FRANKFURT/MAIN. Die GEW hat den Vorschlag von Bettina Stark-Watzinger (FDP) zum Digitalpakt 2.0, den sie nun in den Verhandlungen mit den Ländern vorgelegt hat, scharf kritisiert. Die Gewerkschaft mahnte die Bundesbildungsministerin dringend, die Digitalisierung an Schulen endlich ernst zu nehmen. „Der Entwurf ist kein Kompromissvorschlag, sondern eine Provokation“, erklärte Ralf Becker, Digitalisierungsexperte der Gewerkschaft. Auch von Hessens Kultusminister und vom Branchenverband Bitkom kommt Kritik. Kein Wunder: Der Bund will sein Engagement einschränken – und dann komplett beenden.
Der vertrauliche Entwurf des Bundesbildungsministeriums – der News4teachers vorliegt, siehe unten – beinhaltet, dass der Bund seinen Finanzierungsanteil am neuen Digitalpakt von bislang 90 auf 50 Prozent senkt. Zudem will der Bund die Förderung ab 2030 komplett einstellen. Welche Summe das Projekt insgesamt umfassen soll, bleibt offen. „Dafür investieren Bund und Länder über die Laufzeit dieser Vereinbarung insgesamt bis zu X Mrd. Euro zu gleichen Teilen”, so heißt es wörtlich in dem Papier.
„Einerseits will das Bildungsministerium den Ländern vorschreiben, wie viele verpflichtende Fortbildungen sie anbieten müssen – und fordert damit den Bildungsföderalismus heraus. Andererseits reduziert der Bund seinen Finanzierungsanteil um 40 Prozent und will sich ab 2030 komplett aus seiner Verantwortung stehlen. Dabei lautet das Gebot der Stunde, den Pakt jetzt gut aus zu finanzieren und ihn zu verstetigen “, kommentiert GEW-Vorstandsmitglied Becker das Papier, das offenbar auf Sparpläne von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zurückgehe.
„Schulen und Schulträger benötigen Planungssicherheit, zum Beispiel wenn sie Personal für die IT-Administration gewinnen wollen“
„Die Schulen brauchen jetzt Planungssicherheit. Die geplante einjährige Laufzeit für Finanzierungen von Projekten sorgt nicht für diese Sicherheit“, betonte Becker. Er warnte davor, dass es „gravierende Folgen“ habe, wenn der Digitalpakt dem Diktat von Haushaltskürzungen und Schuldenbremse unterliege. „Dringend notwendige Investitionen an den Schulen sind keine frei wählbare Zusatzoption. Schulen und Schulträger benötigen Planungssicherheit, zum Beispiel wenn sie Personal für die IT-Administration gewinnen wollen.“ Statt für Kontinuität bei der Zukunftsfrage der digitalen Infrastruktur zu sorgen, so Becker, stelle die Bundesregierung „die Schuldigitalisierung hinten an und tritt entgegen der Ansagen im Koalitionsvertrag auf die Bremse. So wird aus Lindners Schulden- eine Zukunftsbremse“.
Auch die geplante Mittelverteilung entlang der Zahl der Schülerinnen und Schüler sei nicht der richtige Weg. „Um Chancengleichheit zu verwirklichen, muss Ungleiches ungleich behandelt werden“, unterstrich das GEW-Vorstandsmitglied. „Um eine sozial ausgewogene und gerechte Steuerung des Digitalpakts 2.0 zu erreichen, müssen die Gelder nach sozialen Indikatoren verteilt werden. Es braucht ein transparentes Monitoring, das auch soziale Indikatoren berücksichtigt, eine Stärkung digitaler Schulentwicklungsprozesse durch mehr zeitliche, finanzielle und fachliche Ressourcen sowie eine gezielte Förderung finanzschwacher Kommunen.“
„Wir schlagen vor, bei der Digitalisierung der Schulen die Qualität und Profession ins Zentrum zu rücken und die Mittel nach einem Multiplen Benachteiligungsindex (MBI) sozial gerecht zu verteilen. Zudem wollen wir, dass der Pakt auf andere Bildungsbereiche ausgeweitet wird: Digitalpakt frühe Bildung, Digitalpakt Hochschule, Digitalpakt Weiterbildung und Digitalpakt Alter“, sagte Becker.
Auch Hessens Kultusminister Armin Schwarz übte Kritik an dem Entwurf: „Was da jetzt vom Bundesbildungsministerium auf den Tisch gelegt wurde, ist wieder eine große Enttäuschung“, sagte Schwarz dem Medium „Table.Briefings“. An den Stellen, wo der Bund unterstützen müsse, bleibe das Konzept vage, während die darin gestellten Forderungen an die Länder „mehr als übergriffig“ seien, kritisiert Schwarz. „Allein die geforderte Anzahl der zusätzlichen Fortbildungen für Lehrkräfte ist so absurd, dass man fast annehmen könnte, dass Frau Stark-Watzinger gar keine Einigung beim Digitalpakt anstrebt“, so der CDU-Politiker.
