BERLIN. Sechs Wochen TikTok, Zocken und Dauerstreaming: Die Sommerferien könnten für viele Schülerinnen und Schüler auch ein medialer Ausnahmezustand sein. Fachleute warnen – denn wenn Kinder nach den Ferien übernächtigt, reizüberflutet und sozial entkoppelt in den Unterricht zurückkehren, hat das nicht nur Folgen für ihren Schulerfolg. Auch die Psyche leidet.

Sommerferien, das bedeutet für viele Kinder und Jugendliche vor allem sechs Wochen ohne Stundenplan und Hausaufgabenstress, dafür mit viel Freizeit. Doch darin liegt auch eine Herausforderung: Oft steigt dann nämlich der Medienkonsum, und das kann problematisch sein. Denn wenn Smartphone, Tablet und Spielkonsole «zum Hauptprogrammpunkt werden», geht das zulasten von Schlaf, Bewegung und echten Sozialkontakten, warnt das Deutsche Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG).
Dass diese Entwicklung längst nicht mehr bloß ein diffuses Gefühl ist, zeigt eine aktuelle Studie aus Hamburg. Demnach verbringen Jugendliche heute im Schnitt fünf Stunden täglich freizeitorientiert im Netz – 2012 waren es noch 3,2 Stunden. Und: Laut der neuen „Schulbus“-Studie, einer regelmäßigen Schüler*innenbefragung zum Suchtverhalten, erfüllt mittlerweile ein Viertel aller Jugendlichen die Kriterien für ein problematisches Nutzungsverhalten. Das entspricht einer Verdreifachung gegenüber dem Jahr 2021. Auch beim Gaming ist der Anteil auffälliger Jugendlicher gestiegen – von vier Prozent im Jahr 2009 auf sieben Prozent im vergangenen Jahr.
«Die Schulzeit ist für viele Jugendliche enorm getaktet und stressig»
Zwar lässt sich nicht sagen, dass Gucken und Daddeln direkt krankmachen. Aber es lasse sich weltweit eine zahlenmäßige Parallelentwicklung von Zunahme des Medienkonsums und der von sogenannten affektiven Störungen wie Angst oder Depressionen bei Kindern und Jugendlichen beobachten, so DZPG-Sprecherin Prof. Silvia Schneider.
Dabei geht es in den Ferien vor allem auch um eines: Erholung. «Die Schulzeit ist für viele Jugendliche enorm getaktet und stressig. Schon das Ausschlafen kann eine echte psychische Entlastung sein», so Hanna Christiansen, Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Marburg. Doch gerade, weil der Druck wegfällt, sei es wichtig, Heranwachsende nicht einfach sich selbst zu überlassen.
Eltern wissen, wie schnell Kinder und Jugendliche dann reflexartig zu Tablet, Smartphone und Konsole greifen und wie schwer sie davon oft wieder wegzukriegen sind – egal, was vielleicht vorher vereinbart wurde, Stichwort «Medienzeit». Hier sollten Familien dem Vorbild vieler Schulen folgen und handyfreie Zeiten festlegen, rät Christiansen.
«Attraktive Alternativen sind entscheidend, damit das Digitale nicht übermächtig wird»
Es geht aber nicht nur darum, wie lange Kinder Medien nutzen, sondern auch, wie und wofür. «Stundenlanges Scrollen auf Tiktok oder impulsives Gaming fördert keine sozialen oder kognitiven Fähigkeiten», so Silvia Schneider. Bei Bildungsprogrammen oder -apps ist das zwar anders, doch «jede Stunde vor dem Bildschirm fehlt für Erlebnisse, soziale Beziehungen und Entwicklung», sagt Isabel Brandhorst vom DZPG-Standort Tübingen.
Deshalb sollte die Medienzeit begrenzt werden. Entscheidend sei, dass Kinder nach dem Abschalten nicht einfach in Langeweile zurückbleiben. Da sind Ideen und auch die Eltern gefragt: «Attraktive Alternativen sind entscheidend, damit das Digitale nicht übermächtig wird», so Brandhorst. Und der Familienalltag müsse so strukturiert sein, dass gesunder Medienkonsum überhaupt möglich wird.
Was nicht außer Acht gelassen werden sollte: Eltern motzen oft aus Sorge über den Medienkonsum der Kinder und vergessen dabei, dass sie selbst auch ständig am Bildschirm hängen, erklärt Medienprofi und Vater André Gatzke (u.a. «Sendung mit der Maus» bei ARD): «Reden hilft da mehr als Meckern.»
Wenn Eltern zeigten: «Ich bin gerade am Handy, weil ich etwas Wichtiges mache – und jetzt leg ich’s weg», sei das schon ein gutes Vorbild. Es gehe ums bewusste Medienverhalten, nicht ums Dauerverzichten, betont Gatzke. Sein Tipp: «Nicht nur konsumieren, sondern auch mal selbst produzieren, gern zusammen als Familie! Foto-Projekt, Stop-Motion-Film, Podcast. Wer selbst gestaltet, denkt anders über Medien nach.» News4teachers / mit Materidal der dpa









“Foto-Projekt, Stop-Motion-Film, Podcast. Wer selbst gestaltet, denkt anders über Medien nach.”
