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Im ersten Bundesland sind Kitas und Grundschulen wieder weit geöffnet – ohne Abstandsregel, ohne Maskenpflicht in den Räumen

DRESDEN. Der Freistaat Sachsen, der Anfang Januar noch mit einem Inzidenzwert von fast 300 bundesweit an der traurigen Spitze lag, öffnet als erstes Bundesland im Lockdown seine Kitas und Grundschulen für den Regelbetrieb – ohne Abstandsregel und Maskenpflicht in den Gruppen- und Klassenräumen. Kann das gutgehen? Der Ministerpräsident spricht von einem „Versuch“.

Geht ins Risiko: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Foto: Matthias Wehnert / Shutterstock

Gestaffelter Einlass, versetzte Pausen und ein durch Absperrband unterteilter Schulhof: Mit Einschränkungen und erhöhten Hygienemaßnahmen – aber ohne Abstandsregel und Maskenpflicht im Unterricht – hat in Sachsen nach rund zwei Monaten Lockdown der Unterricht für 151.000 Grundschüler begonnen. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sprach von einem „Versuch“. Wörtlich sagte er der der „Bild am Sonntag“: „Wir werden Anfang März sehen, welche Auswirkungen die Öffnungen der Kitas und Grundschulen haben.“ Es gebe keine Garantie, dass das funktioniere. „Aber der Versuch ist wichtig.“ Alle Lehrkräfte und Kita-Erzieher würden getestet, „um mit viel Sicherheit zu starten“.

Schätzungen zufolge haben mehr als 90 Prozent der Eltern in die Kitas und Grundschulen geschickt

Der Bonner Virologe Prof. Hendrik Streeck sprach von einem „Ausprobieren“.  Die Öffnungen in Sachsen könnten bundesweit als Modell dienen, um Auswirkungen von Schulöffnungen besser abschätzen zu können. Wie hoch die auf die Inzidenz sein könnten, ließe sich noch nicht sagen. „Man muss bedenken, dass das immer in einer zeitlichen Verzögerung passiert. Also zwei bis drei Wochen später sehen wir wahrscheinlich erst die Ergebnisse. Daher darf man da nicht zu schnell auf bestimmte Öffnungen zurückschließen“, so Streeck. Wissenschaftler wie der Chef-Virologe der Berliner Charité, Prof. Christian Drosten, hatten zuletzt betont, dass Kitas und Schulen eine große Rolle im Infektionsgeschehen spielen, wie News4teachers berichtete.

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Dazu kommt jetzt noch die Sorge um eine schnellere Ausbreitung durch Corona-Mutationen, die auch schon in ersten Kitas (so in Köln oder im rheinland-pfälzischen Kreis Bitburg-Prün) zu Ausbrüchen geführt haben.

Ersten Einschätzungen zufolge sei der Neustart gut angelaufen, sagte der Sprecher des Landesamts für Schule und Bildung, Roman Schulz, am Montag. Er verwies darauf, dass die Grundschulen bereits Erfahrung mit der Wiedereröffnung nach dem ersten Lockdown im Mai 2020 hätten. «Da verlief das Prozedere ähnlich.» Auch für die kleineren Kinder öffneten am Montag die Kitas im sogenannten eingeschränkten Regelbetrieb. Um das Prinzip der getrennten Gruppen mit festen Erziehern umzusetzen, müssen sich die Eltern vielerorts auf verkürzte Öffnungszeiten einstellen.

Laut Landesamt setzen viele Schulen gestaffelte Einlasszeiten für Schüler, getrennte Laufwege im Schulhaus und Absperrungen mit Signalband für verschiedene Bereiche um. So etwa auch die 103. Grundschule in der Dresdner Neustadt. «Wir konnten auf unser bewährtes Hygienekonzept aus dem ersten Lockdown zurückgreifen», sagte Schulleiterin Constanze Hänsel. Die Kinder hätten die Maßnahmen mit «außergewöhnlicher Selbstverständlichkeit» mitgemacht. Die meisten Kinder und Eltern seien froh über die Rückkehr. «Es haben nicht viele gefehlt», so Hänsel. Die Schulbesuchspflicht ist vorerst ausgesetzt, Eltern können selbst entscheiden, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken oder weiterhin zu Hause unterrichten.

