Ist linksextrem so schlimm wie rechtsradikal? Gutachten kritisiert Unterrichtsmaterial vom Land – GEW rät Lehrern: „Entsorgen!“

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WIESBADEN. Das Projekt „Aufgeklärt statt autonom“, das Schüler vor Linksextremismus warnen soll, enthält gravierende fachliche und fachdidaktische Mängel. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Expertise, welche die GEW Hessen in Auftrag gegeben hat. Die Gewerkschaft fordert Lehrer auf, das Material – das im Auftrag der Landesregierung produziert und an alle weiterführenden Schulen im Land wurde, „in Mülltonnen zu entsorgen“.

Ist die „Antifa“  so gefährlich wie rechtsradikale Gruppen? Oder sind Differenzierungen notwendig? Foto: jcrakow / flickr (CC BY 2.0)

„Linksextremismus spricht viele Sprachen“, so warnt ein Plakat. In der Folge wird aufgezeigt, was alles dazu gezählt wird: Globalisierungskritik etwa, Antifaschismus, Antikapitalismus. Eine Trennlinie zwischen denen, die womöglich nur grundsätzlich Kritik üben (und damit ein Grundrecht wahrnehmen) und denen, die sich gewaltbereit zeigen, ist nicht erkennbar. Eine Abgrenzung zum Rechtsextremismus, der Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder kulturellen Herkunft herabwürdigt, findet überhaupt nicht statt. Alles eins – alles gefährlich, so scheint es.

An alle Schulen unaufgefordert verschickt

Die Plakatreihe, die zum Projekt „Aufgeklärt statt autonom“ gehört, setzt sich aus zwölf Postern zusammen, die unterschiedliche Aspekte des Themas „Linksextremismus“ behandeln. „Oberflächlich“, wie die GEW moniert. Hinzu kommen begleitende Arbeitsmaterialien für den Einsatz im Unterricht. Das Projekt wurde im Auftrag des beim Innenministerium angesiedelten Hessischen Kompetenzzentrum gegen Extremismus von einem Verlag produziert. Im November wurden diese Materialien allen weiterführenden Schulen in Hessen unaufgefordert zugesandt.

Birgit Koch, Vorsitzende der GEW Hessen, fordert nun alle Schulen auf, diese Materialien nicht für den Unterricht zu verwenden: „Dass unsere Demokratie heutzutage von rechts gefährdet wird, kann inzwischen niemand mit politischem Urteilsvermögen ernsthaft bezweifeln. Diese Gefahr ist nur eines der vielen drängenden Themen, denen sich die politische Bildung an Schulen stellen muss. Die Plakatreihe ‚Aufgeklärt statt autonom‘ setzt nicht nur einen falschen inhaltlichen Schwerpunkt, sie weist darüber hinaus auch schwerwiegende fachliche Mängel auf.“

Das nun vorgelegte Gutachten problematisiert insbesondere die Orientierung an dem wissenschaftlich hoch strittigen Extremismuskonzept, welches auf eine Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus hinausläuft. Darüber hinaus werde das Projekt den anerkannten Standards der politischen Bildung, wie dem so genannten „Kontroversitätsgebot“, nicht gerecht. Diesem zufolge hätte beispielsweise ein politisch und wissenschaftlich strittiger Ansatz wie die Extremismustheorie auch als kontrovers dargestellt werden müssen. Dies sei aber nicht der Fall.

