Wahnsinn Abitur: Gestohlene Prüfungen, ausgelassene Abi-Partys und Angst vor Noten-Dumping

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Diesen Termin haben sich die Abiturienten in Hessen seit langem vorgemerkt: Am Donnerstag, 30. März, werden in ihrem Bundesland die letzten Abi-Klausuren geschrieben. In zahlreichen hessischen Städten feiern die jungen Leute dann ausgelassen das Ende des Prüfungsstresses – und die Kommunen wappnen sich schon gegen eventuelle Auswüchse. Eskalierende Partys sind aber nicht die einzige Sorge, die Schulen und Politik umtreibt.

Schlimmstenfalls müssen Tausende von Schülern das Mathe-Abitur nochmal schreiben. Foto: S. Hofschlaeger / pixelio.de
Abitur 2017: Auch dieses Jahr gibt es wieder viel Aufregung und Kritik. Foto: S. Hofschlaeger / pixelio.de

FRANKFURT/MAIN. In Frankfurt feiern die Abiturienten auch in diesem Jahr wieder im Grüneburgpark. 2013 hatte es hier Schlägereien gegeben, aber seitdem verliefen die Feiern nach Angaben der Behörden wieder friedlicher. Damit das auch in diesem Jahr so bleibt, arbeiten Polizei, Ordnungsamt, die Stabsstelle Sauberes Frankfurt, Grünflächenamt und Ortsbeirat eng miteinander – und sorgen mit mehr Sicherheitskontrollen, zusätzlichen Mülleimern und Toiletten vor.

Das größte Ärgernis seien alljährlich die zerschlagenen Glasflaschen auf dem Rasen, so Bernd Roser vom Grünflächenamt. Deshalb begrüße er es sehr, dass sich die Schüler erstmals an den Aufräumaktionen beteiligen wollen: „Sie können gerne feiern – müssen aber auch die Verantwortung dafür übernehmen.“ Am Freitag nach den Abi-Feiern werden rund 50 Frankfurter Schüler, die nächstes Jahr ihr Abitur machen, zum Aufräumen antreten: „Wir wollen damit ein Zeichen setzen und uns engagieren“, betonte Luis Göbel vom „StadtschülerInnenrat“. Die Schüler erhielten dafür einen kleinen Bonus für ihre Abi-Kasse. Landesweit machen in diesem Jahr rund 25 500 Schüler das Abitur.

Abi-Mottowoche läuft in Köln völlig aus dem Ruder – schon zwei schwer verletzte Schüler

Gestohlene Abi-Prüfungen

Ganz andere Sorgen haben die Abiturienten und Lehrer in Niedersachsen. Der Einbruch in ein Gymnasium in Munster hat landesweite Folgen. Nachdem ein unbekannter Täter vermutlich auf der Suche nach Bargeld mehrere Tresore knackte, in denen unter anderem auch Aufgaben für das Abitur in Politik und Wirtschaft lagen, musste das Kulturministerium in Hannover schnell handeln. Zwar seien die Abi-Aufgaben nicht entwendet worden, wie das Kultusministerium mitteilte, aus Angst vor Missbrauch wurden das Politik-Abitur landesweit kurzfristig ausgetauscht.

Normalerweise werden die Fragen am Morgen des Prüfungstages für alle Schüler kopiert. Problematisch ist es, wenn die Prüfungen auf einen Montag fallen – wie bei dieser Politikklausur. Wie die HAZ berichtet, hatte die Schule die Klausuren daher offenbar schon am Freitag kopiert und in einen Tresor gelegt, um am Montagmorgen weniger Stress zu haben. Konsequenzen will das Land daraus nicht ziehen, hat es doch in der Vergangenheit noch nie einen vergleichbaren Vorfall gegeben. Denn um sicherzustellen, dass die Abituraufgaben nicht vorher bekannt werden, verschickt das Land die Aufgaben normalerweise erst einen Tag vor der Prüfung. In Niedersachsen werden noch bis zu den Osterferien Klausuren geschrieben.

Gemeinsamer Aufgabenpool

Neben einzelner kleiner Pannen gibt es dieses Jahr eine große Änderung in den Bundesländern, die zu einiger Kritik führte. Erstmals gibt es einen bundesweiten Aufgabenpool für die Fächer Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch, aus denen sich Schulen bedienen können. Ziel ist es, damit die Vergleichbarkeit der Abituranforderungen zwischen den Ländern zu verbessern. Mindestens zwei, maximal 20 bundesweit abrufbare Aufgaben stehen je nach Fach und Teilbereich zur Auswahl – die jeweils mit länderspezifischen Fragen ergänzt werden können. Grundlage sind die 2012 verabschiedeten „Bildungsstandards für die Allgemein Hochschulreife“. Fachlich begleitet wird das Projekt vom Berliner Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB).

Kritiker bezweifeln, dass sich dadurch die Abi-Niveaus annähern. Der Chef des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, kritisierte die Zurückhaltung der Kultusminister bei ihrer Abi-Reform: „Wenn man sich die rechnerische Bedeutung dieses gemeinsamen Prüfungsteils anschaut, dann ist die nur minimal. Es geht hier am Ende vielleicht um fünf Prozent Anteil am Abi, die davon berührt werden. Das muss ausgebaut werden.“

KMK-Präsidentin Susanne Eisenmann (CDU) zeigte sich hingegen optimistisch, „einen weiteren Schritt in Richtung einer besseren Vergleichbarkeit zu gehen“. Eine von den Fachleuten befürchtete „Nivellierung nach unten“ bei den Abi-Anforderungen erwartet sie nicht. Für zukünftige Reformschritte weiterhelfen soll die rasche Evaluation durch das IQB, möglichst schon im Herbst 2017. Es laufen bereits Vorbereitungen für die Aufgabenpools 2018 und 2019, einheitliche Standards für Biologie, Physik und Chemie könnten folgen.

Josef Kraus beklagt „Notendumping“ mancher Bundesländer – und fordert von Bayern, deren Abitur nicht mehr anzuerkennen. GEW ist empört

Kritik an zu leichten Aufgaben

Wie sieht es aber mit dem Niveau des Abiturs aus? Vor allem Hochschulen beklagen seit längerem einen sinkenden Leistungsstand der Schulabsolventen bei Studienbeginn. Sie befürchten nun einen weiteren Schritt zu einem „Abi-Light“, wie die „Westfalenpost“ berichtet. Auch die NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) äußerte gegenüber der Zeitung Befürchtungen, dass das Abitur durch die länderübergreifende Annährung einfacher werden könnte: „Das ist in den Ländern bereits beim Übergang vom dezentralen zum zentralen Abitur passiert.“ Ihr Einschätzung: „Man muss Spezialisierungen herausnehmen und alle Schüler gleich vorbereiten.“

Eine komplette Vereinheitlichung als ein bundesweites Zentralabitur ohne Spezialisierungen und länderspezifische Unterschiede wird es aber wohl auch in Zukunft nicht geben. Zum einen wäre es schwierig einen gemeinsamen Termin zu finden. Zum anderen möchten die Länder ihre Bildungshoheit nicht aufgeben. Eine gewisse Abi-Ungleichheit, so das Fazit der „Westfalenpost“, wird es daher wohl auf absehbare Zeit zwischen den Bundesländern auch weiterhin geben. Agentur für Bildungsjournalismus mit Material der dpa

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