Özdemir: Bildungs-ID für jeden Schüler – als Frühwarnsystem gegen Schulabbruch 

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STUTTGART. Gut 7.500 Jugendliche verließen im vergangenen Jahr die Schulen in Baden-Württemberg ohne Abschluss. Dagegen will der Grünen-Spitzenkandidat Özdemir angehen – mit einer Art «Frühwarnsystem».

Bald mit Etikett? (Symbolbild.) Illustration: Shutterstock

Alle Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg sollten nach Vorstellung des Grünen-Politikers Cem Özdemir eine digitale Identifikationsnummer bekommen. «Wir brauchen eine Bildungs-ID. Warum ist es allgemein akzeptiert, dass wir mit einer ID sämtliche Steuerdaten einer Person erfassen, aber bei der Bildungsbiographie fehlt ein systematischer Überblick?», sagte der Spitzenkandidat der Grünen für die Landtagswahl im Gespräch in Stuttgart.

Mit der ID will Özdemir etwa verhindern, dass Kinder und Jugendliche die Schule ohne Abschluss abbrechen. «Eine Bildungs-ID wäre auch eine Art Schulabbrecher-Prellbock. Sie könnte als eine Art Frühwarnsystem Alarm schlagen, bevor ein Schüler durch das Raster fällt», sagte Özdemir.

Während Corona waren Schüler einfach weg

Während der Corona-Pandemie habe man beobachtet, dass sich Kinder von weiterführenden Schulen einfach abgemeldet hätten. «Aber die dann weder Ausbildung noch Studium begonnen haben. Wo sind die? Die sind einfach weg.» Man könne es sich aber weder bildungspolitisch noch wirtschaftspolitisch leisten, dass auch nur ein einziges Kind verloren gehe, so Özdemir, der nach dem Aus der Ampel-Koalition auch kurzzeitig das Bundesbildungsministerium leitete (und dabei den Digitalpakt 2.0 mit den Ländern vereinbarte).

Nach Angaben des Statistischen Landesamts verließen im vergangenen Jahr gut 7.500 Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg die Schule ohne einen Schulabschluss. Das waren 5,3 Prozent aller Schulabgängerinnen und -abgänger in dem Jahr. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Anteil der Schulabbrecher deutlich erhöht. 2014 lag ihr Anteil noch bei 3,4 Prozent aller Abgängerinnen und Abgänger.

Konkret stellt sich der Grünen-Spitzenkandidat für die Landtagswahl vor, dass den Kindern am ersten Tag, an dem sie im Schulsystem ankommen, eine individuelle Identifikationsnummer zugewiesen wird. Diese soll dann von Schulform zu Schulform weitergegeben werden. «Wenn ich von der Grundschule auf die Gemeinschaftsschule oder aufs Gymnasium wechsle, dann bekommt die neue Schule Zugriff auf die ID und alle Informationen, die man zur Bildungsbiographie des Kindes hat», sagte Özdemir.

Schüler-ID ist auch auf Bundesebene im Gespräch

Über die ID könne man dann nicht nur das Zeugnis einsehen, sondern die ganze Breite der Bildungskarriere beobachten und schauen, wo das Kind Lücken und Stärken habe und wo man es fördern müsse. «Das wäre ein wichtiger Baustein für eine zielgenaue Förderung und mehr Bildungsgerechtigkeit», so Özdemir. Perspektivisch brauche man auch eine bundesweite ID, so der Grünen-Politiker. «Dann verschwinden Schülerinnen und Schüler auch beim Umzug in ein anderes Bundesland nicht vom Radar.»

In Niedersachsen will die rot-grüne Landesregierung eine digitale Identifikationsnummer für Schülerinnen und Schüler noch in der laufenden Legislaturperiode bis 2027 einführen. Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung heißt es, man unterstütze die Einführung einer zwischen den Ländern kompatiblen und datenschutzkonformen Schüler-ID. Der rheinland-pfälzische Bildungsminister Sven Teuber (SPD) hatte sich unlängst ebenfalls für eine solche digitale Schülerakte ausgesprochen. Teuber: «Es ist eigentlich wie ein digitaler Schülerausweis mit Speicherplatz.» News4teachers / mit Material der dpa

Weniger Klausuren, mehr Kompetenz: Bundesland will Schule neu denken

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12 Kommentare
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Xyz
1 Monat zuvor

Das ist schon schlau – anstatt die Bildungswege klar und transparent zu machen, sollen die Kinder transparent gemacht werden. Ob das gegen den allgegenwärtigen Mangel hilft?

