Holocaustüberlebende appellieren an wahlberechtigte Schülerinnen und Schüler: „Geht wählen“

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DÜSSELDORF. Am kommenden Sonntag ist es so weit: Für viele Schüler*innen in Deutschland stellt die Europawahl die erste demokratische Wahl dar, an der sie sich beteiligen dürfen, denn erstmals sind auch schon 16-Jährige aufgefordert, ihre Stimme abzugeben. An diese und alle weiteren Erstwähler*innen appellieren Holocaustüberlebende und Weltkriegszeugen nun in einem offenen Brief, ihr Wahlrecht auch wahrzunehmen – für die Demokratie: „Denn so selbstverständlich, wie sie scheint, ist sie nicht.“ Eine Mahnung, die einer Umfrage zufolge Potenzial hat, von der Jugend gehört zu werden.

In Auschwitz wurden zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen ermordet. Damit sich die Geschichte nicht wiederholt, erinnern Holocaustüberlebende und Weltkriegszeugen an die Schrecken des Nationalsozialismus. Foto: Shutterstock

„Für Millionen von Euch ist die Europawahl die erste Wahl in Eurem Leben. Für viele von uns könnte es die Letzte sein“, mit diesen Worten beginnt der offene Brief der Holocaustüberlebenden und Weltkriegszeugen, der auf der Kampagnenplattform Avaaz veröffentlicht wurde. Unterschrieben hat ihn auch Eva Umlauf, die als Zweijährige Auschwitz überlebt hat. Mit ihren 81 Jahren ist sie die Jüngste der zehn Erstunterzeichnenden des Schreibens; die anderen sind 88 Jahre und älter.

Gemeinsam mit ihren Mitstreiter*innen will Umlauf an die Schrecken des Nationalsozialismus erinnern – und an die Anfänge, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. „Die Rechten sind damals nicht durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen, sondern auf demokratischem Wege. Zu viele haben sie unterschätzt, sie nicht ernst genommen“, heißt es mahnend in dem Schreiben. Und: „Sie versprachen, dieses Land wieder groß zu machen. Sie versprachen, dass die Deutschen zuerst kämen. Und sie fanden Schuldige für alles, was nicht funktionierte: Die Juden, die Sinti und Roma, die Homosexuellen, die Menschen mit Behinderungen, die engagierten Demokraten. Schritt für Schritt wurden Millionen Menschen ihre Rechte entzogen, bis zu ihrem Recht auf Leben.“ In ihrem Brief appellieren Umlauf und die anderen Zeitzeugen daher an die Erstwähler*innen: „Gebt der Demokratie eine Chance. Geht wählen. Zeigen wir gemeinsam, dass ‚Nie wieder‘ nicht nur eine Phrase ist, sondern ein Versprechen. Ein Versprechen das auch heute gilt. Und morgen. Und für immer.“

Jugendstudie: Demokratie besitzt hohen Stellenwert

Die Chance, dass die jungen Wähler*innen dem Zeitzeugen-Aufruf nachkommen, scheint gut zu stehen. Das lässt zumindest die aktuelle Studie „Junges Europa 2024“ der TUI Stiftung vermuten, für die das Meinungsforschungsinstitut YouGov vom 6. bis zum 19. März 2024 fast 6.000 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen befragt hat. Demnach besitzt die Demokratie auch bei vielen jungen Menschen einen hohen Stellenwert. 58 Prozent aller Befragten gaben an, dass es ihnen nicht egal ist, ob sie in einem Land leben, in der die Regierungsform demokratisch ist oder nicht. In Deutschland waren es 63 Prozent.

Gleichzeitig scheint unter ihnen auch bereits ein Bewusst zu bestehen, wie fragil die Demokratie sein kann. Rund zwei von fünf Befragten stimmten der Aussage eher oder voll und ganz zu, dass die Demokratie in ihrem Land gefährdet ist (42 Prozent). Knapp jeder zweite beobachte im eigenen Land vermehrt demokratiefeindliches Verhalten (49 Prozent). In Deutschland gaben dies 55 Prozent der Befragten an, überdurchschnittlich viele antworteten zudem, dass sie die Demokratie hierzulande als gefährdet ansehen (48 Prozent).

