Propaganda-Flyer in Schulen: Rechtsextreme umwerben Schüler – Lehrkräfte sind gefordert

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STUTTGART. «Lehrer hassen diese Fragen»: Dieser Slogan prangt auf Flugblättern, mit denen Rechtsextreme gezielt um Schüler:innen werben – auf Schulhöfen. Wegwerfen reicht nicht, warnt Rechtsextremismusexperte Rolf Frankenberger von der Universität Tübingen. Stattdessen sollten Lehrkräfte die Flyer im Unterricht thematisieren. Baden-Württembergs SPD-Landeschef Andreas Stoch geht gleich einen Schritt weiter und fordert für Schüler*innen einen «Grundkurs Demokratie».

Die rechtsextreme Identitäre Bewegung versucht, mit Angst Schüler*innen zu ködern. Symbolfoto: Shutterstock/Haru photography

An Schulen in mehreren Bundesländern sind Flugblätter der rechtsextremen Identitären Bewegung (IB) aufgetaucht. Mit den Flyern versucht die Bewegung offenbar, junge Leute auf Schulhöfen für die rechte Sache zu gewinnen. Das bayerische Kultusministerium berichtet von mehreren Schulen in München und Augsburg, an denen Flyer verteilt wurden – im Nachbarland Baden-Württemberg sind der Regierung zwei Fälle bekannt. Medienberichten zufolge kursieren die Flyer auch an Schulen in Norddeutschland.

Das Ziel: junge Menschen

Bei den Identitären handelt sich um eine rechtsextreme Bewegung, die rassistische und islamfeindliche Positionen vertritt und immer wieder mit Protestaktionen auf sich aufmerksam macht. In Deutschland wird die Gruppe vom Verfassungsschutz beobachtet. Die IB sieht sich selbst als «patriotische Jugendbewegung». Sie sei mit regionalen Untergruppen bundesweit aktiv und nutze intensiv die sozialen Medien, schreiben die Verfassungshüter.

Die Bewegung spreche in erster Linie junge Menschen an, schreibt der baden-württembergische Verfassungsschutz. Sie verbreite ihre extremistischen Botschaften vor allem im Internet sowie über Banner- und Plakataktionen. Im Südwesten gehören demnach etwa 100 Menschen zur Gruppe. Für die Bewegung ist laut Verfassungsschutz allein die ethnische Herkunft maßgeblich für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk. Jedes Volk soll nach der Denkart ausschließlich auf dem eigenen Territorium leben und auf diese Weise seine Identität bewahren. Dementsprechend fordern die Identitären unter dem Schlagwort «Remigration» die Umkehrung von Migrationsbewegungen.

Identitäre setzen auf Angst und Zukunftsunsicherheit

Mit ihrem an Schulen gefundenen Schreiben sprechen die Identitären gezielt Schülerinnen und Schüler an. Die Flugblätter tragen den Titel «Lehrer hassen diese Fragen». Auf der Rückseite werden verschiedene politische Probleme adressiert. Da wird etwa suggeriert, dass die deutsche Jugend in den Großstädten mittlerweile in der Minderheit sei und «Masseneinwanderung» zu mehr Gewalt gegen Frauen führe. In den Flugblättern werde Misstrauen gegen Menschen mit Migrationshintergrund geschürt, schreibt der Südwest-Verfassungsschutz.

Aber auch die Zukunftsunsicherheit unter Jugendlichen wird angesprochen. Als Lösung aller Probleme wird die «Remigration» offeriert. «Wehr dich!», ist schließlich zu lesen. «Komm zur Identitären Bewegung.» Ein Ziel der Kampagne sei die Werbung um neue Mitglieder im Jugendalter, so die Verfassungsschützer.

«Am besten nimmt man sie mit in den Gemeinschaftsunterricht»

«Das ist typische Angstmache», ordnet Rolf Frankenberger, wissenschaftlicher Geschäftsführer beim Institut für Rechtsextremismusforschung an der Universität Tübingen, ein. Darstellungen der eigenen Bevölkerung als Minderheit, die Forderung nach «Remigration» – das sei altbekannt. Neu sei hingegen, dass die Zukunftsängste junger Menschen thematisiert würden. So wird auch die schmelzende Rente erwähnt und das kollabierende Gesundheitssystem. Auf den Flyern werde gezielt ein Generationenkonflikt zu den «Boomern» aufgemacht, erklärt Frankenberger.

