„Riecht nicht nach Schule“: Das größte Science Center Deutschlands eröffnet

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HEILBRONN. Die Wissenswelt Experimenta ist weder Klassenzimmer noch Vergnügungspark. Hier soll freiwillig gelernt werden – und das mit Spaß. Am 31. März wird das größte Science Center Deutschlands eröffnen.

Auf rund 25.000 Quadratmetern können Besucher Wissenschaft erleben. Foto: Sauerbruch Hutton Architekten, Berlin

Ob er die Wolken wegpustet und die Sonne scheinen lässt oder doch lieber ein Gewitter zusammenbraut – die Entscheidung liegt beim Ausstellungsbesucher. In jedem Fall hat sie Konsequenzen für die Landschaft, die auf die Sandfläche vor ihm projiziert wird. «Wetterwechsel» ist eine von 275 interaktiven Stationen des Wissenschaftszentrums Experimenta, das nach jahrelanger Planung und Bauzeit am 31. März wiedereröffnet. Heilbronn beherbergt dann das größte Science Center Deutschlands: Auf rund 25.000 Quadratmetern, so die Angaben der Organisatoren, können Besucher Wissenschaft erleben.

Es geht nicht darum, die Relativitätstheorie zu erklären, wie Experimenta-Geschäftsführer Wolfgang Hansch betont. «Wir möchten Naturwissenschaften und Technik auf spielerische Art vermitteln.» Der studierte Physiker Christian Sichau war schon in der alten Experimenta, die 2009 eröffnet hatte, für die Ausstellung verantwortlich. «Wir wählen bewusst Themen, die nicht nach Schulunterricht riechen», sagt er.

Sichau steigt jetzt in eine weiße Kabine: «Hier wartet ein Blind Date.» Nur leider will die Verabredung die Frage nach ihrem Alter nicht klar beantworten: Zu lange her, sie könne sich nicht mehr erinnern, sagt eine Computerstimme. Mit wem man sich hier gerade unterhält, ist mit Absicht unklar. Am Ende gilt es nämlich zu erraten: Ist mein Gesprächspartner lebendig oder nicht? In diesem Fall lautet die Antwort nein. Das Date ist ein Vulkan.

Bildungsarbeit außerhalb von Schulen

Anders als Museen haben Science Center keine originalen Exponate – Anfassen und Mitmachen sind ausdrücklich erwünscht. Die Experimenta sei auf Kinder ab zehn Jahren ebenso wie auf Eltern und Großeltern ausgerichtet, erklärt der Geschäftsführer. Für jüngere Kinder gibt es ein Stockwerk mit einer Wasserlandschaft, auch eine Ameisenkolonie und ein Testfeld für Papierflieger sind dort zu finden.

Der Besuch in Museum oder Science Center sei ein soziales Ereignis, sagt Tobias Nettke von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Sein Fachgebiet ist die Bildung und Vermittlung in Museen. Man erkunde gemeinsam, kann sich gegenseitig etwas erklären, sagt Nettke. Lernen funktioniere da nebenbei, indem Faszination geweckt werde. Das gelinge aber nur, «wenn es diese unterhaltsamen, witzigen, spannungsgeladenen Aspekte enthält.» (Interview unten)

Das Bundesbildungsministerium bewertet Science Center als wertvollen Beitrag zur Bildungsarbeit außerhalb von Schulen. Es gibt aber keine strukturelle Förderung durch den Bund. Die vielen Zentren in Deutschland werden sehr unterschiedlich finanziert. Einige aus kommunalen oder Landesmitteln. Das Geld in Heilbronn kommt von der Dieter Schwarz Stiftung, also von den Gewinnen der Unternehmen Kaufland und Lidl – das «i» im Experimenta-Schriftzug ist erkennbar dem Discounter entlehnt. Wie viel der Um- und Neubau gekostet hat, möchte Geschäftsführer Hansch nicht verraten.

Kurz vor der Eröffnung schrauben und hämmern Dutzende Menschen in den Hallen. Neben dem ehemaligen Ölsaatenspeicher, der die alte Experimenta beherbergte, wurde ein Bau aus Glas und Stahl auf eine Insel im Neckar gesetzt. Im alten Gebäude gibt es acht Labore für Schulklassen. Im neuen können Besucher Trickfilme produzieren oder ein Fahrzeug zusammenschrauben. Unter der Erde wurde ein Science Dom für Wissenschafts-Shows errichtet.

Es wurde erheblich aufgestockt – die Fläche hat sich mehr als verdreifacht, die Zahl der Experimente fast verdoppelt. Dem ursprünglichen Prinzip, Wissenschaft und Technik erlebbar zu machen, sei man treu geblieben, sagt der Geschäftsführer und betont: «Wir sind kein Vergnügungspark. Wir sind eine Bildungsinstitution.» Von Linda Vogt, dpa

Hier gibt es weitere Informationen zum Wissenschaftszentrum Experimenta.

Das Lernen passiert nebenbei

BERLIN. Lernen und gleichzeitig Spaß haben ist das Konzept von sogenannten Science Centern – funktioniert das? Und wenn ja – wie? Antworten gibt Tobias Nettke, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Sein Fachgebiet ist die Bildung und Vermittlung in Museen.

Schaffen es Ausstellungen, Besuchern etwas beizubringen?

Nettke: Lernen passiert eher im informellen Sinn, nebenbei und aus der Situation heraus – also was einem spontan interessiert an dem Umfeld der Ausstellung und an den Inhalten, die einem dargeboten werden. Das ist nicht so systematisch, wie das vielleicht in der Schule oder an der Hochschule erfolgt. Moderne Ausstellungsmacher wissen auch, dass man kaum erwarten darf, dass sich die Leute von A bis Z alles durchlesen und alles anschauen.

Worauf kommt es bei den Ausstellungskonzepten von Science Centern an?

Nettke: Sie sind eingebettet in die Ansprüche, die man an so einen Ort der Freizeit hat. Also Geselligkeit, Unterhaltung, Spaß und Interaktion mit anderen. Wir wissen natürlich, dass das Museum als Freizeitort nur dann funktioniert, wenn es diese unterhaltsamen, witzigen, spannungsgeladenen Aspekte enthält.

Und wie viel Wissen bleibt von einem Ausstellungsbesuch hängen?

Nettke: Das kann ernüchternd sein, wenn man das jetzt vergleicht mit einem Kurs im Sinne des formalen Lernens in der Schule. Da geht es ja um Begriffe, die man lernen soll, oder Jahreszahlen. Und auch in anderen Kontexten, in der Volkshochschule, werden bestimmte Kompetenzen besonders gefördert, sagen wir jetzt mal ein bestimmtes Computerprogramm. Das passiert im Museum nicht, da ist es ein Lernen im Sinne des lebenslangen Lernens.

Profitieren dann vor allem Kinder vom Museums- oder Science Center-Besuch?

Nettke: Wer mit viel Vorwissen kommt, kann auch viel rausziehen aus einer Sonderausstellung. Das knüpft direkt an das Vorwissen, das besteht, an. Aber diejenigen, die sich noch nicht so tief damit beschäftigt haben, die kriegen eben durch solche Ausstellungen und Elemente erst mal Anregungen, werden motiviert und das ist eigentlich eine gute Grundlage, um das auch an anderer Stelle wieder zu vertiefen. Zum Beispiel, wenn man einem bestimmten Phänomen noch mal im Alltag begegnet. Interview: Linda Vogt, dpa

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