DORTMUND. Die Koedukation in der Schule hat sich durchgesetzt. Mädchen und Jungen gehen auf eine Schule. Unterricht muss aber nicht immer gemeinsam abgehalten werden. Der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, sieht in Teilbereichen von Fächern wie Mathematik oder Naturwissenschaften Vorteile bei getrennten Unterrichtseinheiten. Der VBE ist eine Fachgewerkschaft innerhalb des Beamtenbundes, in der Lehrkräfte und Erzieherinnen organisiert sind.
Der Trend geht weg von reinen Mädchen- und Jungenschulen hin zur sogenannten Koedukation. Gibt es überhaupt noch separate Schulen?
Beckmann: Es gibt nur noch sehr wenige in Deutschland. Wir haben noch circa 120 reine Mädchenschulen und 120 reine Jungenschulen. Die meisten der 120 Mädchenschulen befinden sich in Bayern. Im Norden und Osten Deutschlands sind solche Schulen die totale Ausnahmeerscheinung.
Bergen reine Mädchen- und Jungenschulen Vorteile?
Beckmann: Eine dauerhafte, strikte Trennung bringt aus meiner Sicht keine Vorteile. Wir haben eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen gleichberechtigt nebeneinander leben sollen. Und das gemeinsame Lernen fördert diese Gleichberechtigung und stärkt den Umgang miteinander. Es gibt sicher Ansätze punktuell, Mädchen und Jungen im Unterricht zu trennen.
Die nordrhein-westfälische Schulministerin und derzeitige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Sylvia Löhrmann, hat vor Jahren Schulen in NRW ermuntert, in Fächern wie Mathematik oder Naturwissenschaften teilweise getrennt zu unterrichten. Ist das sinnvoll?
Beckmann: Die Auffassung von Frau Löhrmann teile ich, dass es sinnvoll ist, in bestimmten Phasen Jungen und Mädchen zu trennen, sie auch mal mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen zu versorgen. Wir wissen, dass es bei bestimmten Themen eine unterschiedliche Herangehensweise gibt. Es ist bei sensiblen Themen wie zum Beispiel im Sexualunterricht auch sinnvoll, mal getrennt zu unterrichten, dann aber die Klasse wieder zusammenzuführen.
Gibt es auch Möglichkeiten, innerhalb eines Klassenverbandes getrennt Unterricht in Gruppen abzuhalten?
Beckmann: Auch diese Möglichkeit gibt es. Man kann sich ja auch in diesen Phasen mit den Kollegen der Parallelklassen absprechen, dass der eine zu einem bestimmten Thema die Jungen aus beiden Klassen zusammenfasst, der andere die Mädchen, um ein bestimmtes Thema aufzuarbeiten. Man kann das projektorientiert machen. Wenn man Projektunterricht macht, kann man spezielle Themen mehr für Jungen und spezielle für Mädchen anbieten. Diese Möglichkeiten gibt es, und werden von Schulen auch genutzt. Auch zum Beispiel bei den sogenannten Mint-Fächern macht das Sinn, vielleicht unterschiedliche Aufgabenstellungen zu geben, so dass man spezielle Mädchen- und Jungengruppen in einer Klasse bildet.
Ist diese Form schon weit verbreitet?
Beckmann: Ich denke dieser Blick auf die Spezifika von Jungen und Mädchen ist in den Schulen angekommen. Man ist sich bewusst, dass es unterschiedliche Herangehensweisen zu bestimmten Themen gibt. Wenn Lehrer die Möglichkeit haben, denke ich, werden sie das einsetzen.
Was heißt das für die Lehrerausbildung?
Beckmann: Diese Problematik gehört in die Lehreraus- und -fortbildung. Es gibt auch Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft, die man zugrunde legen kann, um einfach deutlich zu machen, dass es bestimmte Aspekte gibt, Jungen und Mädchen teilweise auch Mal getrennt zu unterrichten. Man muss eine geeignete Mischform finden.
Sind sie mit der Entwicklung der vergangenen Jahre zufrieden?
Beckmann: Bei den angehenden Lehrern ist das Thema schon Bestandteil der Ausbildung. Sicherlich besteht noch Bedarf, das Thema in der Lehrerfortbildung stärker zu thematisieren.
ZUR PERSON: Der 1952 geborene Udo Beckmann wurde 2009 zum VBE-Bundesvorsitzenden gewählt. Der Lehrer für Grund- und Hauptschulen in den Fächern Physik, Mathematik und Biologie, leitete von 1996 bis 2005 eine Hauptschule an einem sozialen Brennpunkt in Dortmund. Seit 1996 ist er auch Landesvorsitzender des VBE in Nordrhein-Westfalen. Wolfgang Dahlmann, dpa