Die Wiederöffnung erfolgt im sogenannten eingeschränkten Regelbetrieb: Die Kinder werden dafür in festen und strikt voneinander getrennten Gruppen betreut und sollen sich möglichst nicht begegnen. Die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, die ab einer Inzidenz von 50 Wechselunterricht in kleineren Lerngruppen – damit die Abstandsregel in den Klassenräumen gelten kann – sowie eine generelle Maskenpflicht im Unterricht vorsehen, werden nicht beachtet. Eine Maskenpflicht im Unterricht gibt es nicht, allerdings müssen Schüler und Lehrer im Eingangsbereich sowie im Schulgebäude eine medizinische Maske tragen. Auch regelmäßiges Lüften gehört zum Hygienekonzept. Zwar gibt es noch keine gesicherte Statistik, aber Stichproben und ersten Einschätzungen zufolge geht das Landesamt davon aus, dass mehr als 90 Prozent der Eltern ihre Kinder wieder zur Schule schicken.

Der Landesschülerrat begrüßte die Rückkehr der jüngsten Schüler. «Je jünger die Schülerinnen und Schülern, desto schwerer fällt ihnen das Online-Lernen», sagte die Vorsitzende Joanna Kesicka. Dennoch mahnte der Landesschülerrat entsprechende Konzepte zum Hygiene- und Gesundheitsschutz an. «Je mehr Klassenstufen und Schularten in die Schulen zurückkehren, desto bessere Konzepte müssen vorliegen.» Die Abschlussklassen waren bereits am 18. Januar an die Schulen zurückgekehrt. Zudem mahnte der Landesschülerrat, auch die anderen Schüler nicht zu vergessen. Diese bräuchten ebenfalls eine Perspektive zur Rückkehr in den geregelten Unterricht.

GEW-Landesvorsitzende Kruse: Die Gefahr einer dritten Infektionswelle steht praktisch vor der Tür

Die Gewerkschaft GEW hatte die Eröffnung mit Blick auf die Ausbreitung der Mutationen hingegen als zu früh kritisiert. „Sachsen versucht sich erneut ein Siegertreppchen beim Öffnungswettbewerb zu sichern und verharmlost dabei die Folgen für die Betroffenen. Zudem steht die Gefahr einer 3. Infektionswelle praktisch vor der Tür. Die Lehre aus den vergangenen Monaten muss doch langsam klar sein: Wer eher öffnet, muss auch deutlich schneller wieder schließen“, sagt Landesvorsitzende Uschi Kruse. Kultusminister Christian Piwarz (CDU) kündigte an, die Zahl der Infektionen genau im Blick zu behalten: Wenn die Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis (Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen) an fünf aufeinanderfolgenden Tagen von 100 überschritten ist, müssen Schulen und Kitas wieder schließen.

Am Montag lag die Wocheninzidenz – also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen – laut Robert-Koch-Institut (RKI) und Gesundheitsministerium bei 68 und damit wieder etwas höher als am Wochenende (Samstag: 65). Bundesweit lag der Wert bei 59. Deutschlandweit sollen viele Grundschulen und Kitas in Deutschland vom 22. Februar an wieder schrittweise ihren Betrieb aufnehmen. Dazu zählen etwa Nordrhein-Westfalen, Bayern, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Brandenburg, Berlin und Hessen. Mecklenburg-Vorpommern will am 24. Februar starten. Geknüpft wird die Rückkehr teilweise auch an bestimmte Inzidenzzahlen. News4teachers / mit Material der dpa

Sind unsere Ministerpräsidenten überhaupt fähig, den Ernst der Lage zu begreifen? Ich fürchte: nein – ein Kommentar

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