„Frau Espunkt“ zieht die Reißleine – warum eine bekannte Grundschullehrerin den Schuldienst quittiert hat

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MÜNCHEN. Immer mehr Lehrkräfte ziehen die Notbremse: Was lange ein Tabu war – die Kündigung trotz Verbeamtung –, geschieht inzwischen häufiger. Der Fall von Jana S., bekannt als „Frau Espunkt“ auf Instagram, zeigt beispielhaft, warum engagierte Pädagoginnen und Pädagogen das System verlassen. Ihre persönliche Geschichte verweist auf strukturelle Probleme, die von Gewerkschaften seit Jahren angeprangert werden – und die inzwischen eine ganze Generation von Lehrkräften in die Erschöpfung treiben.

Und tschüss… Illustration: Shutterstock

Auf Instagram wirkt ihr Kanal wie eine Mischung aus pädagogischer Schatzkiste und politischem Sprachrohr: Unter dem Namen „Frau Espunkt“ folgen Jana S. mehr als 35.000 Menschen. Dort postet sie seit vier Jahren Unterrichtsideen, gibt Tipps für die Wochenplanung und bezieht Stellung zu schulpolitischen Debatten. Ein Reel zeigt, wie sie ihre Schulwoche strukturiert, ein anderes diskutiert das Für und Wider eines Handyverbots an Schulen. Manchmal kommentiert sie auch Artikel von News4teachers, zuletzt den über die Einschränkung von Teilzeitmöglichkeiten für Lehrkräfte in Bayern („Es trifft vor allem Mütter“).

Dazu schrieb sie: „Es geht mir darum, dass ich es SO SATT habe, dass man uns nicht ernst nimmt. (…) Das Limit ist erreicht. Das Maß ist voll. Immer mehr on top packen und auf der anderen Seite Entlastungen kürzen funktioniert nur solange, bis auch die letzte noch so motivierte Lehrkraft das Handtuch wirft.“ Sie selbst hat das bereits in diesem Sommer getan: Sie hat gekündigt. Nach zwölf Jahren als Grundschullehrerin, zuletzt an einer oberbayerischen Schule, hat sie den Schuldienst verlassen.

„98 Prozent Zustimmung – aber auch ganz viele Fragen“

Im Interview mit der Augsburger Allgemeinen schildert Jana S., wie ihr Umfeld und ihre Community auf diesen Schritt reagierten: „Das war schon irre. Ich habe noch nie in so kurzer Zeit so viele Kommentare auf einen Post bekommen. Zu ungefähr 98 Prozent war das komplette Zustimmung. Ich bekam ganz viele Nachrichten, in denen es hieß: ‚Oh mein Gott, du bist so mutig. Ich bewundere diesen Schritt. Ich würde es auch so gern tun.‘ Und es gab viele Nachfragen, wie das geht mit dem Ausstieg, was man alles regeln und beachten muss.“

Überrascht habe sie, dass so viele Menschen ihre Entscheidung als mutig bezeichneten:
„Eine Followerin hat mir dann geschrieben: ‚Ist das wirklich mutig? Ist es nicht normal, dass man für sich und seine Gesundheit einsteht?‘ Und es stimmt ja auch, in jedem anderen Job ist es normal, dass man mal die Arbeitsstelle wechselt. Da kräht kein Hahn nach. Nur bei Lehrkräften heißt es: ‚Oh mein Gott, sie kündigt.‘ Das ist irgendwie einfach nicht vorgesehen.“

Zwischen Pflichtgefühl und Erschöpfung

Ihre Kündigung habe sich nicht leicht angefühlt. Jana S. gesteht: „Ich glaube, dass Lehrkräfte sich vor allem selber diesen Druck machen und sich einreden: ‚Ich lasse meine Kinder im Stich, ich lasse meine Kollegen im Stich.‘ Aber eigentlich ist es doch so, dass man als Lehrkraft vom System im Stich gelassen wird und nicht andersrum. Ich stelle mir momentan so oft die Frage, warum das System nicht schon längst kollabiert ist.“

Dass sie den Schritt dennoch gegangen ist, hängt auch mit einer neuen beruflichen Perspektive zusammen. Auf der Plattform Eduki will sie künftig Unterrichtsmaterialien veröffentlichen. „Wenn ich diese Arbeit nicht hätte, wäre ich wahrscheinlich auch nicht so mutig gewesen. Und mir hat der Gedanke Sicherheit gegeben, dass ich angesichts des Lehrkräftemangels höchstwahrscheinlich irgendwann wieder als Lehrerin anfangen könnte – was ich absolut nicht ausschließe.“

„Diese Waage funktioniert nicht mehr“ – die Gründe für den Ausstieg

 

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Auf ihrem Instagram-Kanal listete Jana S. 15 Gründe für ihren Ausstieg auf. Drei Punkte hebt sie im Interview besonders hervor.