AndreasR
1 Monat zuvor

Die eigentliche Idee und die Absicht dahinter leuchtet mir ein. Wie die Umsetzung unter Berücksichtigung der Datenschutzgesetze in Praxis aussieht, da verbleibe ich pessimistisch.

vhh
1 Monat zuvor

Wenn klar ist, wo die SchülerInnen bleiben, geht es dann wie weiter? Genauer gesagt, welche individuelle Betreuung und Beratung hilft Schulabbrechern dabei, einen Berufsweg zu finden? Die Frustration am ‘Lernen’ so weit zu überwinden, dass eine Ausbildung möglich wird?
KAoA in NRW macht sehr viel Arbeit (für die LK, Verwaltung von Listen). Von besonders wenigen Schulabbrechern im Ländervergleich habe ich noch nicht gehört, obwohl wir von wirklich allen wissen, ob und was sie nach der 10. Klasse machen und immer wieder nachfassen. Die Faszination mit Statistiken und optimaler Buchhaltung ist wohl eine Art Betriebsblindheit von langjährigen Politikern.

Einer
1 Monat zuvor

Ja! Bitte! Unbedingt und sofort!

Die Schüler kommen bei uns in NRW am BK an und wir wissen nichts. Noten aus Zubringerschulen sind nicht wichtig! Theoretisch dürfen wir noch nicht einmal Infos einholen, wenn ein Schüler an unserer eigenen Schule von der Berufsfachschule (Abschluss Fachoberschulreife) in die Höhere Berufsfachschule (Abschluss Fachhochschulreife) wechselt, weil es ein anderer Bildungsgang ist. Aber über Ordnungsmaßnahmen, Betreuungen und sonstige Auffälligkeiten spricht man natürlich mit den Kollegen im Lehrerzimmer. Genau so müssen auch Infos zwischen Schulen ausgetauscht werden. In NRW müssen sowieso alle Schulen mit Schild arbeiten. Also wäre der Austausch technisch kein Problem.

vhh
1 Monat zuvor
Antwortet  Einer

Schüler wechseln zum BK weil
…ich will nur Fachabi machen und das schaffe ich hier (Ges) in der Oberstufe nicht
…ich habe hier mit den Lehrern Stress (mit Ordnungsmaßnahmen usw), schon seit der Fünf
…ich schaffe keinen Abschluss, weil meine Freunde mich immer ablenken
Das äußert sich alles in Verhaltens- bzw. Lernauffälligkeiten und diese Auffälligkeiten kann dann die aufnehmende Schule nachschlagen? Nimmt dann völlig wertfrei die neuen Schüler auf? Ob das so schlau ist?
Bei einer neuen Klasse möchte ich nur ein ausführliches Bild zu bekannten medizinischen Problemen (das ich selten bekomme), Sozialverhalten beurteile kann ich schon selbst (und höre immer ungefragt vom soooo schwierigen Jungen).
LRS, Inklusion, Diabetes, das sind neutrale Aussagen und die sind auch sinnvoll. Alles was mit Verhalten zusammenhängt ist so abhängig von Lehrkraft und dem Verhältnis zur LK, dass es komplett anders aussehen kann.

Mannkannesnichtfassen
1 Monat zuvor
Antwortet  Einer

Bei mir im Büro liegen zig Abgangszeugnisse von Schülern, die zum BK gewechselt sind. Offenbar muss man die hier am BK nicht einreichen, es wird jeder einfach so genommen.

RainerZufall
1 Monat zuvor

Hmm…

Die Zahlen von Abgänger*innen sprechen dafür, dass etwas unternommen werden muss.

