Podcast-Reportage zum Seiteneinstieg: „200 verschiedene Schüler – nach dem ersten Schultag war ich erstmal durch“

3

DORTMUND. Als Seiteneinsteiger im Schulsystem gibt es viele neue Herausforderungen zu bewältigen – das gilt insbesondere in Zeiten einer Pandemie. Gleichzeitig wachsen Seiteneinsteiger*innen mit jeder neuen Aufgabe weiter in das System hinein. In der dritten Folge der fünfteiligen Podcast-Reportagereihe „Plötzlich Lehrer“ stellt News4teachers-Redakteurin Laura Millmann die Ausbildung der neu gewonnenen Lehrkräfte in den Mittelpunkt.

Der Schuldienst kann Menschen an Grenzen führen (Symbolbild). Illustration: Shutterstock

Januar 2021: Wir befinden wir uns im zweiten Coronalockdown. An den Schulen gibt es nur Distanzunterricht und persönliche Treffen sind kaum möglich. Für Seiteneinsteiger Andre Diehl und seine Kolleg*innen gilt es, Schule neu zu definieren und die Herausforderungen der Pandemie anzunehmen. Andre Diehl ist nicht mehr ausschließlich Lehrer für Sport und Sachunterricht, sondern an seiner Stammschule auch für die technische Administration der schulinternen IT zuständig. Er betreut die Endgeräte der Schule, kümmert sich um die Neueinrichtung der NRW-Lernplattform Logineo und beantwortet rund um die Uhr Anfragen von Eltern und Kolleg*innen.

Die Coronapandemie stellt ihn als Sportlehrer vor zusätzliche neue Herausforderungen. Wie soll man Sport online unterrichten? Wie kann man mit seinen Schülerinnen und Schülern Kontakt halten? Andre versucht, über seine Wochenaufgaben die Kinder zu motivieren, draußen und drinnen sportliche und spannende Aufgaben zu bewältigen, die ein bisschen Abwechslung in den Alltag bringen. Dazu gehören zum Beispiel Socken-Boccia oder ein Geocaching mit den Eltern. Außerdem dreht Andre Diehl kleine Erklärvideos, die er für seine Schüler*innen auf YouTube online stellt.

Die eigene Rolle finden

Auch Stella Krüger ist Seiteneinsteigerin. Sie arbeitet seit Oktober 2020 als Sportlehrerin an einer Grundschule in Herne und absolviert in der Hochphase der Pandemie die sogenannte pädagogische Einführung. Zuvor hat sie im Bereich Marketing bei einem großen Fußballverein gearbeitet und muss feststellen, dass die Herausforderungen im Schulalltag noch einmal ganz anders belastend sind: „Mein anderer Job war eher ein Bürojob, auch wenn ich mich um Kinderprojekte gekümmert habe. Im Endeffekt saß ich am PC, auf meinem Bürostuhl und konnte mir die Zeit selber einteilen. Und jetzt muss ich die ganze Zeit aufmerksam sein, auf Klassen von 25 bis 30 Kindern aufpassen. Das ist unglaublich anstrengend, da auch jedem Kind gerecht zu werden. Was man da alles wahrnehmen und beachten muss! Man steht irgendwie dauernd unter Stress.“

Und nicht nur musste Stella sich an einen neuen Alltag gewöhnen, auch in ihre neue Rolle als Lehrerin musste sie erst einmal hineinfinden. Sie erzählt, dass sie erst einmal für sich herausfinden musste, wie sie mit den Kindern umgehen kann und wie streng sie zum Beispiel sein will. „Am Anfang habe ich meine Kolleginnen viel dabei beobachtet, wie sie Regeln gegenüber den Schülern durchsetzen und welche Rituale sie haben“, sagt Stella. Außerdem hilft ihr der Austausch mit anderen Seiteneinsteiger*innen im Zuge der pädagogischen Einführung.

Wege in den Schuldienst

Um in NRW als Seiteneinsteiger arbeiten zu können, muss man verschiedene Voraussetzungen erfüllen. Dabei unterscheidet sich, ob man an einer Grundschule oder einer weiterführenden Schule unterrichten möchte. Als Grundschullehrkraft muss man ein abgeschlossenes Hochschulstudium im gewünschten Unterrichtsfach vorweisen können und die einjährige pädagogische Einführung absolvieren. Zu dieser Einführung gehören regelmäßige Seminare sowie Unterrichtsbesuche durch die Betreuer*innen. Zudem muss sich nach der Probezeit an einer Grundschule die jeweilige Schulleitung für die Eignung des Seiteneinsteigers aussprechen.

Um in Nordrhein-Westfalen als Seiteneinsteiger an einer weiterführenden Schule unterrichten zu können, muss hingegen eine zweijährige Ausbildung absolviert werden – die sogenannte OBAS-Ausbildung – an deren Ende das Staatsexamen steht. OBAS steht dabei für „Ordnung zur berufsbegleitenden Ausbildung von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern und der Staatsprüfung“. Die Grundvoraussetzung für die OBAS-Ausbildung sind allerdings zwei Jahre Berufserfahrung nach einem abgeschlossenem Masterstudium.

