Studie: Zu viel Zeitdruck macht Erzieherinnen krank

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BERLIN. Ab heute, 1. August, gilt der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für Ein- und Zweijährige. Die Fach- und Leitungskräfte leiden jedoch schon jetzt unter den schlechten Rahmenbedingungen in vielen Kindertageseinrichtungen. Dies zeigt eine neue Studie.

Sieht nett aus - ist aber tatsächlich harte Arbeit: der Erzieherinnen-Alltag. Foto: Thomas Pompernigg/Flickr (CC BY-SA 2.0)
Sieht nett aus – ist aber tatsächlich harte Arbeit: der Erzieherinnen-Alltag. Foto: Thomas Pompernigg/Flickr (CC BY-SA 2.0)

Erzieherinnen weisen häufiger dauerhafte gesundheitliche Einschränkungen auf als Frauen aus anderen Berufen – und die Arbeitsfähigkeit der pädagogischen Fachkräfte sinkt, je schlechter sich die strukturellen Rahmenbedingungen in den Kindertageseinrichtungen darstellen. Dies sind Ergebnisse des Forschungsprojektes „STEGE – Strukturqualität und Erzieher_innen in Kindertageseinrichtungen“, das im Vorfeld des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz für Ein- und Zweijährige ab dem 1. August von Bildungsforscherinnen der Alice Salomon Hochschule Berlin im Auftrag der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen und gefördert von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung durchgeführt worden ist. Die Studie ist repräsentativ für Nordrhein-Westfalen; die Ergebnisse dürften in der Tendenz auch auf die anderen Bundesländer übertragbar sein, sagen die Projektleiterinnen, Prof. Susanne Viernickel und Prof. Anja Voss. Sie schreiben von „alarmierenden“ Ergebnissen.

Die häufigsten Erkrankungen von Erzieherinnen sind danach Muskel-Skelett-Erkrankungen, Erkrankungen der Atemwege, neurologische Erkrankungen sowie psychische Beeinträchtigungen. „Bei jeder zehnten der pädagogischen Fach- und Leitungskräfte in NRW wurde innerhalb der letzten 12 Monate ein psychovegetatives Erschöpfungssyndrom, also ein Burnout, ärztlich diagnostiziert“, so heißt es in der Untersuchung.

Insgesamt ergibt sich folgendes Bild: „Der Vergleich mit der Referenzgruppe, also mit Frauen gleichen Alters mit mittlerer Bildung in der deutschen Bevölkerung, zeigt, dass pädagogische Fach- und Leitungskräfte in NRW in allen drei Altersgruppen häufiger dauerhafte gesundheitliche Einschränkungen aufweisen. In der Altersgruppe von 18 bis 29 Jahren sind 17,9 Prozent der Erzieherinnen gesundheitlich eingeschränkt im Vergleich zu 11,6 Prozent der gleichaltrigen Frauen in Deutschland, in der Altersgruppe von 30 bis 44 Jahren 27,4 Prozent der Erzieherinnen im Vergleich zu 18,4 Prozent der gleichaltrigen Frauen und in der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen 40,2 Prozent der Fach- und Leitungskräfte im Vergleich zu 34,3 Prozent der gleichaltrigen Frauen in Deutschland.“ Die männlichen Fachkräfte sind aufgrund der geringen Fallzahl nicht zu bewerten; es gibt nur wenige Erzieher in den Kindertageseinrichtungen.

Zu den strukturellen Rahmenbedingungen, die Einfluss auf den Gesundheitszustand der Beschäftigten in den Kitas haben, gehört der Personalschlüssel, der nach den aktuellen Zahlen des Bertelsmann Ländermonitors „Frühkindliche Bildungssysteme“ in NRW für Kinder unter drei Jahren je nach Gruppenform bei 1:3,4 bis 1:7,6 und für Kinder im Kindergartenalter bei 1:3,7 bis 1:8,8 liegt. Aber: „Diese rechnerischen Größen spiegeln die Realität in den Kindertageseinrichtungen nur ansatzweise wider. Aufgrund von krankheits-, urlaubs- oder fortbildungsbedingten Personalausfällen dürfte die reale Fachkraft-Kind-Relation häufig unter den gesetzlich festgelegten Personalschlüsseln und unter den rechnerischen Fachkraft-Betreuungsplatz-Relationen liegen. Die aus wissenschaftlicher Sicht empfohlenen Mindeststandards werden nur in Ausnahmefällen erreicht“, so schreiben die Autorinnen.

