Bildungsministerin verpflichtet Schulen zu datengestützter Entwicklung – GEW: Ein Witz!

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KIEL. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) verpflichtet die Schulen ihres Bundeslandes für das kommende Schuljahr auf ein neues Rahmenkonzept. „Der Fokus liegt dabei auf der konsequenten Arbeit mit Daten – der datengestützten Schulentwicklung“, erklärte sie. Die GEW zeigt sich nach eigenem Bekunden ratlos. Statt dringend benötigter Unterstützung verordne Prien mehr Tests und zusätzliche Aufgaben. Probleme würden damit nicht gelöst.

Schulen sollen sich datengestützt entwickeln – zum Guten natürlich. Illustration: Shutterstock

Strategische und bildungspolitische Zielsetzungen stünden beim neuen Rahmen im Vordergrund, so betonte Prien. Die systematische Nutzung von Daten durch Schulen und Schulaufsichten sollten stärker vereinheitlicht und besser aufeinander abgestimmt werden. „Wir wollen unsere Schulen in die Lage versetzen, die vorhandenen Daten lösungsorientiert einzusetzen. Ein zielgerichteter Einsatz von Daten im Dreiklang von Schulautonomie, Bilanzierung und Beratung kann entscheidend dazu beitragen, Lehr- und Lernprozesse an den Schulen langfristig zu verbessern“, erklärte sie.

Im vergangenen Schuljahr habe man den Schulen mit der Einführung einer Experimentierklausel neue Freiräume ermöglicht. „Diesen Prozess werden wir nun fortführen und um eine neue Verbindlichkeit ergänzen“, erläuterte die Ministerin. Die Schulen sollten künftig obligatorisch Bilanz ziehen zur Wirksamkeit ihrer Arbeit. „Dabei steht immer im Mittelpunkt, welche Wirkung die einzelnen Maßnahmen auf die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler haben“, so Prien.

Gestützt auf die Befunde wissenschaftlicher Untersuchungen wie PISA, TIMSS, IGLU und dem IQB-Bildungstrend gibt das Rahmenkonzept laut Bildungsministerium für das Schuljahr 2024/2025 fünf Ziele vor (im Wortlaut):

  1. Sicherung basaler Kompetenzen und Erreichung der Mindeststandards
  2. Sicherstellen des Erreichens der Abschlüsse
  3. Sicherung des Leistungsniveaus an Gymnasien
  4. Frühzeitige und verlässliche Diagnostik sonderpädagogischer Förderbedarf
  5. Sicherung des beruflichen Einstiegs für Geflüchtete und DaZ-Schülerinnen/Schüler

Das Konzept sieht vor, dass die Schulen auf der Basis der fünf Hauptziele aus den ihnen zugehörigen Daten schuleigene Ziele ableiten und sich auf das vor dem Hintergrund ihrer Ausgangssituation Wesentliche konzentrieren. Zur Umsetzung heißt es: „Hierzu werden Zielvereinbarungen getroffen. Dieser Prozess erfolgt zwischen Schulaufsichten und Schulleitungen. An den allgemeinbildenden Schulen werden hierfür die seit dem Schuljahr 2023/24 ausgeweiteten und verbindlichen Datenblatt-Gespräche geführt. Mit dem Datenblatt werden an den allgemeinbildenden Schulen Leistungsergebnisse aus den Vergleichsarbeiten und den zentralen Abschlüssen gemeinsam mit schulischen Rahmendaten für schulaufsichtliches und schulisches Handeln bereitgestellt. In diesen mindestens einmal jährlich stattfindenden Datenblatt-Gesprächen werden in jedem Schuljahr die Zielerreichung gemeinsam bilanziert und weitere Maßnahmen vereinbart.“

„Da das Schülerfeedback somit ein weiteres Instrument darstellt, um Schülerleistungen zu fördern, wird ein systematisches Schülerfeedback ab dem kommenden Schuljahr für alle Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen verbindlich“

Im Dialog zwischen Schulaufsicht und Schulleitung sollten die schulischen Daten unter anderem die Grundlage für die Entscheidung bilden, welche Unterstützungsangebote bereitgestellt werden müssen, um die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler weiter zu fördern. „Da das Schülerfeedback somit ein weiteres Instrument darstellt, um Schülerleistungen zu fördern, wird ein systematisches Schülerfeedback ab dem kommenden Schuljahr für alle Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen verbindlich. Mit dem Schülerfeedback holen sich Lehrkräfte regelmäßig eine Rückmeldung ein, tauschen sich mit ihrer Lerngruppe darüber aus und lassen die Erkenntnisse in die Unterrichtsgestaltung eingehen.“