„Das macht man nicht mal eben so nebenbei“, sagt Thomas Kratzert, Leiter des Zentrums für Schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) in Dortmund. „Wer sich in diese Ausbildung begibt, betreibt über Jahre einen unglaublichen Aufwand. Und wer diesen Weg auf sich nicht: Hut ab. Wer das erfolgreich macht: Nochmals Hut ab. Ich glaube, dass da ein vollkommen falsches Bild in der Öffentlichkeit ist.“ Natürlich können man niemanden in ein, zwei Jahren auf das gleiche Niveau heben, wie es eine grundständig ausgebildete Lehrkraft nach dem Studium erreicht hat, dennoch könnten Seiteineinsteiger*innen eine Bereicherung sein. „Sie tragen nochmal einen Blick von außen in die Schule hinein.“

Die Beweggründe für Seiteneinsteiger*innen, in den Schuldienst zu gehen, seien seiner Erfahrung nach ganz unterschiedlich: Die Suche nach mehr Sicherheit, der Wunsch, Familie und Beruf besser vereinbaren zu können, oder einfach die Hoffnung, im Lehrerjob mehr bewegen zu können.

Sprung ins kalte Wasser

Auch Andre Diehl bestätigt, dass sich das Arbeiten an einer Schule komplett von anderen Berufen und Tätigkeiten unterscheidet. Und er erinnert sich an seinen ersten Arbeitstag als Lehrer zurück. „Es war ein Freitag, ich wusste, ich habe zuerst die Klasse 3. Und ja, dann haben sich die Schüler umgezogen, kamen in die Halle und dann waren erstmal alle Augen auf mich gerichtet. Und dann musste ich mich erstmal zurechtfinden: große Halle, wuselige Kinder, keinen Namen kannte ich, nicht einen. Und ich habe ich relativ schnell gemerkt, dass die Kinder natürlich auch schon Sportlehrer vor mir hatten, die ja auch Regeln und Abläufe gemacht hatten, die ich alle nicht kannte“, erzählt Andre. „Und am ersten Schultag hatte ich tatsächlich sechs Stunden Sport. Sechs Stunden Turnhalle mit sechs verschiedenen Klassen, von der ersten bis zur vierten Klasse. Über 200 verschiedene Schüler habe ich gesehen an dem Tag. Und als ich dann fertig war, bin ich nur noch nach Hause gefahren und hab erstmal geschlafen. Da war ich komplett durch.“

Seitdem haben seine Schüler und er sich angenähert und er hat sich in seine Rolle als Lehrer eingefunden. Wichtig war für ihn dabei die Erkenntnis, dass es ein Unterschied ist, Trainer oder Lehrer zu sein: „Wenn ich Fußballtraining mache, dann sage ich vorher, worauf zu achten ist, worum es bei einer Übung geht und was ich sehen will. Aber im Sportunterricht geht es ja mehr –zumindest ist das meine Ansicht – darum, dass die Schüler mit mir zusammen etwas entwickeln und selbst auf etwas kommen. Das heißt, ich mache mit den Kindern nicht nur aktiv Sport, sondern versuche, dass sie selbst etwas beitragen können, durch ihre Erfahrungen.“ Eine Erkenntnis, die er sich ebenfalls selbst erarbeiten musste. News4teachers

Der vierte Teil der der Podcast-Reportage „Plötzlich Lehrer!“ erscheint in den nächsten Tagen.

Hier geht es zu den ersten beiden Teilen der Podcast-Reportage – sowie zu weiteren Folgen des News4teachers-Podcasts Schulschwatz:

Den Podcast finden Sie auch auf

 

News4teachers-Podcast: Plötzlich Lehrer – der Sprung ins kalte Wasser! Reporterin begleitet Seiteneinsteiger fast drei Jahre lang

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

3 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Konfutse
3 Monate zuvor

Der Unterschied zwischen Trainer und Lehrer ist der, dass zum Trainer die Menschen in der Regel freiwillig kommen. Das Dilemma beim Lehrberuf ist, dass sehr viele Menschen nicht freiwillig am Unterricht teilnehmen.

Lolo
3 Monate zuvor

Hoffentlich hatte er für jedes Kind eine individuelle Vorbereitung.

Lisa
3 Monate zuvor

Den Lehrerschlaf mittags, oder viel mehr das Koma….ja, das kennen viele. Ich habe eine Freundin, die in eine Privatschule gewechselt ist. Langjährige Erfahrung. Ihr erster Kommentar: “ Ich muss nicht mehr schlafen, wenn ich heim komme… “ Meines Erachtens liegt das am Lärmpegel. In einem Bauberuf müssten wohl Kopfhörer getragen werden.