„Bund und Länder stehen sich im Kompetenzgerangel weiterhin selbst im Weg. Deutschlands Schulen endlich fit für das digitale Zeitalter zu machen, muss jetzt Priorität haben“
Ralf Wintergerst, Präsident des Branchenverbands Bitkom, drückt sich diplomatischer aus. „Wir begrüßen sehr, dass nun endlich ein Entwurf des Digitalpakts 2.0 vorliegt. Auch wenn man von einer Einigung noch weit entfernt scheint, ist jetzt zumindest die Grundlage für Verhandlungen zwischen den Beteiligten gelegt. Dabei zeigt sich: Bund und Länder stehen sich im Kompetenzgerangel weiterhin selbst im Weg. Deutschlands Schulen endlich fit für das digitale Zeitalter zu machen, muss jetzt Priorität haben. Dazu gehört vor allem auch, sich auf eine konkrete Summe für den Digitalpakt 2.0 zu einigen.“
Gute digitale Bildung brauche mehr als einmalige Investitionen in Geräte und die technische Infrastruktur. Bislang fehlen im vorliegenden Entwurf konkrete Aussagen dazu, was genau unter den Förderrahmen fallen soll. Aus Sicht von Bitkom gehören beispielsweise auch digitale Lern- und Lehrmaterialien dazu, die bisher nicht eindeutig als Teil des Digitalpakt 2.0 benannt werden. Darüber hinaus bedarf es dem Verband zufolge einheitlicher Standards für die technische Ausstattung, um die Schulen bei ihren Digitalvorhaben zu unterstützen und sie bundesweit auf ein ambitioniertes Niveau zu bringen. Auch eine fortlaufende Evaluation des Digitalpakts 2.0 sollte – anders als bei seinem Vorgänger – von Anfang an berücksichtigt werden.
Wintergerst: „Die digitale Transformation von Deutschlands Schulen ist eine langfristige Aufgabe. Sie hat keine Deadline, sondern muss zum Selbstverständnis in der Schulentwicklung werden. Es braucht daher entsprechende Budgets und Konzepte für ein modernes Bildungssystem, das alle Bereiche des digitalen Lernens und Lehrens einschließt. Vor allem brauchen die Schulen Planungssicherheit durch langfristige und verlässliche Investitionsperspektiven. Die Ankündigung, der Bund wolle die Digitalisierung der deutschen Schulen ‚letztmalig‘ unterstützen, ist deshalb das falsche Signal. Gerade vor dem Hintergrund rasanter technologischer Entwicklungen ist langfristig ein kooperatives und entschlossenes Handeln von Bund und Ländern erforderlich, um schulische Bildung zeitgemäß zu gestalten.“ News4teachers / mit Material der dpa
In dem insgesamt achtseitigen Entwurf des Bundesbildungsministeriums (Vermerk: „nicht ressortabgestimmt, unter Haushaltsvorbehalt, vertraulich“), der News4teachers vorliegt, heißt es im Wortlaut:
„Der Bund beteiligt sich mit einer Förderquote von 50 Prozent, die Länder beteiligen sich ebenfalls mit 50 Prozent am Gesamtvolumen des öffentlichen Finanzierungsanteils der förderfähigen Kosten der Investitionen eines Landes. Die Länder und Kommunen führen bereits begonnene Investitionsprogramme im Bereich Bildung in der digitalen Welt wie geplant weiter und stellen dadurch sicher, dass die Bundesmittel zusätzlich eingesetzt werden. Die Länder werden dafür sorgen, dass die Erbringung der Förderquote durch die Länder nicht zu Lasten kommunaler Haushalte erfolgt.“
„Die Finanzierung der Schulausstattung ist Aufgabe der Länder. Die Finanzhilfe nach Artikel 104c Grundgesetz ist eine letztmalige Unterstützung des Bundes. Es ist daher alleinige Pflicht der Länder, für die nachhaltige Finanzierung des digitalen Wandels in den Schulen Sorge zu tragen. Die Länder stellen daher sicher, dass bis Ende 2029 eine mit den Schulträgern abgestimmte verbindliche Planung eines jeden Landes zur dauerhaften Finanzierung der genuinen Länderaufgabe digitaler Bildung vorgelegt wird.“
Gefordert wird von den Ländern unter anderem ein „zusätzliches Engagement für die Qualifizierung des pädagogischen Personals“, genauer: „Ab 2026 mindestens durch die Einführung einer Fortbildungsverpflichtung für Lehrkräfte insbesondere im Bereich digitales Lehren und Lernen von 30h p. a. durch individuelle Teilnahme an zertifizierten Angeboten oder schul-/schulverbundinternen Fortbildungen (gemäß Empfehlung der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK), finanziell unterlegt durch eine Anhebung von Fortbildungs-/Qualitätsbudgets auf Schulebene um 500 Euro pro Schule und 40 Euro pro Lehrkraft.“
Und: „Die Länder stellen sicher, dass zum 31.12.2029 eine mit den Schulträgern abgestimmte verbindliche Planung eines jeden Landes zur dauerhaften Finanzierung der genuinen Länderaufgabe digitaler Bildung vorgelegt wird. Dazu gehören vor allem die dauerhafte Sicherstellung der Administration der Schul-IT durch Kapazitäten von Ländern und Kommunen, die Gewährleistung der Interoperabilität und Anschlussfähigkeit der IT-Infrastruktur durch einheitliche Standards sowie in eigener Zuständigkeit unterhaltene Service-, Beratungs- und Vernetzungsangebote für Schulen und Schulträger für die Zeit nach der Förderung dieser Gegenstände durch den Digitalpakt 2.0.“
