HANNOVER. Der Philologenverband Niedersachsen hat die am 1. Juni von Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) gestartete Online-Befragung der Lehrkräfte scharf kritisiert. Der Fragebogen sei bewusst nicht darauf angelegt, die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte zu erfassen, erklärte der Vorsitzende des niedersächsischen Philologenverbands, Horst Audritz. Damit stelle diese Befragung einen glatten Bruch des Versprechens von Ministerpräsident Weil auf dem Philologentag 2015 dar, der eine Untersuchung zeitaufwendiger und wenig sinnvoller Aufgaben vornehmen lassen wollte mit dem Ziel und der Zusage, die Lehrkräfte von ineffizienten und bürokratischen Aufgaben zu entlasten.
Der Titel der Befragung „Mehr Zeit für gute Schule“ führe angesichts dieser Tatsachen völlig in die Irre und sei eine massive Täuschung der Lehrkräfte und der Öffentlichkeit, so Audritz. Denn den Lehrern würden durch die Politik immer neue zusätzliche Aufgaben aufgebürdet, so dass ihnen mehr und mehr die Zeit fehle, die Kernaufgaben guter Schule, nämlich effektiven Unterricht und engagierte Erziehungsarbeit, optimal zu erfüllen.
Insgesamt sei die Befragung, betont Audritz, ein „unverfrorenes Ablenkungsmanöver, das die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte nicht ermitteln, sondern vielmehr vernebeln soll und somit nur eine Alibifunktion hat“. So werde bezeichnenderweise an keiner Stelle nach dem konkreten Arbeitsaufwand oder der Belastung durch bestimmte Aufgaben gefragt – ein Beleg dafür, dass Heiligenstadt eine Senkung der Lehrerarbeitszeit verhindern wolle.
Als entlarvend bezeichnete Audritz die von der Ministerin jetzt neu verkündete Zielsetzung der Befragung, nämlich „die Überprüfung der Passung zwischen den Vorgaben des Ministeriums einerseits und deren Umsetzung im Arbeitsalltag der Lehrkräfte andererseits“. Im Klartext bedeute das nichts anderes, als dass die Sinnhaftigkeit ministerieller „Vorgaben“ in keiner Weise in Frage gestellt werden dürfe und jegliche Aufgabenkritik unerwünscht sei. Dieses habe das Kultusministerium auch in den Besprechungen mit den Lehrerorganisationen immer wieder ausdrücklich betont und entsprechende kritische Äußerungen von Lehrerverbänden mit der „Begründung“ zurückgewiesen, dies sei „nicht erwünscht“ und würde der Ministerin „nicht gefallen“. Die Behauptung des Ministeriums, die Bildungsverbände seien an der Entwicklung des Fragebogens „beteiligt“ gewesen, gehe schon deswegen meilenweit an der Wirklichkeit vorbei, betonte Audritz.
Inzwischen lägen dem Philologenverband erste Rückmeldungen von Lehrkräften vor, die die Befragung empört als „völlig am Thema vorbei, teilweise manipulativ und handwerklich als unzulänglich“ bezeichnet hätten, erklärte Audritz. In der Tat gebe die Art der Befragung grundsätzlich Anlass zu dieser Kritik. Beispielsweise stülpe der Fragebogen den gut 30 vom Ministerium festgelegten Tätigkeiten des Lehrers ein starres, immer gleiches Ankreuzschema über, das teilweise unklar und nicht passend sei, die entscheidenden Fragen nach der Sinnhaftigkeit und der Belastung nicht stelle sowie suggestive Formulierungen enthalte. Es fehle auch der entscheidende Punkt, dass es nicht um die „Bewältigung“ einzelner Aufgaben gehe, sondern darum, dass alle Aufgaben in der Summe eine geradezu gesetzwidrig hohe Arbeitszeit ergäben.
Typisch sei auch, dass schulformspezifische Belastungen, insbesondere im Gymnasium, wie etwa die aufwendigen Abiturprüfungen, die umfangreichen Korrekturen von Oberstufenklausuren und Facharbeiten oder die aufwendige Unterrichtsvorbereitung insbesondere von Leistungskursen trotz eines entsprechenden Vorschlags des Philologenverbandes nicht aufgenommen wurden.
Als ebenfalls entlarvend bezeichnete es Audritz, dass die vom Kultusministerium propagierten Möglichkeiten für freie Äußerungen und Vorschläge der Lehrkräfte aus Sorge vor kritischen Aussagen – so die Begründung – weitestgehend abgeblockt würden. Sollte zunächst nach jeder Fragestellung eine solche Möglichkeit gegeben werden, so sei dies jetzt nur noch einmal pro Aufgabenbereich der Fall, und das auch nur bis maximal 250 Zeichen, also ganze drei Zeilen. Kritik, so Audritz, sei eben nicht erwünscht. N4t
Es gibt nichts Neues unter der Sonne, auch nicht von linken Volksparteien.