„Pädagogisch und didaktisch nicht haltbar“

„Im Extremismuskonzept bilden Rechts- und Linksextremismus die entgegengesetzten Endpunkte eines Kontinuums, dessen Zentrum die demokratische Mitte bildet. Damit besteht die Gefahr, dass Links- und Rechtsextremismus trotz der fundamentalen Unterschiede inhaltlich gleichgestellt werden“, so schreibt dazu Prof. Dr. Richard Stöss in einem Beitrag für die Bundeszentrale für Politische Bildung. „Es führt nicht zu neuen Erkenntnissen, es verhindert sogar differenzierte Einsichten in die komplizierte Welt gesellschaftlich-politischer Sachverhalte. Denn der Extremismusbegriff beruht auf zweifelhaften Annahmen, zwängt völlig unterschiedliche Untersuchungsobjekte in eine Schublade, betreibt Schwarz-Weiß-Malerei und wird auch durch seine Eindimensionalität der komplexen Wirklichkeit nicht gerecht. Daher zählt das Extremismuskonzept auch nicht zum Standard sozialwissenschaftlicher Forschung.“

Die Autorin Dr. Martina Tschirner, sie lehrt an der Professur für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt, und der Autor Dr. Christoph Bauer, Lehrer an einem Frankfurter Gymnasium, kommen aufgrund ihrer Analyse deshalb auch zu folgendem Fazit: „Das zur Bewertung stehende Material zeigt sich eindeutig als wissenschaftlich, pädagogisch und didaktisch nicht haltbar. Es ist vielmehr Ausdruck einer längst überholt geglaubten politischen Bildung, die mit Affirmation und Einseitigkeit arbeitet und auf sie abzielt. Von kritischer Reflexion, eigenständigem Urteil und Wissenschaftsorientierung ist hier nicht nur keine Spur, dieses Defizit wird sogar durch vermeintliche Objektivität und Lebensweltbezüge aktiv verschleiert. Das Material ist aus unserer Sicht unverzüglich aus den Schulen zu entfernen.“

„Qualität von Unterrichtsmaterialien sichern“

GEW-Landeschefin Koch fordert entsprechende Konsequenzen: „Diese Materialien, die nach unserem Wissen bislang zum Glück auf wenige Resonanz gestoßen sind, sollten nun flächendeckend in die Mülltonnen entsorgt werden. Für die Zukunft wünschen wir uns vom Land Hessen eine andere Prioritätensetzung in der Präventionsarbeit. Außerdem stellt sich einmal mehr die Frage, wie die Qualität von Unterrichtsmaterialien gesichert werden kann, die ergänzend zu den zugelassenen Schulbüchern zum Einsatz kommen. Die Kolleginnen und Kollegen müssen sich darauf verlassen können, dass an die Schulen adressierte Materialien den fachdidaktischen und wissenschaftlichen Ansprüchen genügen.“

Sie ergänzt: „Unsere von Anfang an bestehende Skepsis wird von diesem Gutachten voll und ganz bestätigt.“ News4teachers

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19 Kommentare
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Georg
4 Jahre zuvor

Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits sollen Schülerinnen und Schüler nur inhaltlich, didaktisch und pädagogisch sinnvolles Material zur Bearbeitung bekommen. Andererseits gibt es bei jeder Art von Extremen in der Denk- und Handlungsweise durchaus Parallelen, wenn man die unterschiedlichen Feindbilder außer Acht lässt. Schwierig.

unverzagte
4 Jahre zuvor

„ist rechtsextremismus ebenso schlimm wie linksextremismus? nein, sagte das känguru, rechtsextremisten zünden ausländer*innen an. linksextremismus ist viel schlimmer, weil die autos anzünden. ausländer*innen besitze ich keine.“ frei zitiert nach u. kling

Küstenfuchs
4 Jahre zuvor

Die Frage, ob radikale Linke genauso „schlimm“ sind wie Rechtsradikale, stellt sich doch gar nicht. Das ist doch kein Wettbewerb. Beide sind für eine freie und offene Gesellschaft nicht tolerabel.

Hans Weichert
4 Jahre zuvor

Hallo, Georg, ist diese Erkeniss auch aus dem Verfassungsschutz-Material entnommen? „Andererseits gibt es bei jeder Art von Extremen in der Denk- und Handlungsweise durchaus Parallelen“
Weil sie etwa so wenig nachvollziehbare Aussagen beinhaltet wie dieses Material des Inlandsgeheimdienstes. Ps: 100% aller Amokläufer aßen Brot!!!

