MÜNCHEN. Angesichts der schlechten Ergebnisse der neuen Pisa-Studie hat der Volkswirtschafts-Professor Ludger Wößmann vor den Folgen einer verfehlten Bildungspolitik für die Wirtschaft in Deutschland gewarnt. Auch der Arbeitgeberpräsident meldet sich zu Wort.
«Die Bildungskrise ist unser größtes Standortrisiko», sagte der Leiter des ifo-Zentrums für Bildungsökonomik in München der «Wirtschaftswoche». «Denn wie produktiv sich Kinder und Jugendliche später in die Gesellschaft einbringen können, hängt ganz wesentlich von ihrer Bildungsleistung ab.»
Auch mit Blick auf den Arbeits- und Fachkräftemangel könne sich Deutschland die Bildungskrise nicht weiter leisten, sagte Wößmann. Unter Menschen mit akademischem Abschluss oder Berufsausbildung seien zwei bis drei Prozent arbeitslos, unter solchen ohne Abschluss aber 20 Prozent. Die Bildung sei also der beste Ansatzpunkt. «Ohne Frage brauchen wir auch Fachkräfteeinwanderung», so Wößmann weiter. «Aber das Wichtigste wäre doch, diejenigen für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren, die schon da sind.»
Der Lehrermangel wird sich nach Wößmanns Einschätzung noch weiter verschärfen. «Nicht zuletzt durch die Migrationszuflüsse wird der Bedarf an Lehrkräften noch größer.» In erster Linie müssten die Länder mehr Lehrkräfte ausbilden, forderte er. Denkbar seien auch Zulagen, «um mehr Lehrkräfte an Schulen in Brennpunkten zu bringen».
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger erinnerte daran, dass die jetzigen Schülerinnen und Schüler die Auszubildenden und Beschäftigten von morgen seien. «Diese Köpfe sind der Baustoff unserer Zukunft und der Motor unseres Wohlstands», sagte er. «Wenn die Verantwortlichen jetzt nicht umgehend handeln, ist ein Kompetenzverlust nicht mehr aufzuholen. Wir brauchen einen fast schon revolutionären Neuanfang in unserem Bildungswesen.» News4teachers / mit Material der dpa
Neuer Pisa-Schock: Deutsche Schüler schneiden so schlecht ab wie nie
Ich habe eine Idee, wie man das beheben kann, spie entspricht ungefähr dem, was man in den vergangenen mindestens 20-30 Jahren in Deutschland immer weiter runtergefahren hat: Bildung in der Schule
Das ist allerdings mit der heutigen Eltern-, Schüler-, (weitgehend) Lehrer- und Politikerzusammensetzung nicht mehr schmerzfrei umsetzbar.
Das war auch meine Idee, als ich die Überschrift gelesen habe.
Wir waren mindestens 30 Kinder pro Klasse und hatten vier Klassen pro Jahrgang. Die Lautstärke im Klassenzimmer war durch fast jede Lehrkraft regelbar. Noten wurden für Leistung vergeben und wer nicht genug leisten konnte, hatte im entsprechenden Fach eine schlechte Note. Unsere Eltern setzten sich ein, wenn es bei einer Lehrkraft gehäuft zu „Ungerechtigkeiten“ und anderen Spannungen kam, aber in den meisten Fällen waren sie auf der Seite der Lehrkräfte und erwarteten, dass wir mitarbeiteten und spurten. Gingen die Eltern zu einer Sprechstunde mit der Lehrkraft, kamen sie mit Lob und Tadel für uns zurück und erwarteten, dass wir unsere Leistung verbesserten. Unsere Lehrkräfte waren freundliche Menschen, die an uns und unserem Wohlergehen interessiert waren, die aber in ihren jeweils 45 Minuten den Stoff durchgezogen haben und wenig Geduld mit „Störungen“ hatten. Wir waren alle mit einer verbindlichen Grundschulempfehlung und nach Gesprächen mit unseren Eltern auf die entsprechende weiterführende Schule gekommen. Das hatten wir nicht als Schmach aufgefasst, sondern schon als Zehnjährige als Ergebnis unser Leistungsfähigkeit begriffen. In den weiterführenden Schulen war es in jedem neuen Schuljahr möglich, nach oben oder unten zu wechseln. Bei einem Wechsel nach oben gab es die Möglichkeit, die Klasse zu wiederholen, um gut in den höheren Anforderungen anzukommen. Nach unten bedeutete immer, Gymnasium- Realschule, Realschule- Hauptschule. Man konnte bei guten Leistungen nach dem jeweiligen Abschlusszeugnis den nächsthöheren Abschluss in verschiedenen Schulen erlangen. Wir fanden das fair und normal und hatten keine emotionalen Probleme damit, wir haben uns auch gegenseitig mit den verschiedenen Abschlüssen akzeptiert.