Dadurch könne Unterricht im Sinne einer datengestützten Entwicklung „noch besser“ auf das Lernen abgestimmt „und die Lernmotivation der Schülerinnen und Schüler gesteigert werden“, so heißt es. Und weiter: „Befragungen sind hierbei nur der erste Schritt. Aus dem darauffolgenden Auswertungsgespräch zwischen Feedbacknehmenden und Feedbackgebenden werden Konsequenzen und konkrete Maßnahmen abgeleitet. Auch der Austausch in der Fach- und Schulkonferenz trägt dazu bei, wichtige Impulse für die weitere Unterrichts- und Schulentwicklung zu erhalten.“

Immerhin: „Das System Schule mit allen Beteiligten benötigt in Abständen Zeit und Raum, um Prozesse der Schulentwicklung zu betrachten, zu planen, voranzutreiben und auch zu evaluieren. Aus diesem Grund erhalten Schulen ab dem Schuljahr 2024/25 die Möglichkeit, drei Schulentwicklungstage durchzuführen. Dadurch erhält die einzelne Schule Raum für die inhaltliche Ausgestaltung der oben genannten Ziele.“

Die GEW kritisiert das Konzept dennoch. „Ob IQB, Nationaler Bildungsbericht oder Pisa – die Ergebnisse sind eindeutig und sehen das Bildungssystem am Limit. Was Lehrkräfte und vor allem Schülerinnen und Schüler jetzt brauchen sind keine weiteren Statistiken, sondern konkrete Handlungen!“, kommentiert GEW-Co-Vorsitzende Kerstin Quellmann die Pläne für das neue Schuljahr. „Gerade in Zeiten des Lehrkräftemangels, hoher Krankenstände, zu großer Klassen und einer immer komplexeren Schülerschaft, muss das neue Rahmenkonzept vielen Lehrkräften wie ein schlechter Witz vorkommen“, so Quellmann weiter. Denn was helfe es einer Lehrkraft noch mehr Tests durchzuführen, wenn schon jetzt individuelle Förderungen und gezielte Fördermaßnahmen vielfach hintenüberfallen würden?

Das Bildungsministerium müsse endlich für Entlastung sorgen und nicht die Schulen mit noch mehr bürokratischen Aufgaben überfrachten. „Schulleitungen und Lehrkräfte arbeiten bereits jetzt am Limit und sollen sich in Zukunft gemeinsam mit der Schulaufsicht smarte Ziele für ihre Schulen geben. Wohlwissend, dass sie diese unter den aktuellen Bedingungen gar nicht erreichen können. Das ist Zeitverschwendung“, meint Quellmann. News4teachers

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Canishine
1 Jahr zuvor

Dieser Bericht lässt mich ein wenig ratlos zurück: Wie werden die Datenblätter gefüllt, über die mindestens einmal im Jahr gesprochen werden soll? Mit den Ergebnissen der Vergleichsarbeiten und zentralen Prüfungen? Bespricht man so etwas nicht ggf. in Fachgruppen? Habe ich etwas überlesen? Und: Was genau meint man mit „Strategische und bildungspolitische Zielsetzungen“?
Zusammen mit den Feedbacks ergeben sich aus der „neue[n] Verbindlichkeit“ ganz „neue Freiräume“ für Schulen. Oder bezieht sich die „Experimentierklausel“ auf die Möglichkeiten des Ministeriums?

Der Zauberlehrling
1 Jahr zuvor

So neu ist die Idee nicht:

https://km.baden-wuerttemberg.de/de/schule/datengestuetzte-qualitaetsentwicklung

Ist halt die neue Sau, die quiekend durch’s Ländle getrieben wird. Besser wird es davon auch nicht, denn vom Wiegen allein wird die Sau nicht fetter.

Genutzt hat es bis jetzt auch nichts. Das Musterländle segelt durch das Bildungsranking der Republik nach unten. Im Mittelfeld sind wir schon.

Wir haben es mit Menschen zu tun. Da lässt sich nicht alles quantifizieren und eine Schieblehre (heute gerne als Messschieber bezeichnet) dranhalten. Schule ist kein Produktionsbetrieb, in dem Erfolge in Mikrometern gemessen werden

So löst man die Probleme nicht, so schafft man neue.

Evaluo ergo sum, wie schon Decartes zu berichten wusste.

