STUTTGART. Das Lehramtsstudium steht in der Kritik: Eine neue Studie des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) zeigt, dass sich viele angehende Lehrkräfte in Baden-Württemberg schlecht auf ihren Berufsalltag vorbereitet fühlen. Vor allem die Organisation, die Theorie-Praxis-Verzahnung und die finanzielle Lage sorgen für Unzufriedenheit. Praxisphasen dagegen motivieren – allerdings wünschen sich die Studierenden sie früher und besser betreut.

„Das Lehramtsstudium hat Reformbedarf“ – sagt Gerhard Brand, Bundes- und in Baden-Württemberg Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). „Während die Praxisphasen motivieren und als gewinnbringend erlebt werden, offenbaren sich deutliche Schwächen bei Organisation, Theorie-Praxis-Verzahnung und der Vorbereitung auf den Schulalltag. Viele Befunde sind standort- und gruppenübergreifend konsistent und weisen auf strukturelle Herausforderungen hin.“ Mit diesen Worten fasst Brand die Ergebnisse einer repräsentativen SINUS-Studie zusammen, die sein Verband in Auftrag gegeben hat. Die Untersuchung basiert auf einer Befragung von 847 Studierenden an den sechs Pädagogischen Hochschulen (PH) im Baden-Württemberg sowie einer Kontrollgruppe von 357 Lehrkräften im Vorbereitungsdienst.
Das Ergebnis: Vier von zehn Studierenden (41 Prozent) sind mit ihrem Studium grundsätzlich zufrieden, jeder Fünfte (20 Prozent) unzufrieden. Ein großer Teil (39 Prozent) äußert sich ambivalent. Unterschiede zeigen sich nach Geschlecht und Studienrichtung: Männer sind zufriedener als Frauen, Studierende der Sonderpädagogik positiver gestimmt als ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen in Primarstufe und Sekundarstufe I.
Wie zufrieden sind die Studierenden mit Struktur und Organisation?
Besonders kritisch fällt die Bewertung der Organisation und Struktur des Studiums aus. Landesweit sagen 41 Prozent, dass sie damit unzufrieden sind, nur ein Viertel (25 Prozent) ist zufrieden. Am Standort Heidelberg wird das Studium noch am besten organisiert wahrgenommen, während Freiburg am schlechtesten abschneidet. Die Studie dokumentiert, dass viele Studierende den Studienaufbau als „verwirrend, redundant und schlecht abgestimmt“ erleben. Gefordert werden mehr Flexibilität und Wahlmöglichkeiten bei Seminaren und Modulen.
Warum gilt das Studium als zu theorielastig?
Ein zentrales Ergebnis: 81 Prozent der Befragten empfinden ihr Studium als zu theorielastig. Im Vorbereitungsdienst, also während des Referendariats, verstärkt sich dieser Eindruck sogar noch: Dort halten 88 Prozent das Studium für praxisfern. Besonders groß ist die Unzufriedenheit mit der Vorbereitung auf Bereiche, die über den Unterricht hinausgehen – Schulrecht, Elternarbeit, Kooperation mit dem Jugendamt oder Stressmanagement. „Viele Studierende fühlen sich für grundlegende Unterrichtssituationen nur moderat vorbereitet, klare Defizite zeigen sich bei Herausforderungen wie Verhaltensproblemen, Zeitmanagement, Elternarbeit oder schulrechtlichen Fragen“, heißt es in der Studien-Zusammenfassung.
Die Qualität der Lehrveranstaltungen wird insgesamt verhalten beurteilt: Nur 37 Prozent bewerten sie positiv, während 48 Prozent neutral und 14 Prozent negativ antworten. Besser schneiden Lehrmaterialien ab, die von 53 Prozent als hochwertig bewertet werden.
Wie schneiden Praxisphasen im Vergleich zum Studium ab?
Im starken Kontrast dazu stehen die schulpraktischen Phasen, die von den Studierenden fast durchweg als wertvoll angesehen werden. 79 Prozent gaben an, in den Praxisphasen motiviert zu sein, im Studium vor Ort an der Hochschule sind es dagegen nur 45 Prozent. Acht von zehn Studierenden wünschen sich längere Tagesfachpraktika und längere Blockpraktika. 65 Prozent plädieren für einen deutlich früheren Einstieg in die Praxis, idealerweise bereits im ersten oder zweiten Semester.