Georg
4 Jahre zuvor
Antwortet  Hans Weichert

Beispielsweise wurden die Kinder von Kemmerlich kurz nach seiner Wahl bedroht, er stand unter Polizeischutz, Linksextreme haben halb Hamburg beim G20-Gipfel demoliert, Linksextreme besetzen den Hambacher Forst usw.

Methodisch ist das ebenso verwerflich und vergleichbar wie Rechtsextreme, die aus rassistischen Gründen Fensterscheiben in Shisha-Bars, Synagogen usw. einwerfen, Migranten verprügeln usw.

Palim
4 Jahre zuvor
Antwortet  Georg

Extremismus und ihre Straftaten hin oder her,
beides gehört strafrechtlich verfolgt.

Tatsächlich ist es aber nicht vergleichbar,
wenn die einen Menschen erschießen oder anzünden,
während die anderen Gegenstände demolieren oder Häuser und Wälder besetzen.
Das als gleichwertig darzulegen, finde ich beschämend und gefährlich!

unverzagte
4 Jahre zuvor
Antwortet  Georg

ein wettbewerb zwischen extremistischen methoden erscheint in der tat irrelevant zumal die von linksextremisten verursachten sachschäden kaum vergleichbar sein können mit den von rechtsextremisten zu verantwortenden 179 ermordeten mitbürger*innen…

Georg
4 Jahre zuvor
Antwortet  Georg

Sie dürfen nicht den Fehler machen und zwei deutlich unterschiedliche Straftatbestände miteinander vermischen. In meinem Kommentar habe ich mich bewusst auf Bedrohung, Haus-/Landfriedensbruch und Sachbeschädigung beschränkt: Vergleichbare Straftaten, unterschiedliche Maßstäbe.

Wenn Sie Körperverletzung und Mord mit ins Boot holen, dann müssen Sie diese auch mit Körperverletzungen und Morden aus religiösen Motiven vergleichen. Das macht alles nicht besser, aber wenn, dann müssen Sie konsequent sein.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor

Das Grundgesetz von 1949 ist im Angesicht der Verbrechen des völkisch-nationalsozialistischen deutschen Terrorstaates geschrieben worden, und es steht mit den Grundrechten und der verpflichtenden staatlichen Achtung und dem staatlichen Schutz der Würde des Einzelnen im eindeutigen Widerspruch zum vorausgegangenen Faschismus.
Wie kann da antifaschistisches Denken, Handeln und Argumentieren als linksextremistisch eingestuft werden?
Das Grundgesetz unter anderem ermöglicht auch eine Verstaatlichung der Schlüsselindustrie.
Wer die derzeitigen Formen einer globalisierten Welthandelsordnung in Frage stellt, die dazu führt, dass strukturelle Gewalt sich in den abhängigen Staaten negativ auf diese Menschen und uns alle sowie auf das Weltklima sich auswirkt, der kritisiert zu Recht die Folgen dieser Art von einseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit, und man befindet sich auch nicht im Widerspruch zum Grundgesetz.

Carla
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Sie stellen die rhetorische Frage: „Wie kann da antifaschistisches Denken, Handeln und Argumentieren als linksextremistisch eingestuft werden?“
Meine Rückfrage lautet: „Ist Ihnen egal, ob von Seiten linker Antifaschisten gewalttätig gedacht, gehandelt und „argumentiert“ wird? Fällt das für Sie nicht unter das Urteil „linksextremistisch“ ?

Ich bin beängstigt und schockiert über Ihre Auffassung.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Carla

Ich bin entsetzt und schockiert über ihre Ansicht, dass eine antifaschistische Grundeinstellung mit Linksradikalismus und Gewalt gegen Personen und Gegenstände gleichgesetzt wird !
War der Nationalsozialismus mit 60.000.000 Kriegstoten nur ein Vogelschiss. ?