Cool, das sollte für drei Nachmittage ausreichen…
Jugendangebote sollten schon ausgebaut werden, immerhin konkurrieren die jetzt mit leicht zu transportierenden Süchtigmachern 🙁
Da hilft nur die Ferienbetreuung durch die Schulen!
Lehrer verreisen doch so gerne. Warum nicht 6 Wochen mit den Schüler in den Sommerferien?
Eine merkwürdige Ironie kommt da zum Ausdruck. Ernst gemeint scheint ihre Bemerkung nicht zu sein, denn schließlich freuen sich die Kinder, und Sie wohl sich auch, einmal Abstand voneinander zu haben.
Wir bieten mit unserem Träger teils kostenfreie bzw. sehr kostengünstige Ferienangebote an, die nichts mit Medien oder Digitalisierung zu tun haben. Diese reichen vom Zeltlager übers gemeinsame Pizzabacken bis hin zum Freizeitparkbesuch oder Bouldern oder Kanu fahren. Raten Sie mal, wie groß die Resonanz darauf ist?
Wenn Kinder angemeldet werden, sind es häufig die gleichen und oft viel zu wenige. Meistens sind viele Plätze noch frei. Die Angebote sind da, sie werden nur nicht angenommen… Das ist sehr schade, aber selbst die können offenbar nicht mehr die Faszination von TikTok, Youtube und Co. ersetzen.
Also – ich lese zu dieser Meldung ganz klar den Auftrag – nein! …die Forderung an alle LuL in unserem Land heraus, gegen diesen unerträglichen und unerwünschten Missstand vorzugehen.
Unser “Commitment” gebietet es förmlich, hier maßgeblich gegenzusteuern.
…oder habe ich da was falsch verstanden?
Großes Problem. Ansonsten werden Kinder immer mit irgendeinem Ziel in die Schule geschickt und die Eltern geben die Erziehungsaifgabe ab. In den Ferien sind sie nun plötzlich für die Betreuung und sogar Erziehung völlig alleine zuständig. Also bekommen die Kinder und Jugendlichen freien Raum am PC und Handy.
Kann denn da niemand den armen völlig überforderten Eltern helfen? Da muss man doch irgendwas tun. Die Schulgebäude sind doch leer. Da könnte man die Kinder doch hinbringen damit irgendwas sinnvolles gemacht wird. Lehrer könnten doch etwas vorlesen oder Schach und Mühle spielen. Vielleicht mal eine Radtour oder eine Runde auf den Bolzplatz.
Wir können doch den armen Eltern nicht so eine wichtige Aufgabe für die Zukunft unserer Gesellschaft überlassen.
Du meine Güte! Was ein Gejammer!
Was passiert denn mit den Kindern und
Jugendlichen in Ländern, die bis zu 3 Monate Sommerferien haben? Verblöden die alle? Werden die alle “Smartphone” (o.ä.) – Suchtkrank? Vereinsamen die total? Sind deren Eltern auch alle völlig überfordert?
Oder hat man dort einfach realistischere Vorstellungen von “Erziehung zur Selbstständigkeit”?
Weniger “pampern”, mehr Vertrauen in die Kids und in die eigene Erziehung?
Überhaupt: Vertrauen! DAS scheint mir insgesamt das Zauberwort zu sein!
“Entscheidend sei, dass Kinder nach dem Abschalten nicht einfach in Langeweile zurückbleiben.”
Doch, eigentlich wäre das gut. Denn nur dann kommt man wirklich zur Ruhe und kann neue Kreativität entwickeln.
Genau! Da braucht es aber erstmal Kraft, das auszuhalten.
Hier ist eine Auswertung von 7 systematischen Reviews und Metaanalysen und 36 Originalarbeiten über die Auswirkungen von Medienkonsum im Vorschulalter – Deutsches Ärzteblatt . Die Ergebnisse: Die Studienergebnisse zeigten übereinstimmend, dass ein Medienkonsum im Vorschulalter mit Defiziten im Bereich der Sprache und Kognition assoziiert war (adjustierte Odds Ratio [aOR] 1,67–2,28) und einen Risikofaktor für die Entwicklung von emotionalen, Verhaltens- sowie Entwicklungsstörungen darstellte (aOR: 1,34–3,06). Auch Symptome einer Autismus-Spektrum-Störung wurden im Zusammenhang mit einem erhöhten Medienkonsum gefunden (OR 1,97; 95-%-Konfidenzintervall [1,30; 3,00]). Allerdings standen die untersuchten Effekte stets in Zusammenhang mit vielen weiteren Risikofaktoren für die psychische Gesundheit wie beispielsweise sozioökonomischer Status, psychische Störungen in der Familie oder elterlicher Stress, die diese Effekte direkt oder indirekt vermittelten. Eine Reduktion des Medienkonsums und eine gleichzeitige Erhöhung konstruktiver Interaktionen zwischen Eltern und ihren Kindern verminderte in Interventionsstudien die Symptomatik.