Duales System: Im Ausland hoch angesehen, in Deutschland mit „Passungsproblemen“ – und ungewisser Zukunft

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BERLIN. Eine solide Ausbildung in Betrieb und Berufsschule – selbst Donald Trump findet das deutsche Erfolgsmodell gut. Im eigenen Land müssen Bund, Länder, Wirtschaft und Schulen noch Überzeugungsarbeit fürs duale System leisten. Nicht alles läuft rund in der Berufsbildung.

Duale Ausbildung - ein Auslaufmodell? Foto: Tognum / flickr (CC BY-NC 2.0)
Duale Ausbildung – ein Auslaufmodell? Foto: Tognum / flickr (CC BY-NC 2.0)

Rein rechnerisch ist alles ziemlich prima auf dem Lehrstellenmarkt: 100 Schulabgänger, die nach einem Ausbildungsplatz suchen, können aus 104 Angeboten wählen – da sollte eigentlich jeder Bewerber unterkommen. «Top-Chancen auf Ausbildung», jubelt die Bundesregierung und hat damit nicht unrecht. Doch so einfach läuft es eben nicht für alle Jugendlichen, die im dualen System den Start ins Berufsleben hinbekommen wollen. Es gibt «Passungsprobleme», wie der am Mittwoch vom Kabinett verabschiedete Berufsbildungsbericht zeigt. Und einen Negativ-Rekord, der Sorge bereiten muss.

Das deutsche Erfolgsmodell Duale Ausbildung beeindruckt selbst Donald Trump – Deutschland macht es zum Exportschlager

STAGNATION NACH ABSTURZ: Die Gesamtzahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist weitgehend konstant – sie sank 2016 nur leicht, von gut 522 000 auf 520 300 (minus 0,4 Prozent). Allerdings wurden fünf Jahre davor noch mehr als 569 000 Lehrstellen besiegelt. Allein zwischen 2012 und 2013 gingen 22 000 Vertragsabschlüsse verloren. Eine Erklärung: die demografische Entwicklung mit weniger Jugendlichen in Deutschland, aber auch der Trend zum Studium. Zum Vergleich: Im Wintersemester 2016 starteten fast 508 000 Menschen in ihr erstes Hochschulsemester.

«PASSUNGSPROBLEME» BLEIBEN: Die Schere zwischen unbesetzten Lehrstellen und unversorgten Bewerbern ist «weiterhin eine zentrale Herausforderung», konstatiert der Regierungsbericht. Es «passt» beispielsweise nicht, wenn Jugendliche mit ihren Abschlüssen nicht den Ansprüchen der Firmen genügen oder wenn sie nicht mobil genug sind. Zum Stichtag 30. September 2016 wuchs die Zahl nicht vergebener Ausbildungsplätze im Vorjahresvergleich um 4,5 Prozent auf 43 500. Zugleich gingen aber 20 600 Jugendliche leer aus (minus 1,1 Prozent).

MEHR ABITURIENTEN IN AUSBILDUNG: Die Quote der Azubis mit Studienberechtigung ist seit 2009 von gut 20 auf zuletzt knapp 28 Prozent geklettert. 2016 gab es im dualen System also erstmals mehr Studienberechtigte als junge Menschen mit Hauptschulabschluss (26,7 Prozent), hebt der DGB hervor. Dass Abiturienten die betriebliche Lehre meiden und lieber an die Uni gehen, ist nicht mehr in Stein gemeißelt. Die Kehrseite: Jugendliche mit hohem Schulabschluss nehmen vor allem Hauptschülern Ausbildungsplätze weg.

NUR JEDER FÜNFTE BETRIEB BILDET AUS: Laut Berufsbildungsbericht ein Minusrekord. Die «Ausbildungsbetriebsquote» sank erneut, nach den bisher aktuellsten Zahlen für 2015 von 20,3 auf 20,0 Prozent. Der «Bestandsverlust» sei auf Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Beschäftigten und Start-ups zurückzuführen. Allerdings ist derzeit nur gut die Hälfte der Betriebe tatsächlich ausbildungsberechtigt. Das Bundesbildungsministerium will kleine Betriebe mit einem neuen Schwerpunkt «Jobstarter plus» für mehr Ausbildung gewinnen.

Duale Ausbildung: Ein Erfolgsmodell – trotzdem ein Auslaufmodell?

ARBEITGEBER-FRUST: Nach Zahlen des Deutschen Industrie – und Handelskammertages (DIHK) stieg die Zahl der Lehrstellenangebote bei der Bundesagentur für Arbeit 2016 um 27 000 an – die Arbeitgeber täten also einiges. Der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks weist darauf hin, dass immer mehr Firmen ihre Ausbildungsplätze über Jahre nicht besetzen könnten und dann «unfreiwillig aus der Statistik der Ausbildungsbetriebe» heraus fielen – vor allem kleine Unternehmen in ländlichen Regionen.

OHNE ABSCHLUSS: Gut 1,2 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren haben in Deutschland keinerlei abgeschlossene Lehre und befinden sich auch nicht in Schule oder Studium – 13 Prozent der Altersgruppe. Bezogen auf die 20- bis 34-Jährigen ohne Berufsabschluss lag die Quote sogar bei 13,4 Prozent – betroffen waren 1,95 Millionen junge Leute. «Unter dem Strich bleiben pro Jahrgang mehr als 120 000 Jugendliche ohne Ausbildung», sagt die stellvertretende DGB-Chefin Elke Hannack. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) bedauert, dass es hier nicht aufwärts geht – «aber daran arbeiten wir».

IN DER WARTESCHLEIFE: Nach Rückgängen im sogenannten Übergangsbereich zwischen 2005 (gut 417 000) und 2014 (fast 253 000) gab es hier zuletzt eine Trendumkehr. 2016 begannen fast 300 000 junge Menschen (plus 12,2 Prozent) ein Programm, um sich überhaupt erst einmal für einen Ausbildungsplatz fit zu machen. «Der Anstieg ist im wesentlichen auf Integrationsmaßnahmen für junge Geflüchtete zurückzuführen», heißt es im neuen Berufsbildungsbericht.

FLÜCHTLINGE MIT FRAGEZEICHEN: In Deutschland gibt es derzeit in der ausbildungsrelevanten Gruppe der 15- bis 25-Jährigen 114 500 Flüchtlinge – ein Viertel der als arbeitsuchend gemeldeten jungen Menschen. «Etwa 51 000 haben keinen Schulabschluss (…), was den Einstieg in die berufliche Ausbildung für diese Personengruppe noch weiter erschwert», heißt es im Report. Hinzu kommt, dass Geflüchtete das duale System oft nicht kennen und daher auch nicht wertschätzen können, bedauert Ministerin Wanka. Das solle sich ändern.

IMAGEWERBUNG GROSS GESCHRIEBEN: Praxisnähe, gute Übergänge von der Lehre in den Job, die im EU-Vergleich geringe Jugendarbeitslosigkeit – all das begründet Erfolg und internationales Ansehen des dualen Systems, sagt Wanka. Sie will in dieser Legislaturperiode das Prestige des deutschen Berufsbildungsmodells verbessern. Die Chefin der Kultusministerkonferenz der Länder, Susanne Eisenmann, zieht da gern mit: Die berufliche Bildung werde «außerhalb unserer Grenzen wesentlich stärker wahrgenommen als in Deutschland selbst», sagt die CDU-Politikerin. «Deshalb will ich wieder stärker für die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung werben.» Von Werner Herpell, dpa

Rolle rückwärts der OECD: Deutschland ist mit seiner dualen Ausbildung plötzlich Vorbild

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