Die Identitären seien gut darin, sich mit solchen Aktionen aufzublasen und sich wichtiger darzustellen als sie eigentlich seien, so der Forscher. Die Gefahr der Flugblätter liege aber darin, dass sie junge Menschen ins Netz locken könnten, wo sie sich gegebenenfalls in rechten Blasen radikalisieren könnten, sagt der Experte. Die Zielgruppe der Identitären seien Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren, schätzt er. «Die, die mitten in der Pubertät stecken und Orientierung suchen, sich mit Identitätsfragen auseinandersetzen.»

Aus Sicht von Forscher Frankenberger sollten die Flyer keinesfalls in den Papierkorb wandern. «Am besten nimmt man sie mit in den Gemeinschaftsunterricht», sagt er. Man müsse solche Dinge thematisieren und über die Probleme reden.

Bannmeile um Schulen

Vor dem Lessing-Gymnasium in Neu-Ulm etwa wurden 40 bis 50 Flyer auf dem Platz vor dem Schuleingang gefunden; sie lagen auf den Pflastersteinen oder in den Büschen. «Das wollen wir nicht akzeptieren», kommentierte der stellvertretende Schulleiter Marcus Zimmermann-Meigel die Aktion. Es gebe eine Bannmeile für politische Aktivitäten um Schulen. Die Flugblätter seien dem Hausmeister übergeben worden, die allermeisten seien geschreddert worden.

Der baden-württembergische SPD-Landeschef Andreas Stoch zeigte sich angesichts der Flugblätter alarmiert. Er fordert laut einer Mitteilung einen «Grundkurs Demokratie» für alle Schülerinnen und Schüler vor dem 16. Lebensjahr. «Der Fall zeigt einmal mehr, dass gerade junge Menschen Zielscheibe von Rechten und Rechtsextremen sind.» Kinder und Jugendliche müssten in die Lage versetzt werden, Propaganda zu erkennen und einordnen zu können.

Reaktionen der Kultusministerien

Das bayerische Kultusministerium betont, dass sich Schulen bei extremistischen Vorfällen an die Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz wenden könnten. Extremismusprävention sei zudem in Lehrplänen verankert, ebenso wie Besuche von KZ-Gedenkstätten. Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) verweist zudem auf die in Bayern eingeführte «Verfassungsviertelstunde». Damit stärke man das Bewusstsein für Werte wie Freiheit, Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit. Die Verbreitung von Desinformation und das Risiko einer Radikalisierung stellten nicht nur für bayerische Schulen eine wachsende Herausforderung dar, so das Ministerium.

Das Kultusministerium im Nachbarland Baden-Württemberg sieht in der Desinformation eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deshalb hat man im Südwesten eine Taskforce gegründet, um Angebote zu bündeln und mit Medien- und Demokratiebildung an Schulen entgegenzuwirken. Zudem wird bald an den weiterführenden Schulen ein neues Fach eingeführt: Informatik und Medienbildung. Darin lernen die Schülerinnen und Schüler, Informationen und Quellen kritisch zu hinterfragen sowie Interessen bei der Verbreitung von Informationen zu analysieren und einzuordnen. News4teachers / mit Material der dpa

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Rainer Zufall
4 Monate zuvor

Wohl mehr ‘Diese Fragen langweilen Deine Lehrer*innen’. Immer schön, wenn sich der Mist ohne Vorbereitung zerlegen lässt, zumindest haben die Klasse und ich etwas über – sehr dumme – Rassist*innen zu lachen 😛

In diesem Sinne: “Grundkurs Demokratie» für alle Schülerinnen und Schüler vor dem 16. Lebensjahr.”
Ist klar! Wollen wir vielleicht ein paar Jährchen früher ansetzen, Kindern Respekt vor Menschen beizubringen? Nur mein radikaler Vorschlag (augenroll)


Und wenn es bundeslandweite Aktionen sind, wird dann bitte auch entsprechend gegen die IB ermittelt? Sonst drucke ich auch Flyer und werfe die in Büsche