Pälzer
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Welchen Zweck hat der AfD-Sprech an dieser Stelle?
Auch ohne zu den Ursprüngen von „Antifa“ zurückzugehen, findet man in den Gewaltakten der Antifa aus den letzten Jahren genug Material, um deren Einstellung bewerten zu können. Wenn ich im Originalton hören will, wie die Antifa-Aktivisten sich selbst (aufgrund ihrer richtigen poltischen Einstellung) zur Ausübung von Gewalt gegen Andersdenkende berechtigt sehen, muss ich nur mit den entsprechenden Schülern unserer Schule plaudern.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Carla

@Carla
Unser Grundgesetz wurde in der direkten Reflektion und im deutlichen Widerspruch zum Nationalsozialismus formuliert und niedergeschrieben.
Es hebt den Schutz der Würde des Einzelnen besonders hervor und stattet diesen mit den unveräußerlichen Grundrechten aus.
Der Faschismus mit seinen rassistischen und menschenverachtenden Denkweisen steht im eklatanten Widerspruch zum Grundgesetz.
Ihre Ansichten über Antifaschismus haben aus meiner Sicht das Ziel, eine antifaschistische Grundeinstellung zu diskreditieren und diese Einstellung wie in einer verkehrten Welt gesellschaftsfähig zu machen.

Alex
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Jeder Faschismus ist abzulehnen, auch der „Antifaschismus“, wenn er sich krimineller Praktiken bedient.
Mir ist unbegreiflich, warum immer wieder relativiert statt knallhart abgelehnt wird, was mit Gewalt und Terror zu tun hat.
So gibt man allen Extremisten immer wieder die Möglichkeit, sich mit hehren Zielen besser darzustellen als sie sind.
Wert hat kein Extremismus, Palim und unverzagte. Darum „finde ich beschämend und gefährlich“, wenn aufgerechnet und relativiert wird. Wem soll das nützen?

Unverzagte
4 Jahre zuvor

Ihre Sicht scheint auf einen eigenwilligen Maßstab zu verweisen: faktisch andauernden Terror insbesondere per Ermordungsserien auf Prügeleien zu reduzieren ist schlicht und einfach absurd…mit Ihrem Verweis auf religiöse Motive stellt sich mir die Frage, welches Lernziel Sie verfolgen?

Unverzagte
4 Jahre zuvor
Antwortet  Unverzagte

@georg siehe oben

Georg
4 Jahre zuvor
Antwortet  Unverzagte

Das tue ich nicht oder wenn verlange ich einen einheitlichen Maßstab.

Ich vergleiche Prügeleien & co der einen mit Prügeleien & co einer anderen Gruppe. Sie werfen mir vor, dass ich Prügeleien einer Ihnen möglicherweise genehmen Gruppe mit Morden einer Ihnen möglicherweise nicht genehmen Gruppe vergleiche, was ich nicht getan habe. Ich habe aber darüber hinaus Morde einer Ihnen möglicherweise nicht genehmen Gruppe mit Morden einer anderen Ihnen möglicherweise genehmen Gruppe verglichen bzw. verlangt, das tun zu dürfen.

Unverzagte
4 Jahre zuvor
Antwortet  Georg

Anmaßende Unterstellungen lassen die Frage nach Ihrem Lernziel weiterhin offen und nicht nachvollziehbar.

Georg
4 Jahre zuvor
Antwortet  Unverzagte

Ich habe Ihr Wort „Lernziel“ im Kontext dieses Artikels nicht verstanden. Diese Anmaßung können Sie gerne entkräften, indem Sie belegen, dass Sie keine doppelten Maßstäbe bei politisch linken und politisch rechten Themen anlegen. Ihre Kommentare alleine zu diesem Artikel machen vom Stil her diese Aufgabe aus meiner Sicht für Sie nicht gerade einfach.