Wichtig war, dass wir in Klassen mit weitgehend ähnlichen Fähigkeiten unterrichtet wurden und dass wir gegebenenfalls in eine andere Schulform wechselten, um am passenden Platz lernen zu können. Unsere Lehrkräfte erwarteten, dass wir sowohl in die Schulform als auch in die jeweilige Klassenstufe passten und wir erwarteten das auch. Natürlich gab es Tränen bei Wechseln, die Betroffenen lebten sich aber auch rasch in der neuen Umgebung ein. Wir hatten in jeder Schulform viele Mitschülerinnen und Mitschüler mit Migrationshintergrund. Sie passten ungeachtet ihrer Herkunft genau wie wir in die jeweiligen Klassen. Da die Ansprüche und die Fähigkeiten in den Schulen und Klassen zueinander passten, waren die Erfahrungen nicht frustrierend und alle hatten Erfolge und Niederlagen, manche waren auch in allen Fächern an der Spitze. Wir haben das als gerecht und gut empfunden.
Ich kann über die vielen Befindlichkeiten heute manchmal nur den Kopf schütteln. Wir haben uns gegenseitig oft heftig gestritten und es gab auch noch Raufereien, aber wir fanden das nicht so schlimm, dass wir das in Zeitungen oder in politischen oder gesellschaftlichen Diskussionen hätten hören oder lesen wollen. Ich glaube, damals waren die Menschen aus der Türkei, Italien, Spanien oder aus Afrika besser integriert als jetzt. Ich habe nie meine Freundin aus der Türkei oder ausländische Mitschüler klagen gehört, irgend ein Ungemach sei ihnen zugefügt worden, weil sie aus xy stammen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sie bei einer Auseinandersetzung außen vor zu lassen, um sie nicht rassistisch zu verletzen. Und sie haben genauso ausgeteilt. Danach war wieder Ruhe, die Pause war vorbei und der Unterricht ging weiter. Auch unsere Lehrer und Lehrerinnen haben sich, falls sie kurz schlichten mussten, nicht um Herkunft gekümmert, sie haben erwartet, dass alle sich zusammen gerissen haben. Und das haben wir. So konnte bei uns fast immer Unterricht stattfinden und wir haben in den allermeisten Fällen den Stoff in allen Fächern am Schuljahresende durch gehabt. Es gab einfach Disziplin und Ordnung, in einer selbstverständlichen und strukturgebenden Form. Das brachte Ruhe in den Unterricht, was weniger anstrengend war als unruhige Klassen, die es immer da gab, wo eine Lehrkraft sich nicht durchsetzen konnte, was wir immer richtig schlimm fanden. Da zogen sich die Stunden wie Kaugummi.
Können wir nicht in die 70iger und 80iger Jahre zurück oder uns zumindest daran orientieren? Damals sind fähige junge Menschen auf den Arbeitsmarkt und ins Studium gegangen.
Und brav waren wir bestimmt nicht. Wir wussten aber, wann Schluss mit lustig ist. Wir wollten auch nicht nach unten absteigen, also haben wir uns angestrengt. Das wäre doch
mal wieder eine Überlegung wert.
Vielleicht ist den Schülerinnen und Schülern von heute auch bodenlos langweilig, weil die strengere Struktur fehlt und echte schulische Herausforderungen gemieden werden, damit niemand sich unterdrückt fühlt.
“Können wir nicht in die 70iger und 80iger Jahre zurück oder uns zumindest daran orientieren?”