Die Folge: „Fach- und Leitungskräfte in Kindertageseinrichtungen haben zu wenig Zeit für die Anforderungen ihrer Arbeitsaufgaben und arbeiten häufig unter Zeitdruck.“ Vor allem die Zeit für die „Arbeit am Kind“ werde vom Personal als sehr gering eingeschätzt – obwohl die Ansprüche gestiegen sind: Von Erzieherinnen werden heute unter anderem. Bildungsdokumentationen und das damit verbundene Schreiben von Entwicklungsberichten und Elternbriefen, eine Sprachstandserhebung mit speziellen Instrumentarien, sowie der Austausch mit anderen Bildungs- und Förderinstitutionen erwartet.

Weitere Belastungsfaktoren: die als zu gering wahrgenommene Bezahlung, fehlende Aufstiegschancen – und Lärm, zu kleine Räume, eine schlechte Bausubstanz sowie eine unzureichende Ausstattung, vor allem mit Möbeln. „So fehlen Tische für das Personal, erwachsenengerechte große Stühle oder auch ausreichend Arbeitsmaterialien“, heißt es in der Studie. In manchen Kindertageseinrichtungen gebe es kaum Rückzugsmöglichkeiten für Pausen.

Alles in allem haben die genannten Belastungsfaktoren eine unmittelbare Auswirkung auf das Gesundheitsempfinden. „Stellt man die subjektive Gesundheit in Zusammenhang mit den strukturellen Rahmenbedingungen der Fach- und Leitungskräfte, zeigt sich, dass eine gute und sehr gute subjektive Gesundheit mit schlechteren Rahmenbedingungen abnimmt: 77,1 Prozent der pädagogischen Fach- und Leitungskräfte mit guten strukturellen Rahmenbedingungen, 63,9 Prozent derjenige mit mittleren strukturellen Rahmenbedingungen und nur noch 51,9 Prozent der Beschäftigten mit schlechten Rahmenbedingungen berichten von einer guten oder sehr guten subjektiven Gesundheit.“ Die Forscherinnen schlussfolgern: Je schlechter die Rahmenbedingungen ausfielen, desto geringer sei die subjektive Gesundheit der Beschäftigten in einer Kita. Das Risiko einer Erzieherin, chronisch zu erkranken, ist der Studie zufolge unter schlechten Rahmenbedingungen um das 2,3-fache gegenüber guten Rahmenbedingungen erhöht.

„Besonders gravierend zeigt sich die Beeinträchtigung bei Fach- und Leitungskräften, die auf ihrem Arbeitsplatz einer hohen zeitlichen Belastung ausgesetzt sind. Haben die Erzieherinnen und Erzieher zu wenig Zeit für die Kinder, für die mittelbare Arbeit oder für Pausen und arbeiten sie häufig unter Zeitdruck mit dem Erfordernis von regelmäßigen Überstunden oder einer höheren Wochenarbeitszeit als gewollt, kann von einer hohen gesundheitlichen Belastung ausgegangen werden.“ Die Wissenschaftlerinnen empfehlen – neben einem betrieblichen Gesundheitsmanagement – vor allem verstärkte Investitionen in die Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen. So ließen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: „Eine besonders wichtige Erkenntnis liegt darin, dass dieselben Faktoren, die in der Diskussion um die pädagogische Qualität von Kindertageseinrichtungen als Schlüssel oder Hemmnisse für gute Bildung, Erziehung und Betreuung identifiziert wurden, auch für die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der pädagogischen Fach- und Leitungskräfte von hoher Relevanz sind.“ News4teachers

 

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