In guten Glauben gehe ich davon aus, dass Klassen mit auffälligen Schüler*innen unterstützt werden, ohne Kinder und Lehrkraft gegeneinander auszuspielen.
Vielleicht kann die KI die Kontaktaufnahme zum Sonderpädagogischen Dienst auch besser ausfüllen, als so manche Kolleg*innen, denen das Wasser ohnehin bis zum Hals steht…

ABER, die Akte wird dann auch zeigen, welche Maßnahmen an Schulen ergriffen werden KONNTEN und welcher Bedarf im Gegensatz dazu bestand.
Wenn Cem den Kultusminister-Suizidknopf auf den Weg bringen will – more power to you!
Aber ich bezweifel ernsthaft, dass Politiker*innen elektronische Akten anschaffen die deren Versagen dokumentieren ^^

Logo – nicht erfolgt
Ergo – nicht erdolgt
Kita – kein Platz an Sprachkita
DaF-Stunden – entfielen
Nachhilfe – wurde nicht bezahlt
sopäd. Kooperation – verkürzt
Hort – überfüllt

447
1 Monat zuvor
Antwortet  RainerZufall

Ich hatte ähnliche Gedanken – und dachte gleich danach: Was steckt nun WIRKLICH dahinter?

RainerZufall
1 Monat zuvor
Antwortet  447

Dann hatten wir offensichtlich nicht die gleichen Gedanken.

Horst Költze
28 Tage zuvor
Antwortet  447

Ja, WAS STECKT WIRKLICH DAHINTER? – Das war auch meine Frage.
Die Wissenschaftliche Leiterin der Stiftung Datenschutz, Kirsten Bock, sieht die Schüler-ID äußerst kritisch:
„Eine Schüler-ID lenkt nicht nur von den tatsächlichen Problemen ab, sondern verschärft sie sogar. Wer auf eine Nummer reduziert wird, verliert das Gefühl, als Person wahrgenommen zu werden. Fachleute betonen, dass Schülerinnen und Schüler Anerkennung und persönliche Wertschätzung brauchen, um sich entwickeln zu können.”
Die Verwendung der Schüler-ID hat mehrere Aspekte. Meine folgende Stellungnahme bezieht sich auf “evidenzbasierte bildungspolitische Entscheidungen”, die auf der Datensammlung der Schüler-ID basieren:

Schüler-ID?
Neuauflage des Bildungs-Irrtums!