Sorry, Sie haben eine seltsam verklärte Sicht auf die Vergangenheit in der Bundesrepublik: Die 70-er und 80-er Jahre waren eine Zeit, die von Massenarbeitslosigkeit geprägt war, es gab massive Drogenprobleme unter Jugendlichen (“Wir Kinder vom Bahnhof Zoo”), viele tauchten in Sekten unter. Jugendbewegungen wie der Punk entstanden aus Protest gegen eine miefige Gesellschaft. Frauen in der Bundesrepublik brauchten bis 1977 eine Erlaubnis ihres Mannes, wenn sie arbeiten wollten. Abtreibung war strafbar. Homosexualität stand ebenfalls unter Strafe. Migrantinnen und Migranten waren “Gastarbeiter” (heißt: Es gab praktisch gar keine Integration, weil die Menschen nur als billige Arbeitskräfte gesehen wurden, die dann verschwinden, wenn sie ihren Job getan haben), es herrschte ein Kalter Krieg, der sich jeder Zeit zu einem Atomkrieg auswachsen konnte. In vielen Familien wurden die Kinder verprügelt. Das Gewaltlevel unter Jugendlichen war nachweislich höher als heute. Gerne hier nachlesen: https://www.news4teachers.de/2023/11/kriminologe-weniger-jugendgewalt-als-vor-zwei-jahrzehnten-trotz-anstiegs-2022/
Dahin wollen Sie zurück? Wir nicht.
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Alles richtig, bis aufs Gewaltlevel zumindest an Schulen. Messerstecherei en gab es wirklich nicht, und kein Schüler hätte einen Lehrer bedroht. Ich kenne diesen Jugendgewalt Artikel, aber kann ihn nicht nachvollziehen, es sei denn, man rechnet die AKW Demos auch mit unter Jugendgewalt.
Vielleicht sollten Sie nicht ihre persönlichen Erfahrungen zum Maßstab machen – Jugendgewalt ist kein neues Phänomen. Gerne hier nachlesen: https://www.deutschlandfunkkultur.de/jugendliche-straftaeter-das-ende-der-unschuld-100.html
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Ich hatte mich nur auf Unterricht bezogen, nicht auf sämtliche Probleme der damaligen Zeit. Es muss doch einen Grund geben, warum damals mehr Leistung möglich war, obwohl das Leben damals, wie Sie ganz richtig schreiben, härter war. Diesen Grund sollte man anschauen und ihn auf heutige Zeiten passend umsetzen. Mir scheint, dass Disziplin eine Rolle spielte und auch das gegliederte Schulsystem, das aber jedes Jahr für Wechsel offen war.
War denn damals tatsächlich mehr Leistung möglich? War es denn tatsächlich “mehr”, wenn z. B. deutlich weniger Abiturientinnen und Abiturienten als heute punktgenau auf ihre Prüfungsaufgaben vorbereitet werden konnten, als im heutigen Zentralabitur, für das mehr in der Breite gelernt werden muss, weil eben auch die Lehrkräfte die Aufgaben nicht mehr kennen? Ist es “mehr”, wenn (wie früher) ein hoher Prozentsatz der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten Latein lernten – aber größtenteils nicht in der Lage waren, auf Englich Konversation zu führen? Das Schulsystem war früher auch nicht für Wechsel offen, wie Sie behaupten – 1970 lag die Abiturientenquote bei gerade mal 10 Prozent (womit sich der heutige Akademikerbedarf auch nicht annähernd decken ließe).
“Wer aus einem Arbeiter-Haushalt kam, auf dem Land lebte, katholisch war oder eine Frau, hatte wenig Chancen auf höhere Bildung.” Quelle: https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Wie-viel-Bildung-fuer-wen-und-wie-Der-Streit-in-den-70ern,bildung490.html
Wir halten wenig von der “Früher-war-alles-besser”-Theorie.
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Sorry, komme auch aus dieser Zeit, und: 1. Massenarbeitslosigkeit herrscht heute auch, sie wird nur anders genannt/beschrieben, siehe heutige Aufwendungen für Soziales, 5,5 Millionen!!! Menschen erhalten Bürgergeld, = die sind nicht “arbeitslos”. 2. Drogenprobleme: Noch nie wurde so offen konsumiert und gedealt wie im heutigen Deutschland siehe Frankfurter HBF/Parks in Berlin, 1980 gabs für 2 g Cannabis noch 1.000 Mark Geldstrafe. 3. Frauen in unserer Familie benötigten nie eine Genehmigung, die gaben sie sich selbst. Anderenfalls hätten sie unsere Väter/Onkel verlassen. Integration: Toll das es Ihrer Meinung heute so viel besser läuft als früher. Das geht ja wohl an der Realität vorbei.
