Nach dem Willen des Bildungsministeriums sollen Schüler mit Handicap, Lernschwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten möglichst gemeinsam mit anderen Schülern unterrichtet werden. Die Inklusion in Thüringer Schulen voranzubringen, steht als Ziel auch im Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün. Allerdings nimmt der neue Gesetzentwurf nach Einschätzung von Gewerkschaften nun etwas Tempo aus dem Vorhaben. Statt ganz auf Förderschulen zu verzichten, sollen sich nur einige von ihnen zu Beratungszentren wandeln – ohne eigene Schüler. Andere wiederum bleiben bestehen wie bisher. «Qualität geht vor Schnelligkeit», sagt Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) und betont, dass Eltern weiterhin die Wahl haben werden, auf welche Schule sie ihr Kind schicken.
Förderschulen mit den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung sind von den geplanten neuen Regelungen betroffen. Förderschulen, an denen Kinder mit geistigen oder körperlich-motorischen Defiziten lernen oder Kinder, die beim Sehen oder Hören stark eingeschränkt sind, sollen von dem neuen Gesetz unberührt bleiben. Ausgeschlossen sei laut Ministerium, dass Kinder die Schule wechseln müssen, wenn das neue Gesetz in Kraft tritt. Auch jene Förderschulen, die sich womöglich zu einem Beratungszentrum wandeln, müssen ihre Schüler bis zum Ende der Schulzeit behalten.
Nach Angaben des Bildungsministeriums sollen in diesen Beratungszentren die Fäden zusammenlaufen, wenn es um die Sonderpädagogik an den Schulen geht. «Die Förderzentren ohne eigene Schüler sollen Fortbildungen für Lehrer sowie Eltern- und Schülerberatungen anbieten», sagt Susanne Rusche, Referatsleiterin im Bildungsministerium. Außerdem soll der gemeinsame Unterricht an Schulen dort koordiniert werden. Für sogenannte temporäre Lerngruppen soll das Förderzentrum die inhaltliche Richtung vorgeben.
Sinnvoll, aber nicht mutig genug
Wird der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Fassung beschlossen, schafft Thüringen den Bildungsgang Lernen ab. Bedeutet: Kinder und Jugendliche, die sonderpädagogische Unterstützung brauchen, bekommen keinen eigenen Lehrplan mehr, sondern den gleichen, nach dem die anderen Schüler auch unterrichtet werden. «Die Schüler müssen aber nicht alle Lehrplanziele erreichen», heißt es dazu im Ministerium. Schaffen die Kinder in einem Fach die Lernziele nicht, erhalten sie dafür keine Noten, sondern bekommen eine mündliche Einschätzung ihrer Leistung. Außerdem soll es für sie sonderpädagogische Förderpläne geben.
«Konsequent wäre es, keine Förderschulen mehr zu haben. Dafür fehlen aber die personellen und räumlichen Voraussetzungen», sagt die Thüringer Landesvorsitzende der GEW, Kathrin Vitzthum. Aus ihrer Sicht sei der nun eingeschlagene Weg des Ministeriums daher «sinnvoll». Sie lobt, dass der Prozess der Inklusion entschleunigt wurde. Allerdings ist ihr das neue Schulgesetz nicht mutig genug: «Der Gesetzentwurf gibt zu wenig Antworten auf konkrete Fragen im Arbeitsalltag der Kollegen – etwa bei der Zusammenarbeit der Lehrer mit Integrationshelfern.» Außerdem gebe es weiterhin zu wenig Förderpädagogen. Entscheidend sei, dass die Bedingungen für Inklusion an den Schulen verbessert werden. Auch der Thüringer Lehrerverband vermisst konkrete Festlegungen für den gemeinsamen Unterricht – etwa beim Personal. «An den Bedingungen hat sich nichts gerändert», sagt Rolf Busch, Landesvorsitzender des Lehrerverbands.
Der Entwurf befindet sich derzeit noch in der Ressortabstimmung. Er soll nach bisherigen Plänen am 22. Mai das Kabinett passieren. Danach bedarf er einer Zustimmung des Landtags. dpa
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“Beratungszentren” – oder die Idee der Schule ohne Schüler für Förderzentren ist ja nun nicht neu. Hat es bisher was gebracht? Nein. Wo keine Lehrkräfte für Sonderpädagogik sind, hilft auch eine formale Neuausrichtung des Mangels nicht.
Diese Neuausrichtung klingt aber gut und modern. Außerdem ist ein “Beratungszentrum” ein Ort, den Beratungsbedürftige von sich aus ggf. nach Terminabsprache besuchen können, ähnlich wie eine Verbraucherzentrale, eine Arztpraxis, eine Anwaltskanzlei u.ä.. Was das im Alltag der Lehrkräfte gerade in den ländlichen Gebieten bedeutet, kann ich noch nicht sagen, weil die Beratungszentren tendenziell wohl eher in den Städten angesiedelt werden.
„Beratungszentrum“ ist in NDS. das Wort dafür, dass FöS keine SuS mehr haben, aber Lehrkräfte einen Ort, zu dem sie gehören, an dem sie Konferenz halten können und an dem jemand sitzt, der ihren Einsatz in den unterschiedlichen Schulen als Abordnung plant.
Auch sitzt hier ein Leiter, der die Gutachten verteilt und abschließend liest.
So funktioniert das in Hessen auch. Es ist eine Verwaltungseinheit. Gut gdacht ist sicherlich, inklusive Förderung auch räumlich zu trennen von den nicht gern gesehenen Förderschulen und so Ängste abzubauen.
Nur eben: Hat ein Förderzentrum nur 40% der notwednigen Stunden, kann natürlich auch nur 40% der Förderung angeboten werden – was übrigens völkerrechtswidrig ist, denn hinter das Niveau des GU-Unterrichts ab 1993 darf inklusive Förderung eigentlich nicht fallen.
@omg: Kannst du noch erklären, weshalb das völkerrechtswidrig ist oder wo ich die Bestimmung zu 1993 finde?