Positiv stimmt vor diesem Hintergrund allerdings, dass unter den jungen Befragten Wahlen zu den Top-3 der wirkungsvollsten Maßnahmen zählen, um politisch Einfluss zu nehmen. Etwas mehr als zwei Drittel sieht sie als effektives Mittel, Dinge zu verändern (68 Prozent). In Deutschland sind es 75 Prozent. Wählen zu gehen beschreiben drei Viertel der jungen Europäer*innen sogar als Bürgerpflicht. Entsprechend viele wollen ihre Stimme auch bei der anstehenden Europawahl abgeben beziehungsweise würden sich beteiligen, wenn sie zum Wahltermin bereits wahlberechtigt wären. News4teachers

Gegen einen möglichen Rechtsruck: Wie ein Europaaktivist um Erstwähler kämpft

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Unfassbar
1 Monat zuvor

Ich schließe mich dem Wahlaufruf an. Je mehr Menschen ihr Wahlrecht ausüben, desto repräsentativer wird der Wählerwille im Parlament abgebildet. Welche Partei sie wählen oder sie den Stimmzettel ungültig machen, ist mir allerdings egal, solange die Wähler ihre Entscheidung auf Nachfrage begründen können.

Mannkannesnichtfassen
1 Monat zuvor
Antwortet  Unfassbar

Sehe ich etwas anders. „Ich wähle XY, weil die gegen Gleichberechtigung und/ oder dies oder jenes Menschenrecht sind“ ist begründet, aber trotzdem inakzeptabel.

Unfassbar
1 Monat zuvor

Für Sie persönlich ist es inakzeptabel, für den Wähler nicht.
Vorschlag: Wählen Sie anders und schon gibt es ein Gegengewicht.

DerechteNorden
1 Monat zuvor
Antwortet  Unfassbar

? Auch für die Demokratie, die das GG für Deutschland vorgibt, nicht.

Generische Feminina
1 Monat zuvor
Antwortet  Unfassbar

Wahlen sind laut Grundgesetz u.a. frei und geheim- demzufolge muss niemand sein Wahlverhalten erklären, offenbaren oder begründen.

Unfassbar
1 Monat zuvor

Das habe ich auch nicht verlangt. Ich habe mir nur gewünscht, dass die Menschen, wenn sie gefragt werden würden, ihre Wahlentscheidung begründen könnten. Die Sonntagsfrage wird ja nicht anders erhoben.

RainerZufall
1 Monat zuvor

Wählen gehen!
Aber nicht zu hohe Erwartungen hegen. Bei den heutigen „Skeptikern“ der Demokratie und „Diktatur-Verstehern“ hat es ja auch nicht gefruchtet -___-

Unfassbar
1 Monat zuvor

Interessante Wahlergebnisse bei den unterschiedlichen Alterskohorten. Insbesondere das miserable Abschneiden der Grünen und das überraschend gute Ergebnis der AfD bei den 16-29-Jährigen haben mich überrascht. Die konkreten Probleme in der Gesellschaft haben die eher abstrakten Probleme mit dem Klima eingeholt und verdrängt.

Europawahl: Wie unterschiedlich die Bevölkerung gewählt hat – Politik – SZ.de (sueddeutsche.de)

Unfassbar
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Wetter und Klima sind nicht dasselbe. Das Hochwasser in München ist u.a. dem weggesparten Hochwasserschutz geschuldet.

Unfassbar
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Und genau dieses Hochwasser ist ein Wetter- und kein Klimaphänomen.

Unfassbar
1 Monat zuvor
Antwortet  Redaktion

Klima ist auf Jahrzehnte bezogen, Wetter auf Tage. Sehr starke Abweichungen in kurzer Zeit nach oben oder unten sind somit erst einmal Wetterphänomene in Kombination mit politischem Versagen.

Mondmatt
1 Monat zuvor
Antwortet  Unfassbar

Jugendliche Leben viel stärker im Jetzt als im der Zukunft.

Wäre das nicht so, dann würde jeder 15 Jährige der an seine Rente mit 67 (70, 75?) jeglichen Mut verlieren.

Umweltprobleme, die für Jugendliche wohl erst in 30 Jahren WIRKLICH kritisch werden oder gar zur Zeit ihrer Kinder oder Enkel greifen sind für viele seeeeeeehr weit weg.

