Lehrer als Lockvögel? GEW: Immer öfter werden Schulen für Werbe-Aktionen missbraucht – Monitoringstelle gefordert

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FRANKFURT/MAIN. In Hessen beschäftigt sich der Landtag mit einer offenbar als Maßnahme zur Verkehrserziehung getarnten Werbeaktion für ein Möbelhaus an Grundschulen – für die GEW ist der Umgang der Landesregierung mit dem Fall eine Nagelprobe für das neue hessische Schulgesetz, das Werbung an Schulen zwar verbietet, Sponsoring aber erlaubt. Ein Einfallstor für kommerzielles Marketing?

Keine Frage, Schüler – und deren Eltern – sind eine wichtige Zielgruppe für die Wirtschaft. Illustration: Shutterstock

„Wir wollen Kinder über Risiken im Straßenverkehr aufklären, für brenzlige Situationen sensibilisieren und so im besten Fall zur Unfallprävention beitragen“, so erklärte im vergangenen Oktober ein Geschäftsleiter die Motivation seiner Möbelhaus-Kette, an Grundschüler Fahrradhelme zu verschenken, gegenüber der Frankfurter „Neuen Presse“. Möglicherweise war die Aktion allerdings nicht ganz so selbstlos, wie sie in dem Zeitungsartikel dargestellt wurde: Das Unternehmen hatte, so berichtet die GEW, „eine Marketingagentur beauftragt, die mit einem Konzept zur Verkehrserziehung auch in hessischen Grundschulen aufgetreten ist“. Hierbei seien große, messetypischen Aufsteller, die prominent das Firmenlogo präsentierten, eingesetzt worden.

Mehr noch: „Zudem instrumentalisierte man die Grundschülerinnen und Grundschüler, indem man ihnen einen Fahrradhelm zeigte, den sie sich (wohl in Begleitung ihrer Eltern) aber erst am darauf folgenden Samstag in der Filiale abholen konnten. Dass dieser Fahrradhelm im Sinne der möglichst lang und rund um die Schulen flächendeckend anhaltenden Werbewirkung ebenfalls großflächig mit dem Konzernlogo bedruckt ist, verdeutlicht endgültig, wie strategisch und gezielt Schulen inzwischen als Werberaum genutzt werden“, so meint die GEW. Dienen Lehrer also immer öfter als Lockvögel?

Zumindest einige Landtagsabgeordnete sehen die Gefahr durchaus, weshalb heute in der Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses des Hessischen Landtags die Aktion thematisiert wird – leider nicht öffentlich, wie die GEW moniert. Sie sieht in dem Fall eine erste Nagelprobe für das seit Sommer 2017 geltende Schulgesetz, das Sponsoring und Werbung an Hessens Schulen grundsätzlich regelt – und offenbar Schlupflöcher bietet. „Wie dringend es jetzt notwendig wird, nach der lobbyistischen Einflussnahme auf das Gesetz nachzubessern, verdeutlicht auch besonders diese Aktion“, so schreibt die GEW in einer Pressemitteilung.

In Schulen – so das Versprechen der darauf spezialisierten Agenturen – erreiche man die Zielgruppe (Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern) ohne so genannte „Streuverluste“, da sich die Kinder dieser Werbung beziehungsweise diesem Sponsoring nicht entziehen könnten und von dieser überwältigt würden. Maike Wiedwald,  Landesvorsitzende der GEW Hessen, betont: „Die GEW Hessen setzt sich für werbe- und lobbyfreie Schulen ein. Die bisherigen Maßnahmen der Landesregierung werden der gesamten Problematik nicht einmal ansatzweise gerecht.“

„Druck der Wirtschaftsverbände“

Zu Beginn des aktuellen Schuljahres hat die schwarz-grüne Hessische Landesregierung im neuen Schulgesetz zwar ein grundsätzliches Werbeverbot in Schulen verankert. Nach einem „guten ersten, eigenen Entwurf“, so die GEW, habe Wiesbaden diesen allerdings auf Druck der Wirtschaftsverbände derart umformuliert, dass er als eine der aktuell schwächsten Regelungen im Ländervergleich gelten muss. Das verdeutliche auch der aktuelle Vorfall. So deklariere das Kultusministerium seine Antwort, in der es eine derartige Werbeabsicht als unzulässig bezeichnet, als „nicht öffentlich“.

„Das hierin zum Ausdruck kommende (In-)Transparenzverständnis der Regierung spielt Werbern und Lobbyisten regelrecht in die Hände, wenn diese bei offenkundigen Verstößen gegen das Schulgesetz keinerlei Konsequenzen und nicht einmal die öffentliche Kritik fürchten müssen“, meint die GEW. Zudem habe das Ministerium in der letzten Woche mit einer im Allgemeinen bleibenden Rundmail an die Grundschulen reagiert, erneut ohne den konkreten Fall zu benennen. Hierin würden die Grundschulen bei Unklarheiten zur Beratung an die Schulämter verwiesen. „Diese anhaltende Strategie des Kultusministers ist verfehlt. So delegiert das Kultusministerium Anfragen immer wieder an die Staatlichen Schulämter zurück. Staatliche Schulämter geben aber auch keine Antwort, weil es keine Rückmeldung aus dem Hessischen Kultusministerium gebe und sie sich auch nicht so gut auskennen würden“, schreibt die GEW.

„Die GEW Hessen fordert deshalb weiterhin eine unabhängige Monitoringstelle. Diese kann durch eigene Recherchen oder nach Hinweisen von Lehrerinnen und Lehrern, Eltern und Schülerinnen und Schülern transparente Bewertungen zu Unterrichtsmaterialien und -projekten durchführen und öffentlich zugänglich machen“, sagt Maike Wiedwald. Sie erklärt weiter: „Dies wäre eine hilfreiche Unterstützung für Lehrerinnen und Lehrer, da nicht wie in den Stellungnahmen der Wirtschaftsverbände zum Schulgesetz gefordert, jede Schule oder Lehrkraft aufs Neue eine eigene Prüfung durchführen müsste. Diese dürfen nicht derart mit der Gatekeeper-Funktion alleine gelassen und überfordert werden.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

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