Studie weckt Zweifel: Die „integrative Kraft des Fußballs“ – nur ein Mythos?

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SAARBRÜCKEN. Fußballvereine und -verbände werben gerne mit der integrativen Kraft ihres Sports. Aber stimmt das tatsächlich? Historiker von der Universität des Saarlands melden Zweifel an.

Seit 2017 untersucht ein Team um die Zeithistoriker Dietmar Hüser und Ansbert Baumann in einem Forschungsprojekt ob Fußball in Deutschland und Frankreich der 1960er Jahre zur schnelleren Integration südeuropäischer Arbeitsmigranten geführt hat. Erste Zwischenergebnisse legen nahe, dass die ausländischen Spieler in dieser Zeit nicht besser integriert wurden, weil sie Fußball spielten – zumindest nicht direkt durch den Sport.

Integration ist kein Selbstläufer. Einem Großteil der Bevölkerung in Deutschland dürfte klar sein, dass die erfolgreiche Integration von Migranten harte Arbeit ist, die von beiden Seiten geleistet werden muss. Als Mittel heutiger Integrationsbemühungen steht auch der Sport, darunter vor allem der Fußball, im Rampenlicht. Der Deutsche Fußballbund zum Beispiel wirbt gerne mit der integrativen Kraft des „Nationalsports“ der Deutschen, indem er in Werbespots auf die vielen Nationalitäten verweist, in denen deutsche Nationalspieler ihre Wurzeln haben.

Im Fußball zeigt sich die Leistungsgesellschaft relativ unverhüllt. Das hat durchaus integrative Kraft. Foto: Julius Volz /flickr (CC BY-SA 2.0)

In den 1960er Jahren hingegen war es vielen Deutschen egal, ob sich die Ausländer, die meist als so genannte Gastarbeiter ins Land kamen, gut integrierten oder nicht. Obwohl viele dieser Arbeitsmigranten aus Südeuropa kamen und aus Ländern, in denen der Fußball einen ebenfalls sehr hohen Stellenwert hat, konnten sie in den 1960er Jahren nicht Fuß fassen in den bestehenden deutschen Sportvereinen. Sie wurden sich selbst überlassen.

„Damals gab es eine Gründungswelle von ‚ausländerhomogenen‘ Vereinen“, erläutert Dietmar Hüser. Der Professor für Europäische Zeitgeschichte und sein Team untersuchen seit gut zwei Jahren, ob der Fußball im Wirtschaftswunder-Deutschland der 1960er Jahre und im Vergleich dazu in Frankreich zur besseren Integration beigetragen hatte oder nicht.

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„Nach ersten Forschungsergebnissen können wir vorsichtig sagen, dass der Fußball damals eher nicht integrationsfördernd gewesen war“, erläutert der Geschichtswissenschaftler. „Viel mehr ist die Gründung der Vereine, in denen sich die Arbeitsmigranten zusammengetan haben, von deutschen Verbänden und Vereinen zuerst ignoriert worden. Später, als die ausländischen Vereine besser organisiert waren, wurden sie skeptisch beäugt“, resümiert Dietmar Hüser.

Die Integration der damaligen Hobbyfußballer aus dem Gastarbeiter-Milieu geschah vielmehr über Umwege und war sehr langwierig. Durch die Notwendigkeit, sich um die Infrastruktur im Umfeld zu kümmern – es mussten unter anderem Trainingsplätze organisiert werden, Busse für Auswärtsspiele gebucht werden –, mussten die ausländischen Fußballer auf deutsche Gegebenheiten zurückgreifen: Um einen Spielbetrieb der „Ausländerligen“ zu gewährleisten, mussten sie Plätze bei Gemeinden anfragen, Busse bei deutschen Busunternehmen mieten, Speisen und Getränke besorgen, Spielmaterial wie Bälle, Trikots, Schuhe und viele andere Dinge auch. So sei es zum Austausch von Deutschen und Ausländern, zum gegenseitigen Verständnis und Kennenlernen gekommen, ohne dass die Integration tatsächlich auf dem Platz stattgefunden hätte.

In Frankreich dieser Zeit sah die Situation anders aus. „Frankreich war seit dem 19. Jahrhundert ein Einwanderungsland. Die Integration ausländischer Mitbürger war dort Staatsziel und hatte eine gewisse Tradition“, erläutert Dietmar Hüser. Daher sei auch die Quellenlage, in Frankreich besser, in Deutschland hingegen eher dünn. Gerade deutsche Sportverbände wie der DFB, die Unterlagen speziell zu diesem Thema vorliegen haben, hegen wenig Interesse, das Thema stärker zu beleuchten. „Daher ist dieses Projekt von seiner Herangehensweise ungewöhnlich für Historiker. Unsere Arbeitsweise ist hier eher kriminalistisch: Wir setzen stark auf Zeitzeugenberichte und suchen in Zeitungsartikeln und anderen zeitgenössischen Medien nach Akteuren von damals“, erklärt der Historiker. Nach wie vor ist diese Suche nicht abgeschlossen.

Dass der Fußball heute in Zeiten großer Werbekampagnen und abermals großer Migrationsbewegungen integrativer wirken kann als vor einem halben Jahrhundert, zweifelt Dietmar Hüser übrigens an: „Da wäre ich eher vorsichtig. Denn die Integration ist, wie wir aus der Vergangenheit lernen können, eine Sache, zu der nicht nur die Migranten etwas beisteuern müssen. Dies trifft genauso auf die Mehrheitsgesellschaft zu.“ (pm)

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