Während die Unterstützung durch die betreuenden Lehrkräfte an den Schulen mehrheitlich positiv bewertet wird, kritisieren viele die Begleitung durch die Dozierenden der PH: Nur 38 Prozent sind hier zufrieden. Die Studienautoren sprechen von einer „unzureichenden systematischen Reflexion durch die Hochschule“.
Worauf fühlen sich die Studierenden schlecht vorbereitet?
Die Daten zeigen erhebliche Lücken bei der Vorbereitung auf den Berufsalltag:
- Nur 42 Prozent fühlen sich in der Vermittlung altersgerechter Inhalte oder beim Einsatz digitaler Medien gut vorbereitet.
- Für den Umgang mit Inklusion sehen sich lediglich 37 Prozent ausreichend geschult, in der Primarstufe sogar nur 33 Prozent.
- Gerade einmal 31 Prozent fühlen sich befähigt, soziale Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern zu fördern, und nur 26 Prozent für die Zusammenarbeit im Kollegium.
Die größten Defizite liegen im Bereich der herausfordernden Praxis: Nur zwischen 4 und 14 Prozent sehen sich gut vorbereitet auf Stressmanagement, schwieriges Schülerverhalten, Elternarbeit, Schulrecht oder die Kooperation mit Sozialdiensten. „Die Einschätzung der Studierenden zur Vorbereitung auf schulische Herausforderungen fällt ernüchternd aus“, konstatiert der VBE. Ein weiteres Problem sehen die Befragten im Verhältnis zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik. 59 Prozent kritisieren ein Ungleichgewicht zugunsten der Fachwissenschaft. Nur 38 Prozent fühlen sich gut auf den Fachunterricht vorbereitet.
Welche Rolle spielen finanzielle Belastungen?
Die Studie beleuchtet auch die finanzielle Situation der Studierenden. Die wichtigsten Finanzierungsquellen sind Unterstützung durch die Familie (32 Prozent), Nebenjobs (25 Prozent) und Unterhaltszahlungen der Eltern (19 Prozent). Nur 16 Prozent erhalten BAföG – und von diesen sagen 72 Prozent, dass es nicht reicht, um das Studium zu finanzieren.
Eva Strittmatter, Mitglied im Leitungsteam des Jungen VBE, erklärt: „Ziel des BAföG ist es, jungen Menschen unabhängig von ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation ein Studium zu ermöglichen. Wenn dies in drei von vier Fällen nicht gelingt, ist die Chancengleichheit hier gescheitert. Das Land muss die Bezüge entweder dynamischer an die Lebenshaltungskosten anpassen oder über bezahlte Praktikumsformate nachdenken. Am besten beides.“
Welche Schlussfolgerungen zieht der VBE?
Der Verband leitet aus den Ergebnissen vier zentrale Handlungsfelder ab:
- Stärkung der Praxisphasen – quantitativ und qualitativ bessere Verankerung im Studium, insbesondere längere Tagespraktika.
- Curriculum-Reform – mehr Schlüsselkompetenzen wie politische Bildung, Umgang mit herausforderndem Verhalten, Elternarbeit.
- Mehr Fachdidaktik – Ausrichtung der Lehrpläne an den beruflichen Anforderungen, etwa durch Fallarbeit, Reflexionsformate, Schulrechtspraxis.
- Gerechte finanzielle Förderung – BAföG-Reform, Erhöhung von Beihilfen im Vorbereitungsdienst, vergütete Praxisphasen und ein Ende der Sommerarbeitslosigkeit für Junglehrkräfte.
Was fordert der Junge VBE zusätzlich?
Besonders nachdrücklich äußert sich der Junge VBE. Eva Strittmatter sagt: „Schulpraktische Phasen werten das Studium klar auf. Die Studierenden wünschen sich nicht nur mehr und frühere Praxisphasen, sondern auch einen besseren Theorie-Praxis-Transfer. Möglichkeiten gibt es viele: Von Planspielen, kollegialen Fallberatungen oder Rollenspielen über reflektierte Schulbesuche, Tagesfachpraktika und Blockpraktika bis hin zu einem eng begleiteten Praxissemester. Die Begleitung sollte stets durch praxiserfahrene Dozierende erfolgen, die eine Mindestanzahl an Jahren in der Schule gearbeitet haben. Leider ist dies häufig nicht der Fall.“ News4teachers