Immer öfter gilt die Arbeit als Ursache für seelische Erkrankungen

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GIESSEN. Etwa ein Viertel der Deutschen ist nach Expertenangaben von psychischen und psychosomatischen Störungen betroffen. Sie seien der häufigste Grund für einen früheren Rentenbeginn, sagte der Direktor der Gießener Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Johannes Kruse.

Immer mehr Arbeitnehmer in Deutschland fühlen sich erschöpft - auch Lehrer. Foto: Tim Caynes / Flickr (CC-BY-NC-2.0)
Immer mehr Arbeitnehmer in Deutschland fühlen sich erschöpft – auch Lehrer. Foto: Tim Caynes / Flickr (CC-BY-NC-2.0)

Die Klinik feiert Ende der Woche ihr 50-jähriges Bestehen. Sie wurde 1962 als eine der bundesweit ersten ihrer Art gegründet. In die Psychosomatik am Gießener Uniklinikum kommen Menschen zum Beispiel mit diffusen Schmerzen, Depressionen, Angstzuständen oder Burnout-Syndrom. Rund 350 Patienten werden in dem Haus laut Kruse im Jahr stationär behandelt, 1500 ambulant – mit steigender Tendenz.

Noch sei nicht restlos geklärt, ob es wirklich immer mehr psychosomatische Störungen gebe oder insbesondere der Umgang damit sensibler geworden sei. Fest steht nach Angaben des Mediziners aber: «Die Bedeutung nimmt zu.» In den vergangenen zehn Jahren habe sich wegen dieser Entwicklung deutschlandweit in dem Bereich die Bettenzahl auf 6000 verdoppelt.

Häufiger als früher werde von den Betroffenen der Grund für die Erkrankungen im Berufsleben gesehen. «Es gibt viele Arbeitssituationen, die es extrem schwierig machen, darunter seelisch gesund zu bleiben», sagte der Professor. Die Gießener Psychosomatiker erforschen auch, welche Rolle die Seele bei körperlichen Erkrankungen spielt. «Eine aktuelle Studie zeigt: Ein Trauma, also eine posttraumatische Belastungsstörung, erhöht die Wahrscheinlichkeit, Diabetes zu bekommen».

Patienten müssen damit rechnen, dass ihre Behandlung auch Jahre dauern kann, betonte Kruse. Forschungen an der Klinik hätten aber gezeigt, dass die psychodynamische Psychotherapie sehr wirksam sei. Dabei geht es unter anderem darum, im Gespräch Verständnis für die Ursache der Störung zu entwickeln sowie «eigene Ressourcen zu mobilisieren, um einen Weg aus der seelischen Krise zu finden».

Die Gießener Klinik hat Kruse zufolge in den vergangenen 50 Jahren die Entwicklung der deutschen Psychosomatik entscheidend mitgeprägt. «Die frühe Zeit war von Visionären geprägt, die die Psychosomatik erst in den Blickpunkt rückten.» Die Schulmedizin habe damals daran wenig Interesse gehabt. Zu den führenden Persönlichkeiten der Klinik gehörte etwa der Ende 2011 gestorbene Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter, der die Einrichtung 30 Jahre lang leitete. CAROLIN ECKENFELS, dpa

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