E Autos für finanzschwache Fahranfänger, die Sorgen der Eltern um die Finanzierung des Wärmetauschers, die dann den nächsten Urlaub kostet oder Bevormundung bezüglich Ernährung usw. sind da viel näher.

Unfassbar
1 Monat zuvor
Antwortet  Mondmatt

Genau deshalb ist Klima abstrakt, Finanzen, Kriminalität, Migration usw. viel akuter, aktueller und näher.

unverzagte
1 Monat zuvor
Antwortet  Unfassbar

Wer die leider sehr konkreten Probleme – gehts noch konkreter? – die seit Jahren der Klimakatastrophe geschuldet sind, zu einer Abstraktion verklärt, negiert Fakten.

Von diesen leider sehr aktuellen Fakten sind wir leider alle gleich betroffen, unabängig wieviel Mammon, reine Westen oder welcher Herkunft .

https://de.wikipedia.org/wiki/Klimakatastrophe

-mm-
1 Monat zuvor
Antwortet  Unfassbar

Und noch näher ist Tic-Toc. Wenn ein Deutscher Rapper wie Ski Aggu auf einer Demo gegen Rechtsradikalismus auftritt und danach in der Kommentarleiste reihenweise von jungen AFD- Anhängern mit blauen Herzchen gekennzeichnete Kommentare erscheinen, in denen sie sich gegen die Aktion aussprechen und die Lieder des Rappers nicht mehr hören wollen, dann denke ich schon, dass 16 Jährige dadurch beeinflusst werden können. Ganz unabhängig von Klima, Krieg, Finanzen, Migration etc. Der Polizistenmord war wahrscheinlich noch ein weiterer Punkt, der an die AFD ging. Vor den Wahlen war ich für ein Wahlrecht ab 16, weil ich davon ausgegangen bin, dass viele 16 Jährige so sind, wie ich sie in der Mehrheit kenne. Aber ich habe vorher auch nicht gewusst, dass unsere Stadt neben Freiburg die einzigste grüne Wahlstadt ist. Vielleicht leben ich ja in einer grünen Oase und um mich herum ist alles wirklich so haarsträubend rechts, wie es hier oft dargestellt wird.

-mm-
1 Monat zuvor
Antwortet  -mm-

Korrektur: Ticktack. Ach herrje nein tiktok statt tictoc war gemeint.

Ukulele
1 Monat zuvor
Antwortet  Mondmatt

Natürlich ist es so. Und das ist auch nachvollziehbar. Denn die Jugend ist ja schnell vorbei.

Was aber bspw. die Umweltprobleme anbelangt. Wenn man an sich anschaut, wie man mit der Umwelt vor zum Beispiel 60 Jahren umgegangen ist, kann man sagen: In den Städten ist es heute viel sauberer. In Dr Nähe von Fabriken erst Recht. Es wird viel Rücksicht auf die Umwelt genommen. Vermutlich mehr als je zuvor.

DerechteNorden
1 Monat zuvor

Due meisten S*S meiner Klasse durften wählen. 2/3 haben heute ihre Teilnahme bekannt. Wir haben über das Ergebnis gesprochen. Unisono wurde Tiktok verantwortlich gemacht für das Resultat, das die AfD in der Altergruppe erzielt hat.
Auch über rassistische Beiträge beschwerten sich meine Leute.
Leider sind zu viele andere junge Menschen zu diesen Erkenntnissen nicht in der Lage.
Und Schule kann nicht alles richten, was schief läuft.

Tiktok ist eine Gefahr für die Demokratie. Wird Zeit, dass der Staat diese chinesische Demokratie-Zerstörungs-Maschine in Deutschland den Garaus macht.

-mm-
1 Monat zuvor
Antwortet  DerechteNorden

Dem stimme ich zu. Tiktok ist auf jeden Fall eine Plattform, die man nicht einfach so laufen lassen kann. Aber da muss etwas Übergreifendes passieren. Da können keine Eltern und schon gar nicht Lehrer bei Ü-16-Jährigen großartig etwas ausrichten.

Anvi
1 Monat zuvor

Wie kommen so viele zu dem Schluß, dass die jungen Leute vermehrt AfD wählen? In den Statistiken, die ich gesehen habe, liegt die jüngere Generation im Durchschnitt aber die 40jährigen sind überdurchschnittlich häufig AfD-Wähler. Ansonsten fällt nur die Gruppe der Arbeiter auf.