„Desaströs hoher Unterrichsausfall“: Philologen nehmen Tonne unter Beschuss

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HANNOVER. Der Philologenverband hat scharfe Kritik am Niedersächsischen Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) geübt. „Wieder einmal erweckt Minister Tonne mit den von ihm vorgelegten Zahlen den Eindruck, dass an den Gymnasien mit einer durchschnittlichen Versorgung von 102,2 Prozent die Welt in Ordnung ist. Doch die angeführte Zahl ist ein rein statistischer Wert, der wenig über die tatsächliche Erteilung des Unterrichts an den einzelnen Gymnasien aussagt und auch das fachspezifische Fehl vieler Schulen nicht berücksichtigt“, meint Philologen-Landeschef Horst Audritz. Bei mittlerweile neun gymnasialen Mangelfächern könne von einer guten Unterrichts- und Lehrerversorgung keine Rede sein.

Unter Druck: Kultusminister Grant Hendrik Tonne. Foto: Foto-AG Melle, derivative work Lämpel – Own work / WIkimedia Commons / CC BY 3.0

Die Entwicklung der Unterrichtsversorgung bietet nach Auffassung von Tonne Grund zu Optimismus. Am Stichtag zu Beginn des Schuljahres, dem 23. August, lag sie im landesweiten Durchschnitt bei 99,4 Prozent, so rechnete er in dieser Woche vor – das waren 0,7 Prozentpunkte mehr als im vorherigen Schuljahr (98,7 Prozent). Die Unterrichtsversorgung gibt an, zu welchem Prozentsatz der vorgesehene Unterricht und zusätzliche Lehrerstunden für Inklusion, Ganztagsschule und Sprachförderung abgedeckt werden können. Der kurzfristige Ausfall von Schulstunden wegen der Erkrankung von Lehrern ist in dem Wert nicht eingerechnet.

Seit Jahren berechne das Kultusministerium die Zahlen zur Unterrichtsversorgung auf unterschiedlicher Grundlage, erkären nun die Philologen. Die statistische Unterrichtsversorgung sei zwischen den Schulformen daher nicht vergleichbar, da beispielsweise das Gymnasium allein zur Erteilung des Pflichtunterrichts eine wesentlich höhere statistische Unterrichtsversorgung benötige als andere Schulformen, was das Kultusministerium selbst wiederholt habe einräumen müssen. „Der in Wirklichkeit desaströs hohe Unterrichtsausfall wird dadurch nach wie vor verschleiert. Dies gilt auch für die fächerspezifische Unterrichtsversorgung. Betrachtet man allein an unseren Gymnasien die Lücken bei der Versorgung in Mathematik und in den naturwissenschaftlichen Fächern, werden die Probleme sofort deutlich“, bilanziert Audritz.

Neu eingestellte Lehrer

Auch der Eindruck, dass die höhere Zahl von Neueinstellungen zu einer besseren Versorgung an den Schulen geführt habe – zum Start des zweiten Schulhalbjahres am 1. Februar hat Niedersachsen bislang 1108 von 1250 ausgeschriebenen neuen Lehrerstellen besetzen können – , sei irreführend. Die neu eingestellten Lehrer seien nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es fehle dem Ministerium weiterhin an zukunftsweisenden Konzepten. Dies werde nach wie vor an der unhaltbaren Abordnungspraxis deutlich, die nicht wie zugesagt reduziert, sondern im Gegenteil immer umfangreicher werde. „Vor einem Jahr hat der Minister öffentlich versprochen, er wolle ‚die Lehrerkarawanen durch Niedersachsen sehr zügig stoppen‘. Doch dieses Versprechen hat er nicht gehalten.“ Die weiter zunehmenden Abordnungen belasteten die Schulen und Lehrkräfte in großem Maße. „Hier muss das Kultusministerium endlich Lösungen präsentieren, leere Versprechungen allein genügen nicht“, unterstreicht Audritz.

Die von Tonne jetzt veröffentlichten Zahlen berücksichtigen zudem überhaupt nicht, dass der Unterricht an vielen Gymnasien schon jetzt nur deshalb noch halbwegs erteilt werden könne, weil die Gymnasiallehrer Tausende von Überstunden leisteten – ein unhaltbarer Zustand, vor dem der Minister bewusst die Augen verschließe. Auch hier verweigere das Kultusministerium seit Jahren eine flächendeckende Erhebung der von den Gymnasiallehrkräften erteilten Überstunden, obwohl bekannt sei, dass hier eine Zeitbombe ticke. „Dieser nach wie vor lapidare Umgang mit der Unterrichtsversorgung geschieht wohlwissend, da sonst öffentlich würde, in welch hoher Zahl Lehrkräfte an den Gymnasien tatsächlich fehlen“, folgert Audritz.

„Wir haben nun häufig genug die selbstkritischen Hinweise des Kultusministers auf die noch nicht zufriedenstellende Situation bei der Versorgung der Schulen gehört. Optimismus ersetzt aber keine Konzepte. Wir haben wiederholt konstruktive Vorschläge zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung unterbreitet, die leicht umsetzbar sind. Der Kultusminister muss endlich handeln“, so Audritz.

Tonne hatte erklärt, auf dem Arbeitsmarkt gebe es weiterhin sehr viele Bewerber für das Lehramt am Gymnasium und zu wenige für die Haupt-, Real- und Oberschulen. Das Kultusministerium werde daher einige Stellen, die für diese Lehrämter geplant waren, aber nicht besetzt werden können, an die Gymnasien verlagern. Diese würden dann auch künftig Lehrer an andere Schulformen abordnen müssen. Der genaue Umfang der Abordnungen stehe aber noch nicht fest. «Wir sind gut beraten, die Lehrkräfte, die auf dem Markt sind, jetzt auch einzustellen», sagte Tonne. Zumal die Gymnasien künftig mehr Personal benötigen: Im kommenden Schuljahr wird es wegen der Umstellung von G8 auf G9 einen doppelten Abiturjahrgang geben. Auch danach werden mehr Lehrer benötigt, da das Gymnasium wieder bis Klasse 13 geht. News4teachers / mit Material der dpa

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