Und zuletzt, gut das wir in so einem friedlichen Europa leben.
Will ich zurück? Ja, ja und eindeutig. Genscher Strauss Schmidt Brandt. Was soll ich hierfür heute hinschreiben (egal wie man zu den Charaktären stand).
Um Politiker*innen wie “Genscher Strauss Schmidt Brandt” zu bekommen, müssten wir wohl erst wieder einen Krieg anfangen – das waren nämlich alles Männer (sic!), die von ihren Erfahrungen in der Nazi-Diktatur geprägt worden waren. Allerdings hatten nicht alle daraus die gleichen Lehren gezogen (siehe Spiegel-Affäre).
Und was die Integration betrifft: Das kommt sehr auf die Perspektive an. Wir empfehlen mal “Ganz unten” von Günter Wallraff als Lektüre.
Herzliche Grüße
Die Redaktion
“Bildungskrise ist das größte Standortrisiko für Deutschland”
Ok, jetzt wissen wir’s endlich. Es ist also keinesfalls
Nein, nein, dass alles ist sicherlich nicht das “größte Standortrisiko”. Die Bildung ist es, wie uns Professor Wößmann belehrt. Und damit haben wir auch schon wieder den Universalschuldigen und Sündenbock par excellence lokalisiert: Historiker werden einst berichten, dass es die “faullen S…” waren, die den “Standort Deutschland” dem Untergang geweiht haben. So fängt Legendenbildung an…
„Keep calm and carry on….!!!“
In spätestens zwei Wochen redet kein Mensch mehr davon … und seitens der Politik werden dann Überlegungen angestellt, wie man das Haushaltsdefizit auch mit Einsparungen im Bildungsbereich verkleinern kann.
Same procedure as every time!
Beispiel: Lateinamerika: In sozialen Brennpunkten, den sogenannten Roten Zonen, zählt jedes Jahr doppelt für die Pensionierung. Ja richtig, da ist dann manche Lehrkraft mit 50 oder noch früher durch. Also eine Art Pilotenregelung. Da gibt es dann aber genug Bewerbungen.
Das nur als Beispiel, wie man kreativ werden kann, “schlechte” Schulen mit Personal zu versorgen.
Prof. Wößmann könnte vielleicht noch erklären, wie es sich ökonomisch auswirkt, dass die USA bei Pisa fast immer hinter Deutschland lagen. Sind deshalb die USA eine kriselnde Volkswirtschaft? Und Finnland boomte in den letzten 20 Jahren?
Die USA sind eine extrem zwischen Arm und Reich gespaltene Gesellschaft – ein Spiegelbild des Bildungssystems. Finnland hingegen ist ein Staat, dessen Bevölkerung viel Wert auf Chancengleichheit legt. Das spiegelt sich dann ebenfalls im Bildungssystem. Das lässt sich problemlos auch ohne Prof. Wößmann feststellen.
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Aber genau davon redet Wößmann doch gar nicht. Er argumentiert rein ökonomisch: mehr Pisapunkte = ökonomische Prosperität, weniger Pisapunkte = schlecht für die Wirtschaft.
Sie wollen uns hoffentlich nicht erzählen, der Wirtschaft ginge es primär um Gleichheit oder Gerechtigkeit. Wößmann ist ein Vertreter der Wirtschaft.
Heißt dann wohl: Soziale Gerechtigkeit und ökonomischer Nutzen schließen sich nicht aus, im Gegenteil, bedingen sich sogar langfristig. Herzliche Grüße Die Redaktion
Wie ist da die Begründung? Die USA zeigen eher auf das Gegenteil: ungerecht, aber wirtschaftlich stark.
Natürlich schwätzen Bildungsökonomen auch gerne von der Gerechtigkeit, das macht sich gut in der Presse. Aber entscheidend ist, was in den Vorstandsetagen beschlossen wird. Ich fürchte, da schert sich niemand um Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Für das Funktionieren der Wirtschaft ist das ganz egal. In China gibt’s auch keine Gerechtigkeit, das ist eine Diktatur, aber ökonomisch erfolgreich. Nicht vergessen: In China und Nordkorea gibt’s Zwangsarbeitslager, das ist plausibel berichtet worden, und chinesische Unternehmen beschäftigen nordkoreanische Zwangsarbeiter.