Gesellschaftliche Situation: „Das Leben ist teurer geworden, Eltern müssen oftmals lange arbeiten gehen. Wenn Kinder häufiger fremdbetreut werden, werden halt auch mehr Aufgaben an Kita und Schule abgegeben. (…) Auch vom Staat kommen immer mehr Aufgaben dazu. Aktuell zum Beispiel die Verfassungsviertelstunde, das verpflichtende Lesetraining, die sogenannte Bewegungs-Halbestunde. Wir haben aber auch den Lehrplan noch zu erfüllen. Das ist einfach zu viel. Diese Waage funktioniert nicht mehr.“

Fehlende Wertschätzung: „Es geht nicht darum, dass jeden Tag jemand zu mir kommt und sagt: ‚Wow Jana, du bist echt eine Superheldin, du machst hier den besten Job.‘ (…) Ich meine Wertschätzung im Sinne von gehört und ernst genommen werden. Seit drei Jahren mache ich auf meinem Account darauf aufmerksam, welche Missstände es in der Schule gibt. Aber die Posts von damals könnte ich eins zu eins heute wieder posten. Es ändert sich einfach nichts.“

Arbeitsbedingungen im Klassenzimmer:  „Die Lautstärke in den teils sehr kleinen Räumen, in denen teilweise bis zu 30 Kinder sind. Ich war Sportlehrerin, ich habe irgendwann fast nur noch mit Konzertohrstöpseln gearbeitet. (…) Eines Tages habe ich mitgezählt, wie oft jemand meinen Namen ruft. Bis zur großen Pause um 9.30 Uhr hatte ich schon 28 Mal meinen Namen gehört, musste 28 Mal auf verschiedenste Bedürfnisse reagieren. Reizüberflutung kann man all das vielleicht nennen. Das macht auf Dauer krank.“

Was sich ändern müsste

Im Gespräch formuliert sie auch konkrete Verbesserungsvorschläge: „Lehrkräfte brauchen mehr Unterstützung durch multiprofessionelle Teams. (…) Es wäre toll, wenn man jemanden hätte, der sagen würde: ‚Hey, schick die Kinder zu mir, ich kläre das und du kannst deinen Unterricht weitermachen.‘ (…) Ein Problem ist auch dieses irre Maß an Bürokratie. Allein die Ordner, die ich in den vergangenen zwei Jahren für irgendwelche Dokumentationen angelegt habe, füllen mittlerweile zahlreiche Fächer in meinem Regal.“

Auch die Lehrerausbildung müsse reformiert werden: „Ich finde, dass man Leute aus dem Studium viel eher in die Praxis holen muss. (…) Weiter müsste man sich den Lehrplan ansehen, ob das überhaupt alles noch zeitgemäß ist. Und man müsste den Lehrkräften ein bisschen mehr Zutrauen schenken. Sie wissen am besten, was ihre Klasse braucht.“

„Das hohe Maß an Arbeitsbelastungen ist der Hauptgrund“

Was Jana S. beschreibt, bestätigt sich in den Zahlen. Laut einer Umfrage der GEW NRW, an der sich rund 24.000 Lehrkräfte beteiligten, empfinden mehr als 90 Prozent ihre Arbeitsbelastung als stark oder sehr stark. Ayla Çelik, Landesvorsitzende der Gewerkschaft, erklärte im vergangenen Jahr dazu: „Lehren ist mehr als die Vermittlung von Wissen und die Durchführung von Prüfungen. Es geht darum, Schülerinnen und Schüler fit fürs Leben zu machen, ihre Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und Raum für menschliches Miteinander zu schaffen.“ Das werde oft verkannt.

Statt für Entlastung zu sorgen, würden Maßnahmen durchgesetzt, „die die Situation noch verschärfen“. Im Jahr 2023 gaben 930 Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen ihren Beruf auf – ein drastischer Anstieg gegenüber den 299 im Jahr 2013. Besonders besorgniserregend: Viele der Aussteigerinnen und Aussteiger sind jünger als 40 Jahre.

Auch aus Hessen werden steigende Zahlen gemeldet. Dort beantragten 2018 lediglich 39 verbeamtete Lehrkräfte ihre Entlassung, 2022 waren es bereits 122. Dazu kamen 106 Kündigungen angestellter Lehrkräfte. „Das hohe Maß an Arbeitsbelastungen ist der Hauptgrund für die Kündigungen“, betonte Roman George, Referent der GEW Hessen.

Die Politik verweist gern darauf, dass die Zahl der Beschäftigten insgesamt gestiegen sei. Doch für viele Lehrkräfte wie Jana S. wirkt das wie eine Nebelkerze. Wenn Kolleginnen und Kollegen im mittleren Alter, mitten im Berufsleben, den Dienst quittieren, sagt das viel über den Zustand des Systems aus. Çelik bringt es auf den Punkt: „Teure Werbekampagnen sind überflüssig, wenn es nicht gelingt, Lehrkräfte durch gute Arbeitsbedingungen zu halten. Die beste Werbung für den Lehrberuf bleibt letztlich immer, gute Arbeitsbedingungen an den Schulen zu schaffen.“

„Lehrkräfte machen einen super wichtigen Job“

Jana S. selbst will trotz ihres Ausstiegs weiter für die Schule sprechen – auf Instagram und über die Materialien, die sie künftig entwickelt. „Viele stellen sich den Beruf des Lehrers immer noch so vor: Man kommt rein, schlägt das Mathebuch auf, sagt ‚Wir machen Seite vier!‘ und fährt nach der Schule ins Freibad. Aber so ist es nicht. Lehrkräfte machen einen super wichtigen Job, der viel mehr Wertschätzung und viel mehr Beachtung braucht, weil die Kinder und die Bildung unsere Zukunft sind.“ News4teachers 

„Lehrkräfte unterschätzen ihre Fähigkeiten enorm“: Wie Pädagoginnen und Pädagogen in der Wirtschaft durchstarten

 

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