DerechteNorden
1 Jahr zuvor

Oh Mann, Frau Prien! Schaffen Sie endlich die Projektpräsentationsprüfungen – den Ungerechtigkeitsfaktor schlechthin – an GemS ab, reformieren Sie die Oberstufe zurück, sorgen Sie für mehr Verwaltungspersonal, verändern Sie Inklusion zu “alle unter einem Dach” und weg von “alle in einem Raum”, erleichtern Sie das Förderschul-Ref …!
Mehr Diagnostik nützt nichts, wenn das noch mehr von der Zeit frisst, die man eigentlich für die Kids braucht.

Ich bin ratlos.

Riesenzwerg
3 Monate zuvor
Antwortet  DerechteNorden

Stimme bis auf das letzte Wort zu und ersetze dieses durch “fassungslos”.

Lena Hauenstein
1 Jahr zuvor

Habe ich das richtig verstanden, wir probieren die Ideen von oben ein Jahr aus und wenn sich in dem Jahr nichts verbessert, dürfen wir den Kram ab da einfach ignorieren? Dann wäre es mir die Arbeit wohl wert.

Enjoy your chicken Ted
1 Jahr zuvor

Hat sie sauber hinbekommen. So wird jetwede Verantwortung von ihr zu den Schulen und den KuK geschoben. Und bestimmt lockt die Dame so massenhaft neue Lehrkräfte an.

Riesenzwerg
3 Monate zuvor

Business as usual.

Besseranonym
1 Jahr zuvor

Ist schon wirklich heiß zur Zeit. (Könnte es sein, dass die gute Frau die Klimaanlage nicht verträgt/bzw. Dadurch hyperaktiv wird ?)

“Sicherstellen des Erreichens der Abschlüsse”
Liebe Kolleg*innen in SH, das nennt man hochziehen ( Ihr wisst schon, Punkteschlüssel fri- äh im Sinne der SuS abändern, zur Not vorher Buhmann bestimmen )

“drei Schulentwicklungstage durchzuführen.”
Das macht mich ratlos.
Also wir in Bayern 😉 wir entwickeln jeden Tag alles und jeden weiter.
( Satire ) oder meint die Megatwitterin:
Wir besuchen uns gegenseitig in den BL und nehmen hinterher das auf, was funktioniert und entrümpeln ansonsten ? Ne, glaub ich nicht, wahrscheinlich wird nun Pflichtyoga* , 30minütige Achtsamkeitsanwesenheit ab 7.00 Uhr morgens und Entwicklungsqmbs jeden Freitag zwischen 17.00 und 18.00 Uhr bei rauskommen….

Wie war das @ Realist – Vorsicht bei der Berufswahl, junge Kollegen.

* ausdrücklich: Ich habe nichts gegen Yoga !

vhh
1 Jahr zuvor

Die fünf Ziele sind das absolute Minimum. Das irgendwo einzuschränken, indem man sich auf ‘das für die Schule Wesentliche’ konzentriert, ist nichts anderes als das offene Eingeständnis, die Mindesterwartungen an Schule nicht mehr erfüllen zu können. Was, wenn es überall hakt?
Die Punkte eins bis drei bedingen sich gegenseitig, darf man sich jetzt auf ‘Abschlüsse erreichen’ konzentrieren, aber die Basiskompetenzen als Nebenschauplatz betrachten? Was bringt es, wenn Schulleitung und Schulaufsicht vereinbaren, bei Lesekompetenz und Textverständnis bessere Ergebnisse anzustreben? Solange in den meisten Klassen ohne Doppelbesetzung drei Förder- und vier DaZ-Schüler sitzen, ganz zu schweigen von anderen Problemfällen, hat das den Wert eines Fünfjahresplans aus dem Politbüro, Ergebnisverantwortung ohne Handlungsmöglichkeiten.
Feedback dient dazu, den Unterricht besser anzupassen, aber die Kompetenzen werden doch in der Breite nicht erreicht, nicht nur von einzelnen Lehrkräften! Passen Methodik und Didaktik bei allen Lehrkräften so schlecht zur Lerngruppe, dass die Ergebnisse überall nicht ausreichen? Schwarzer Peter wieder mal nach unten gereicht, ‘ihr müsst halt besser arbeiten’.

Riesenzwerg
3 Monate zuvor

Ich verrate jetzt mal ein Geheimnis: Die meisten SuS haben keinen Bock auf lernen oder/und sind so verhaltensoriginell, dass es für alle wegen Lautstärke und Unruhe nicht klappt.