BERLIN. Das Thema Lehrermangel ist ein Dauerbrenner. Jetzt haben die Bundesländer neu berechnet, wie sich die Lage in den kommenden Jahren entwickeln könnte. Ergebnis: Es gibt beides – einen Mangel und einen Überschuss an Lehrern. Für die Grundschulen, wo derzeit die größten Probleme bestehen, ist eine Trendwende in Sicht. Der VBE und der Deutsche Lehrerverband zeigen sich skeptisch.
Der Lehrermangel wird die Schulen in den nächsten zehn Jahren ganz unterschiedlich treffen. Neue Modellrechnungen der Bundesländer zeigen, dass je nach Land und Schultyp einerseits drastische Lücken und andererseits auch ein Überangebot an Lehrern erwartet werden.
Die entsprechende Prognose mit dem Titel «Lehrereinstellungsbedarf und -angebot in der Bundesrepublik Deutschland 2019 – 2030» wurde in Berlin von der Kultusministerkonferenz (KMK) beschlossen und liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. Sie listet auf, wie viele Lehrer pro Jahr, Bundesland und Schultyp jeweils voraussichtlich neu gebraucht und wie viele verfügbare Absolventen dem voraussichtlich gegenüberstehen werden.
Durchgängig: ein Überangebot an Gymnasiallehrern – bundesweit
Die zentralen Befunde: Durchgängig bis 2030 sind vor allem Engpässe an Berufsschulen und Schulen der Sekundarstufe I (Haupt- und Realschulen) zu erwarten. Ebenfalls durchgängig ist dagegen mit einem Überangebot an Gymnasiallehrern zu rechnen, und zwar deutschlandweit.
An den Grundschulen stellt sich die Lage differenzierter dar. Bis einschließlich 2023 prognostizieren die Kultusminister eine sehr große Lücke von insgesamt rund 12.400 fehlenden Lehrern und sprechen bis dahin von einer sehr angespannten Situation. Ab 2024 zeigt die Prognose aber in die andere Richtung. Dann wird auch an den Grundschulen rechnerisch ein Lehrerüberschuss erwartet, ab 2027 sogar ein deutlicher.
Grundsätzlich erwarten die Länder, dass sich der durchschnittliche jährliche Lehrereinstellungsbedarf in fast allen Schulbereichen im Vergleich zu den letzten Prognosen von 2018 erhöht. Hauptgründe seien steigende Schülerzahlen durch mehr Geburten und Zuwanderung.
Meidinger: Lücken werden aktuell durch Quereinsteiger gefüllt
Vor allem über die Lage an den Grundschulen war zuletzt heftig diskutiert worden. Die Bertelsmann-Stiftung hatte im September Schlagzeilen mit einer Studie gemacht, wonach bis 2025 mindestens 26.300 Lehrer an den Grundschulen fehlen würden (News4teachers berichtete). Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, äußerte sich mit Blick auf diese Prognose skeptisch: «Weil sie nämlich die Bedarfslücken von Jahr zu Jahr addiert und nicht berücksichtigt, dass die Länder den größten Teil der Bedarfslücken durch Quereinsteiger, die aber eine dauerhafte Anstellung erhalten, füllt».
Im Grundschullehramt gibt es “dramatisch gestiegene Anfängerzahlen”
Im Grundschulbereich rechnen die Länder mit deutlich steigenden Absolventenzahlen ab Mitte der 20er Jahre. Jährlich erwarten sie dann rund 8.000 junge Menschen pro Jahr, die ihre Ausbildung zum Grundschullehrer abschließen – rund 2.000 mehr als heute. Meidinger sagte, es gebe mittlerweile im Grundschullehramt «dramatisch gestiegene Anfängerzahlen». Die Jobchancen für angehende Lehrer bleiben gut. Nach der Prognose der KMK bestehen mit Ausnahme des Gymnasialbereichs deutschlandweit bis 2030 «gute Einstellungschancen im Schulsystem».
Die neuen Modellrechnungen der Länder zur voraussichtlichen Lücke zwischen Lehrerbedarf und Angebot gäben allerdings noch keinen Aufschluss über den eigentlichen Lehrermangel an den Schulen, darauf weist die KMK in ihrem Papier auch hin. Begründung: Die Länder steuern jedes Jahr mit Maßnahmen, wie der Reaktivierung von Pensionären oder dem Einsatz von Quereinsteigern gegen.
Andersherum gilt: Der Bedarf steigt durch Maßnahmen, die die Politik den Schulen auferlegt – worauf der VBE hinweist. „Der Lehrkräftebedarf wird aus dem heutigen Status Quo hochgerechnet. Dabei wissen wir doch jetzt schon, dass bis 2025 der Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung und -betreuung umgesetzt werden soll. Hinzu kommen die Inklusion, Integration und das Lernen und Lehren unter Nutzung digitaler Endgeräte. Der Lehrkräftebedarf muss endlich entsprechend dieser erhöhten Bedarfe berechnet werden”, fordert VBE-Chef Udo Beckmann. News4teachers / mit Material der dpa
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
Das wussten die Bildungspolitiker von Anfang an ganz genau. Der Geburtenrückgang wurde durch den Flüchtlingszuzug nur kurzzeitig kompensiert, schlägt aber bald wieder durch. Fünf Jahre später geht das an den weiterführenden Schulen weiter.
“Prognosen sind schwierig – vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.”
Das aktuelle Problem bei der Lehrkräfteversorgung an GS und Schulen der SekI sind nicht die Schülerzahlen, die schwanken ohnehin ohne signifikante Veränderungen gegenüber den Geburtszahlen des geburtsjahrganges der Erstklässler.
Das Problem liegt in der Tatsache begründet, dass die Länder und die in ihrem Auftrag fungierenden Hochschulen nicht bereit sind, über den prognostizierten Bedarf hinaus Studienplätze für angehende Lehrkräfte der Primar- und Sekundastufe I bereitzustellen und dauerhaft zu finanzieren. Dies ist umso fataler, da durch entsprechende Statistiken ja nachgewiesen ist, dass allenfalls 60% der Studierenden der entsprechenden Lehrämter letzendlich am Ende des Vorbereitungsdienstes in den Schuldienst eintreten, obwohl die Zahl der ausgeschriebenen Stellen weitaus größer ist als die zahl der Bewerber.
Dass viele trotz abgeschlossenen Studiums und bestandem Vorbereitungsdienst sich gegen eine unbefristete Einstellung an Standorten, die ihnen nicht zusagen, entscheiden ist deren gutes Recht. Es verschärft aber die Mangelversorgung mit Lehrkräften in weiten teilen des Landes. Die Lehrkräfteversorgung in angesagten Stadtteilen dürfte deutlich besser sein als die in öden Landstrichen oder Problemvierteln.
Da die Schulen ja eigenständig agieren und ihre ihnen zugewiesenen Stellen schulscharf ausschreiben können, gewinnen attraktive Standorte gegenüber dem rest. Das war politisch so gewollt, da der Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Schulstandorten und Schulformen ja gesteigert werden sollte, um bessere (PISA-)Ergebnisse zu produzieren.
Ein Lehrerüberschuss schadet der Bildung nicht im Geringsten.