Nach einem Vierteljahrhundert Output-Bildung fördern Lernstandserhebungen NULL pädagogisch-didaktischen Mehrwert zutage.
Stattdessen angehäufter Datenmüll auf Datenfriedhöfen.
Mit dem Output-System sollten Deutschlands Schülerinnen und Schüler nach dem 1. PISA-Schock die Weltspitze des internationalen Bildungsrankings erreichen, wie es Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn 2002 im Deutschen Bundestag propagiert hatte.
Stattdessen produzieren Deutschlands Schülerinnen und Schüler 2022 den 2. PISA-Schock,
– trotz
Bildungsstandards zur einheitlichen Qualitätsentwicklung und effizienten Steuerung des Bildungswesens,
– trotz
des vor zwanzig Jahren gegründeten Instituts zur
Qualitätsentwicklung im Bildungswesen 
– trotz
der 16 Qualitäts-Institute der Bundesländer zur
Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung der
schulischen Bildung in Deutschland,
– trotz
IQB-Bildungstrends zur Überprüfung der
Standarderreichung, 
trotz
regelmäßiger Lernstandserhebungen wie IGLU, VERA, TIMMS, PISA,
– trotz
Bildungsmonitoring seit zwanzig Jahren mit 198 Indikatoren zur Wachstumssteigerung und zum Wohlstand der Wirtschaft,
– trotz
Millionen Euro für die Testindustrie.
Alles vergeblich! NULL Mehrwert!
Dafür gibt es vielerlei Gründe,
ABER nur eine Ursache:
Die geistige Weichenstellung mit dem falschen, weil widernatürlichen Menschenbild des mechanizistischen Taylorismus.
Die mechanizistischen Bildungsprinzipien des Taylorismus, wie Zentralisierung durch Standardisierung zur Steigerung der Bildungsqualität, gemessen mit der Benchmark des PISA-Indikators, machen aus den zur Freiheit geborenen Kindern und Jugendlichen mit ihrem angeborenen Lerntrieb zur Entwicklung ihres angeborenen Bildungspotenzials entwürdigte LernarbeiterInnen im betriebswirtschaftlich bis ins letzte Klassenzimmer durchrationalisierten Bildungs-Unternehmen Schule. Sie müssen im Zwangslernsystem verordnete, standardisierte Fachlerninhalte bulimieren und computerkompatible Lernprodukte als Bildungs-Output liefern, als wären sie humanoide Roboter.
Ein fundamentaler Bildungsirrtum.
Aus dem gleichen Bildungsirrtum resultiert das Projekt der Schüler-ID für die Bildungsministerinnen und Bildungsminister.
Die Schüler-ID des Bildungsverlaufsregisters soll als Werkzeug zur Anhebung des Bildungsniveaus deutscher Schulen wirken. Datensammlungen der Mikroebene sollen den Bildungsministerinnen und Bildungsministern evidenzbasierte bildungspolitische Entscheidungen zur Anhebung des Bildungsniveaus ermöglichen, so die irrtümliche Vorstellung der Bildungs-Technokraten mit tayloristischem Denkmuster.
Aus dieser technokratisch-geistigen Konstellation folgt
– Produktion neuer Datenberge
statt
Entwicklung der angeborenen Schüler-Potenziale,
– Fortsetzung des mechanizistischen Bildungsansatzes
statt
„autonomes Lernen“ (Fratton) auf der Basis des ontologisch orientierten Menschenbildes der Freiheit mit dem Ergebnis des Freiland-Abiturs (Ruppaner),
– Fortsetzung des Bulimielernens verordneter standardisierter Fachlerninhalte auf der Basis des mechanizistischen Menschenbildes des Taylorismus mit Konditionierung der jungen Generation zu angepassten Untertanen für das Räderwerk des Menschen fressenden Ökonomismus
statt
internalisierender Geistesbildung mündiger Demokratinnen und Demokraten mit dem Denk- und Verhaltensmuster der Zivilcourage durch „autonome Selbstbestimmung“ (Kant) im Lernhaus der Freiheit mit individuellen Lernateliers wie in der Alemannenschule Wutöschingen.
Das Menschenkind ist zur Freiheit geboren, „zur Freiheit verurteilt“ (Sartre).
Dagegen ist die Schüler-ID des Bildungsverlaufsregisters ein Grundmerkmal des Zwangslernsystems und wirkt als Neuauflage des Bildungsirrtums durch Fundamentierung mit dem Menschenbild des digitalen Taylorismus.
BRAUCHT DEUTSCHLAND ETWA EINEN DRITTEN PISA-SCHOCK?
 
 

Unfassbar
1 Monat zuvor
Antwortet  RainerZufall

@447 Oberflächlich möchte er wohl die Anzahl Abgänger ohne Abschluss reduzieren. Natürlich alles auf Kosten der Lehrer, die die Daten ja eingeben müssen. Arbeitszeiterfassung ich hör Dir trapsen …

RainerZufall
1 Monat zuvor
Antwortet  Unfassbar

Und die Feuer reduzieren auf Kosten der Feuerwehr
und die Gesundheit verbessern auf Kosten der Ärzte.
Echt heftig, dass Lehrkräften zugemutet wird, die eigenen Schüler*innen erfolgreich zu beschulen! Diese Monster! XD

Zur Korrektur, ich hätte nicht wenig Freude, wenn sich Kultusminister*innen künftig an den Bildungsbiografien der Kinder ihres Landes messen lassen!
Halte es am Ende aber nicht für allzu wahrscheinlich – Intranzparenz oder wasweißich.

DASS Lehrkräfte den Kram eintippen müssen, anstelle ein computergestütztes Verfahren zu nutzen, ist Ihrer müden Phantasie geschuldet, aber lassen wir Cem doch erstmal etwas ausarbeiten, bevor wieder alle weinen 😉