsequent genug nachgegangen sein. In dem Verfahren stünden noch Vernehmungen aus.

Der Fall hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Das Kind soll das Haus seiner Großeltern bis zu seinem achten Lebensjahr nicht verlassen haben. Die Mutter hatte behauptet, 2015 nach Italien ausgewandert zu sein.

Das Jugendamt soll seit 2020 mehrfach anonyme Briefe erhalten haben, die auf das Kind hinwiesen. Erst im Juni 2022, fast zwei Jahre nach dem ersten Brief, war Bewegung in den Fall gekommen: Ein Ehepaar meldete sich beim Jugendamt, das über Umwege von dem Mädchen erfahren hatte und konkrete Hinweise gab. Das Jugendamt fragte in Italien nach, ob das Mädchen mit der Mutter wirklich dort lebt. Acht Wochen später kam von dort die Antwort: Nein.

Die Polizei hatte das Haus schließlich am 23. September 2022 mit richterlichem Beschluss gestürmt: Die Achtjährige schlief darin mit ihrer Mutter in einem gemeinsamen Zimmer. Die Ermittler gehen davon aus, dass das Mädchen fast ihr gesamtes Leben, rund sieben Jahre lang, das Haus nicht verlassen durfte.

Ermittelt wird gegen die Mutter und die Großeltern wegen Freiheitsberaubung und gegen die Jugendamtsmitarbeiterin wegen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen. Das Kreisjugendamt hatte bereits eingeräumt: Die Verfahrensstandards zum Kinderschutz seien «nicht in Gänze eingehalten worden». Künftig solle jeder Hinweis auf eine Kindeswohlgefährdung dem Vier-Augen-Prinzip unterliegen. News4teachers / mit Material der dpa

Mädchen jahrelang eingesperrt – Der Fall in Attendorn schlägt Wellen: Sind die Jugendämter zu überlastet, um Kinderschutz zu gewährleisten?

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